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Familien in Campingbussen, Baracken, Kellerlöcher: So sehr hat die Wohnungsnot Mallorca verändert

Auch Normalverdiener finden auf Mallorca keine bezahlbare Wohnung mehr. Wie konnte es nur so weit kommen? Die große MM-Analyse

Die Wohnungsnot auf Mallorca betrifft immer mehr Menschen. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als in Wohnwagen, Zelten, Baracken oder leerstehenden Gebäuden zu hausen.Fotos: Archiv

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Warum stehen da so viele Wohnwagen am Straßenrand, fragt der deutsche Urlauber bei der Fahrt im Bus in Richtung Flughafen: „Gibt es hier eine so aktive Camper-Szene?” Erstaunt nimmt er die Erklärung seines Sitznachbarn zur Kenntnis, dass es sich keineswegs um das Freizeitvergnügen von Inselbewohnern handelt, die gerne naturnah übernachten, sondern um einen Ausdruck der Wohnungskrise auf Mallorca. „Ach, ich wusste gar nicht, dass es so extrem ist”, sagt der Urlauber.

Der Mangel an für Normalverdiener bezahlbarem Wohnraum spitzt sich auf Mallorca zur existenzbedrohenden Krise zu. Immer mehr Menschen sehen sich gezwungen, Mieten zu zahlen, die ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen, in Wohngemeinschaften zu wohnen, unter menschenunwürdigen Bedingungen in Kellerlöchern oder Barackensiedlungen unter Brücken zu hausen oder die Insel angesichts fehlender Aussichten auf Besserung gleich ganz zu verlassen.

Familien mit Kindern in Wohnwagensiedlungen

Und an Palmas Stadtrand haben sich Wohnwagensiedlungen gebildet, in denen hunderte Menschen leben, die auf dem regulären Mietmarkt keine Bleibe mehr finden – zum Großteil trotz eines geregelten Einkommens. Selbst auf Familien mit Kindern trafen Wissenschaftler der Balearen-Universität, als sie vor einiger Zeit die Zustände in den Wohnwagensiedlungen erforschten. Der Geograf Jesús González schätzte die Zahl der Personen, die in Palma in Wohnwagen, Baracken, Autos und unwürdigen Behausungen leben seinerzeit auf bis zu 5000.

Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mietwohnungen für weniger als 900 Euro gibt es auf der Insel praktisch nicht. Einer Studie der Internet-Jobbörse Infojobs und der Immobilienplattform Fotocasa zufolge, lag der durchschnittliche Mietpreis auf den Balearen im vergangenen Jahr bei 17,45 Euro pro Quadratmeter – übertroffen wurde dieser Wert spanienweit nur in den beiden Metropolen Barcelona und Madrid. Nirgendwo jedoch mussten die Menschen der Studie zufolge einen größeren Teil ihres Bruttogehaltes auf die Miete verwenden, nämlich sage und schreibe 61 Prozent im Durchschnitt. Während die Gehälter in Spanien 2024 um 3,1 Prozent stiegen, legten die Mieten um mehr als 14 Prozent zu. 40 Prozent der Balearen-Bewohner haben Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen. In fast 28.000 Haushalten der Insel lebt mehr als eine Familie.

Mietverträge nur zeitlich begrenzt gültig

Dazu kommt eine Besonderheit des spanischen Mietrechts, die die Lage der Mieter zusätzlich erschwert. So sind Mietverträge hierzulande grundsätzlich zeitlich begrenzt gültig. Üblicherweise enden sie nach fünf Jahren. Während der Gültigkeit kann die Miete nur um die jährliche Teuerungsrate angehoben werden. Danach aber ist die Miete wieder frei verhandelbar. Das führt dazu, dass viele Mieter seit einiger Zeit mit horrenden Forderungen ihrer Vermieter konfrontiert werden.

Mittlerweile hat die Zentralregierung mit einer Mietpreisbremse darauf reagiert. Diese gilt aber nur in Gegenden, die zuvor durch die jeweilige Regionalregierung zu Zonen mit besonders angespanntem Mietmarkt erklärt wurden. Bislang ist das nur im Baskenland, in Navarra und vor allem Katalonien geschehen. Die konservative Balearen-Regierung, die mit der Linksregierung in Madrid im Dauerstreit liegt, hat die Maßnahme bislang nicht umgesetzt. Auch, weil der Effekt der Mietpreisbremse umstritten ist. Während einiges darauf hindeutet, dass die Mieten tatsächlich sinken, geben andere zu bedenken, dass das Angebot an Wohnungen sinken könnte.

Wenn selbst eine gemietete Wohnung für viele Menschen auf Mallorca in unerreichbare Ferne rückt, gilt das für Kaufimmobilien erst recht. Die Preise übersteigen hier längst das Budget von Normalverdienern. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt auf den Balearen lag Infojobs zufolge im Jahr 2024 bei 2277 Euro. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für Kaufimmobilien dagegen beläuft sich aktuell auf mehr als 3500 Euro, wie aus Daten des spanischen Wohnungsbauministeriums hervorgeht. Das bedeutet einen Anstieg um 80 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015. Der durchschnittliche Preis für eine 90-Quadratmeterwohnung auf den Balearen liegt demnach bei 316.620 Euro.

Längst hat sich auf Mallorca eine Protestbewegung gegen die Wohnungsnot gebildet. Zuletzt wandte sich die Organisation SOS Residents mit einem Brief an die Mitglieder der internationalen Maklervereinigung Abini. „Wir Einwohner Mallorcas wollen euch nicht mehr”, heißt es darin. „Ihr seid nicht willkommen, wenn ihr kommt, um Häuser als Spekulationsobjekte zu kaufen, um Profit zu machen und unsere Dörfer zu entvölkern. Macht eure Geschäfte zu Hause”. Vertreter von Linksparteien fordern gar ein Verbot von Immobilienverkäufen an Personen, die nicht auf der Insel leben – was allerdings bei der aktuellen Rechtslage in der EU als schwer umsetzbar gilt.

