Selten war eine Abstimmung so spannend und unberechenbar wie die Wahl zum spanischen Parlament am Sonntag. Vier Parteien machen die Entscheidung unter sich aus und liegen in den Umfragen nahezu gleichauf, um die 20 Prozent oder etwas darüber. Selbst wenn der konservativen Regierungspartei PP in den letzten Wochen vor der Konkurrenz ein deutlicher Vorsprung von konstant mehr als fünf Prozent vorhergesagt wird, sind die Werte aber nicht unbedingt aussagekräftig.
Auch bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai war für die von Korruptionsskandalen belasteten Konservativen ein relativ gutes Ergebnis erwartet worden. Allerdings stürzte die PP dann von 37,5 Prozent (Stand bei den Regionalwahlen 2011) auf rund 27 Prozent ab und landete nur knapp vor den Sozialisten der PSOE (rund 25 Prozent). Da diese viele Tolerierungsbündnisse mit der Protestpartei Podemos, Grünen und Autonomisten schließen konnte, stellen die Konservativen nur noch in fünf von 17 Regionen den Präsidenten und verloren auch zahlreiche Bürgermeisterposten. Palma und die Balearen haben seitdem ebenfalls linke Mehrheiten.
Faustdicke Wahlüberraschungen sind in Spanien keine Seltenheit, da viele Stimmberechtigte sich erst in letzter Sekunde entscheiden. Sämtliche Umfragen beruhen auf Hochrechnungen von längerfristigen Bindungen und sind daher mit Vorsicht zu genießen. Fragt man direkt nach der Wahlabsicht, erreicht derzeit niemand wesentlich mehr als 15 Prozent. Hinzu kommt, dass die Auszählung auf Wahlkreisebene (D'Hondt-Verfahren) die großen Parteien begünstigt. Bei vier etwa gleich starken Kräften dürfte es laut Politologen aber keine so starken Verzerrungen geben wie im bisherigen System mit zwei großen Playern und relativ bedeutungslosen Splitterparteien. Genau diese Struktur steht nun erstmals seit Francos Tod und Wiedereinführung der Demokratie im Jahr 1977 auf der Kippe, was eine schwierige Regierungsbildung erwarten lässt.
Absolute Mehrheiten, wie sie die PP noch 2011 mit 44,6 Prozent errungen hatte, sind außer Reichweite. Für welche Bündnisse es reichen könnte, ist offen. Nicht auszuschließen, dass sich am Ende sogar die Erzfeinde aus den zwei Altparteien zu einer großen Koalition zusammentun, oder die relativ stärkste Kraft sich als Minderheitsregierung von einem Partner tolerieren lässt. Selbst vorgezogene Neuwahlen innerhalb von wenigen Monaten oder nach einer längeren Übergangsphase mit unklaren Verhältnissen liegen im Bereich des Möglichen.
Eine Perspektive, die die Wirtschaft nicht unbedingt freut, zumal die Krise noch nicht vollständig überwunden ist. Zwar hat das Wachstum wieder angezogen und erreicht mit drei Prozent EU-weit einen Spitzenwert. Allerdings liegt die Arbeitslosigkeit immer noch über 20 Prozent, viele Haushalte und Firmen sind überschuldet.
Auch politisch steht das Land vor ungekannten Herausforderungen, seit in Katalonien ernsthaft mit der Unabhängigkeit geflirtet wird. Um die selbstbewusste Nachbarregion der Balearen wieder vom Zusammenleben im spanischen Staat zu überzeugen, wären Verfassungsreformen hilfreich, zumal auch in anderen Landesteilen vehement eine Erneuerung von Staat und Gesellschaft gefordert wird. Ob dieser Prozess gelingen kann, oder sich am Ende die vielen Gegensätze vielleicht noch stärker zuspitzen, bleibt abzuwarten.
Dass viel auf dem Spiel steht, haben die Spanier begriffen: Allein schon die Briefwahlbeteiligung ist 14 Prozentpunkte höher als 2011. Möglicherweise werden also 75 bis 80 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben und damit so viele wie bisher nur in den Jahren 1977, 1982, 1996, 2004 und 2008. Lediglich ein einziges Mal hatte die PP bei so großer Mobilisierung in der Vergangenheit die Nase vorn.
Auf den Balearen stehen acht Parlamentssitze zur Wahl, die bisher von fünf Konservativen und drei Sozialisten eingenommen wurden.
Ein Bild, das sich künftig deutlich zersplitterter präsentieren dürfte, denn die Umfragen gehen davon aus, dass sich die PP von fast 50 Prozent auf 26 bis 27 Prozent nahezu halbieren und nur noch zwei oder drei Mandate erreichen wird. Es folgen die PSOE (19-20 Prozent, zwei Mandate), Ciudadanos (18-20 Prozent, zwei Mandate) und Podemos (18-19 Prozent, ebenfalls zwei Mandate). Den Öko-Autonomisten von Més (7-8 Prozent) werden ebenso wenig Chancen auf einen eigenen Abgeordneten eingeräumt wie der in der politischen Mitte positionierten Regionalpartei PI (2-4 Prozent) oder den Linken von Unidad Popular (ehemals Izquierda Unida) mit zirka 5 Prozent.
Bekannteste Kandidaten sind Palmas beliebter Ex-Bürgermeister Mateo Isern (PP), der Sozialist Ramón Socías (ehemals Delegierter der Zentralregierung auf den Balearen), Korruptionsrichter Pedro Yllanes (Podemos) sowie Fernando Navarro (C's), der 2013 die Verantwortung für den Tod des Afrikaners Alpha Pam übernehmen und als Krankenhausdirektor zurücktreten musste. Trotz Tuberkulose war der "Illegale" mit Grippe-Medikamenten abgespeist worden. Gewählt werden im Übrigen auch fünf neue Senatoren, die aber keine wichtige Rolle spielen. Gesetzesvorhaben können sie nicht blockieren, sondern nur verzögern. Weitere Senatsmitglieder werden indirekt von den Regionen nominiert, unter ihnen der ehemalige Balearen-Präsident José Ramón Bauzá (PP). Er hat seinen Sitz bereits eingenommen.