Der klassische Strandbesucher auf Mallorca ist ein genügsames Wesen. Ein Handtuch, ein Sonnenschirm, dazu eine prall gefüllte Kühlbox mit Bier, Chips und vielleicht einem Schinken-Sandwich – fertig ist das mobile Biotop. Sein natürlicher Bewegungsradius: ein paar Meter vom Liegestuhl ins Wasser, wieder zurück, dann dösen, dann wieder abtauchen. So plätschert der Tag dahin, ungestört, planlos, wunderbar banal.
Doch wer an der Playa von Can Pastilla Cristina Rozalen beobachtet, merkt schnell: Hier wird nicht nur geschnarcht, hier wird geflogen. Seit 2011 betreibt die Mallorquinerin ihren Surfshop „Bona Ona“, zu Deutsch: „Gute Welle“. Eine Eingebung sei das gewesen? „Keine Ahnung, wie ich auf die Idee kam“, sagt sie mit einem Schulterzucken und einem Grinsen. Zuvor war sie durch die halbe Welt gereist, lernte in Costa Rica Windsurfen, verliebte sich in Wind und Wellen – und brachte den Kick mit nach Palma.
Vor allem Urlauber, die sich langweilen, landen in der Surfschule
Heute verleiht „Bona Ona“ alles, was man braucht, um dem Stranddasein zu entkommen: Bretter, Flügel, Segel, Neoprenanzüge, Gurte, Helme – und den entscheidenden Schubs in Richtung Adrenalin. Die Unterrichtsstunden übernehmen ihre Lehrer, Cristina selbst springt höchstens dann aufs Brett, wenn jemand Panik kriegt oder abtreibt.
Vor allem Urlauber, die sich irgendwann langweilen, landen bei ihr. „Die meisten hatten noch nie ein Segel in der Hand“, sagt sie. „Oder höchstens mal beim Tretboot den Schirm aufgespannt.“ Einheimische Residenten kommen auch – weil sie genug haben vom faulen Herumliegen. „Die wollen Action, aber nicht die ganze Garage mit Segeln und Drachen zustellen. Wingfoilen ist da ideal.“
Die Grundidee: ein Brett mit einem Tragflügel drunter – dem Foil – und ein Flügel in der Hand. Kein Mast, keine kilometerlangen Leinen. Aufpumpen, aufs Brett steigen, Wing in den Wind halten – und schon schwebt man übers Wasser, als hätte man heimlich fliegen gelernt. „Das fühlt sich völlig anders an als Windsurfen oder Kiten“, sagt Rozalen. „Du spürst den Wind direkt. Kein Mast, kein Drachen, nur du, der Flügel und der Wind in deinen Armen.“
Der Spaß ist nicht ganz ungefährlich
Dabei ist der Spaß nicht ganz ungefährlich. Foils sind keine weichen Kuscheltiere – wer stürzt, kann unsanft Bekanntschaft mit scharfen Kanten machen. „Helm und Prallschutzweste sind Pflicht“, sagt Rozalen nüchtern. „Und im Badebereich hat so ein Wing nichts verloren – wer einen Badenden mit dem Foil erwischt, hat danach ein Problem. Nicht nur mit mir.“
Was so elegant aussieht, ist in Wahrheit ein raffiniertes physikalisches Spiel: Der Foil unter dem Brett wirkt wie ein Unterwasserflügel, hebt das Board bei Tempo an und reduziert den Wasserwiderstand. Plötzlich fliegt man einen halben Meter über den Wellen, während die Sonnenanbeter am Ufer noch überlegen, ob sie jetzt ins Wasser gehen sollen oder doch lieber noch ein Bier öffnen.
„Die meisten denken am Anfang: ‚Sieht doch easy aus‘“, sagt Rozalen. Und das ist es auch – wenn man den Wing erstmal im Griff hat, klappt das Geradeausfahren schnell. Wenden und Halsen brauchen etwas mehr Übung. Und wer den Tragflügel drunter haben will, sollte ohne Foil erstmal sicher sein, sonst wird’s ein Zirkus.“
Für 90 Euro pro Einzelstunde darf jeder mal auf Brett steigen. „Und wer danach noch aufsteigen will, bucht den dreitägigen Wingfoil-Kurs. 225 Euro. Dafür kann man drei Tage lang das Abheben auf dem Wasser lernen – und am Ende geht es in die Luft. Denn fliegen ist schöner, sage ich immer.
Wer einmal übers Wasser zischt, wird süchtig
Was Cristina nicht sagt, aber jeder versteht: Wer einmal mit 20 Knoten übers Wasser zischt, der liegt danach nicht mehr ganz so gerne den ganzen Tag unter dem Schirm. Die Kühlbox ist plötzlich Nebensache, das Dösen verschoben auf später.
Wingfoiling ist weltweit längst keine exklusive Spielerei von ein paar Freaks mehr. Bei den ersten Weltmeisterschaften 2021 in Frankreich waren über hundert Athleten dabei, und seit 2024 darf das fliegende Brett sogar bei Olympia zeigen, was es kann. Gründe genug also, damit auch der letzte Strand-Faultier-Tourist ein schlechtes Gewissen bekommen dürfte.