Bisheriger Höhepunkt der Proteste war eine Demonstration mit etwa 10.000 Teilnehmern im Mai 2024, die auch international für Aufsehen sorgte. Spätestens seitdem ist den Balearen-Politikern die Tragweite und die soziale Brisanz wohl bewusst. Zumindest beteuern Vertreter aller Parteien, dass die Wohnungsnot ganz oben auf ihrer Prioritäten-Liste steht. Dennoch ist eine Lösung nicht in Sicht. Das Problem ist vielschichtig.

Projektentwickler und Bauunternehmer etwa verweisen seit Jahren auf die gestiegenen Materialkosten, auf hohe Preise für Baugrundstücke, die hohe Steuerlast, langwierige Genehmigungsverfahren und strenge Bauauflagen. All das mache den Bau von günstigem Wohnraum unmöglich. Und so werden nicht nur immer weniger Mehrfamilienhäuser gebaut auf Mallorca, sondern darunter auch immer weniger Immobilien im unteren Preissegment. Das teilte kürzlich etwa der Verband der Bauingenieure und technischen Architekten mit.

Maklerverbände wie Abini wiederum weisen die Verantwortung für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum der Balearen-Regierung zu. Viel zu wenig Sozialwohnungen seien in den vergangenen Jahrzehnten auf Mallorca gebaut worden. Auch die Linksregierung, die von 2015 bis 2023 an der Macht war, behob diesen Mangel nicht. Die aktuelle konservative Regierung setzt nun vor allem auf die Lockerung der Bauvorschriften. Bestehende Gebäude können aufgestockt, Ladenlokale zu Wohnraum umgebaut werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Umwidmung bislang nicht erschlossener Flächen zu Bauland.

Das wiederum ruft die Umweltschützer auf den Plan, die die völlige Entfesselung der Bauaktivität im ländlichen Raum befürchten. Allein rund um Manacor und in den dazugehörigen Orten könnten auf diese Weise zusätzliche 1229 Hektar Land bebaut werden, berichtete kürzlich die Tageszeitung „Ultima Hora”. Das wäre gleichbedeutend mit einem Bevölkerungswachstum von 270.000 Personen in der Gemeinde im Inselosten. Das zeigt: Wohnungsnot und Grenzen des demografischen Wachstums sind auf einer Insel, deren natürliche Ressourcen ohnehin schon längst an ihre Grenzen stoßen, eng verwoben.

Es gibt aber weitere Hindernisse. Gerade auf dem Mietmarkt spielt auch die komplizierte Rechtslage eine große Rolle, wie Experten meinen. „Die Preise sind so hoch, weil es sehr viel Rechtsunsicherheit gibt”, sagt Pau Monserrat, Wirtschaftswissenschaftler an der Balearen-Universität. Die Eigentümer seien schließlich mit der realen Möglichkeit konfrontiert, dass sie ihr Geld nicht bekommen, vor allem dann, wenn die Mieter einer schutzbedürftigen Gruppe angehören. „Dann ist es sehr schwierig, ihnen zu kündigen, und man muss sich mit der Justiz auseinandersetzen. Diese Rechtsunsicherheit führt zu den extrem hohen Mietpreisen”, sagte er der Tageszeitung „Ultima Hora”.

Zwangsräumungen wurden erschwert

Tatsächlich hatte die Zentralregierung in Madrid in ihrer Reform des Wohnungsgesetzes im Jahr 2022 weitere Hürden eingebaut, die die Zwangsräumung von Wohnungen bei Mietverzug erschweren. Dazu kommt, dass entsprechende richterliche Verfügungen häufig erst mit großer Verzögerung zustande kommen. Das führt dazu, dass viele Immobilienbesitzer ihre Wohnungen überhaupt nicht mehr langfristig vermieten, sondern die Wohnungen als reines Spekulationsobjekt lieber leer stehen lassen oder aber nur noch kurzfristig vermieten – Stichwort Ferienvermietung.

Diese ist für die Eigentümer weitaus lukrativer und gilt als weiterer Grund für den Wohnungsmangel. Während das legale Angebot streng reguliert ist, versuchen die Behörden seit Jahren vergeblich, das illegale Angebot unter Kontrolle zu bekommen. Zwar wurden in der Vergangenheit in Einzelfällen tatsächlich hohe Geldstrafen verhängt, immer wieder aber werden Fälle illegaler Ferienvermietung publik. So zuletzt in Palma, wo Vertreter der oppositionellen Sozialisten anprangerten, in direkter Umgebung des Rathauses werde ein ganzes Wohnhaus illegal zur Vermietung von Ferienapartments genutzt, ohne dass Bürgermeister Jaime Martínez etwas dagegen tue.

Dieser hatte zuletzt angekündigt, die Ferienvermietung in der Inselhauptstadt komplett abschaffen zu wollen. In Mehrfamilienhäusern ist diese Aktivität ohnehin bereits seit vielen Jahren verboten. Künftig sollen auch die bestehenden Lizenzen in Einfamilienhäusern nicht mehr erneuert werden. Einen spürbaren Effekt aber hat auch diese Ankündigung bislang nicht gehabt. Und so werden auch weiterhin die Wohnwagensiedlungen am Stadtrand den einen oder anderen Mallorca-Touristen überraschen.

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