Verärgerung über die Vollsperrung der Halbinsel Formentor bei den einen Urlaubern, Überraschung bei den anderen. „Nee, Mutti hör mal, der Kohl ist hier!”, zitierte das Mallorca Magazin einen Touristen, der unverrichteter Dinge umkehren musste.
So geschehen 1995. 24 Stunden lang, vom 22. bis 23. September, war Mallorca der politische Nabel Europas. Die 15 Staats- und Regierungschefs der EU und Kommissionspräsident Jacques Santer waren auf der Baleareninsel zu einem informellen Gipfeltreffen zusammengekommen, empfangen vom damaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González.
Im Tross der Politiker und ihrer Spitzenbeamten: 1800 Journalisten aus aller Welt. Sie mussten jedoch draußen bleiben. Während die Länderchefs im streng abgeschirmten Hotel Formentor tagten, befand sich das Pressezentrum in Port d’Alcúdia.
Da die Medienvertreter nur am politischen Ereignis und nicht an den Schönheiten der Insel interessiert waren, fiel die Nachrichtenlage für sie entsprechend dünn aus. Der Korrespondent der „Augsburger Allgemeinen” formulierte das gegenüber MM so: „Wir versuchen hier auf einer Glatze eine Locke zu drehen.”
Dabei standen durchaus gewichtige Themen auf der Agenda: Umweltfragen, die Osterweiterung der Europäischen Union, die Revision des Maastrichtvertrages und die Einführung des Euro – kurz, die Zukunft der EU. Ergebnisse gab es trotzdem keine. Und so konnte man in MM lesen: „Es gibt überhaupt wenig zu notieren, schließlich war’s nur ein informeller Gipfel. Aber man hat, wie Kohl versichert, ,ungewöhnlich offene Gespräche’ geführt.”
Der Bundeskanzler war bekanntlich nicht nur ein politisches, sondern auch ein physisches Schwergewicht. Zwar erfüllte das Mobiliar des Hotels Formentor sämtliche Stabilitätskriterien. Dennoch mussten einem Stuhl die Armlehnen entfernt werden, damit der Kanzler auf ihm Platz nehmen konnte.
Der Appetit Kohls hielt die Organisatoren auf Trab. Der Verantwortliche fürs Protokoll wusste aus langjähriger Erfahrung, dass Kohl nach einem offiziellen Essen noch Hunger haben könnte, begab sich mit dem damaligen MM-Chefredakteur Wolfram Seifert auf Restaurantsuche – erfolgreich, aber umsonst: Am Ende ließ sich Kohl nach dem Dinner eine „größere Kleinigkeit” auf sein Hotelzimmer bringen.