Österreichs Ex-Bundeskanzler Christian Kern spricht im Interview mit dem Mallorca Magazin über die Herausforderungen im sich jährenden Ukraine-Konflikt und seine Vision eines starken Europas.
MM: Wir erleben derzeit mit dem Ukraine-Krieg, aber auch mit der sich immer weiter zuspitzenden Konfrontation zwischen den USA und China, globale Krisen. Wie sollte sich Europa hier positionieren?
Kern: Der Ukraine-Krieg ist schlimm und politisch gibt es nur schlechte Optionen, zwischen denen wir wählen können, aber zu unserem derzeitigen Handeln gibt es keine Alternative. Es ist besorgniserregend, dass wir langsam in eine immer tiefere Konfrontation mit Russland geraten – wir haben erst über Kampfpanzer verhandelt, jetzt reden wir schon über Jets. Wir akzeptieren in der EU sogar, dass die Krim wieder befreit werden soll. Dafür gibt es gute Argumente, aber leider muss ich sagen: Wer seine sieben Sinne beisammen hat, muss sehen, dass das Schlimmste möglicherweise noch gar nicht ausgestanden ist. Ich hoffe, dass hier weiterhin alles mit einem gewissen Augenmaß betrieben wird.
MM: Sie nennen es Augenmaß, dem deutschen Kanzler wurde lange Zaudern vorgeworfen...
Kern: Ich kann verstehen, dass die Bundesregierung in einigen Fragen erst abwägen wollte. Das Problem, das deutsche Politiker in der EU haben, ist, dass alle auf sie zeigen. Das ist immer das Problem des größten und stärksten Partners – vor allem, wenn er nicht das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Oft ist es aber auch ein Kommunikationsproblem.
Gleichgewicht im Umgang mit China finden
MM: Und USA-China ...
Kern: Unser Dilemma ist, dass wir in höchstem Maße miteinander verflochten sind. Eine „Entkopplungsvision” ist für Europa problematischer als für die Amerikaner. Wir haben ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit China. In manch einem Sektor, wie der Chip-Produktion oder der Fotovoltaik sicher aber auch eine Abhängigkeit, die wir reduzieren müssen. Es gilt, ein Gleichgewicht zu finden. Einerseits vorbereitet zu sein, falls ein Konflikt eskaliert, andererseits die Kooperationen fortführen. Unterdessen entsteht mit Indien, wo auch nicht nur lupenreine Demokraten sitzen, eine neue Supermacht. Wir brauchen in Europa vor diesem Hintergrund eine Politik der wirtschaftlichen Stärke, um uns gegenüber diesen Ländern – den USA übrigens auch – besser zu positionieren. Militärische Stärke kommt dann als logische Folge.
MM: Wie sieht denn Ihre Vision der EU aus?
Kern: Wir haben in Europa oft so eine depressive Haltung, als stünde alles kurz vor dem Untergang. Dabei hat die EU oft genug bewiesen, dass sie handlungsfähig ist. Wir stehen vor großen Herausforderungen, gerade auch im Hinblick auf den technischen Fortschritt, aber wir haben alles in der Hand, um diese zu bewältigen. Wir dürfen uns nur nicht ausruhen und brauchen eine Politik, die nicht nur angenehme Wahrheiten wiedergibt, sondern auch mal vermittelt, dass es sich lohnt, sich anzustrengen.
Zur Person: Christian Kern, Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. In der Folge war er Wirtschaftsjournalist, bekleidete ab 1991 verschiedene Posten im Bundeskanzleramt und dem Nationalrat, später in der freien Wirtschaft. Ab 2010 war er Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding. 2016 wurde der Sozialdemokrat als Nachfolger von Werner Faymann zum Bundeskanzler berufen. Das Amt hatte er bis Ende 2017 inne. 2018 zog er sich aus der Politik zurück und wechselte wieder in die Wirtschaft. Auf Mallorca hielt er sich jetzt im Rahmen der Beiratssitzung des Unternehmens Zachert Private Equity auf, die im Castillo Hotel Son Vida stattfand.
Das vollständigen Interview lesen Sie in der aktuellen MM-Ausgabe (09/2023), erhältlich am Kiosk, auch in Deutschland, oder per E-Paper.