Am Mittwochabend war an der Playa de Palma vor allem eines zu spüren: Fußballfieber! Hunderte deutsche Urlauber verfolgten dort das EM-Halbfinale der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen gegen Spanien – mitfiebernd, singend, jubelnd. Obwohl Spanien in der 113. Minute das entscheidende Tor erzielte und die deutschen Hoffnungen auf das Finale damit zunichtemachte, tat das der Stimmung kaum einen Abbruch. Die Fans ließen sich die Laune nicht verderben – im Gegenteil: Die Atmosphäre in den Lokalen Bamboleo, Bierkönig und Sommerland war ausgelassen bis in die Nacht. MM war mittendrin und hat beobachtet, wie am Ballermann nicht nur der Sport, sondern auch die Gemeinschaft gefeiert wurde – trotz des bitteren Ausgangs auf dem Platz.
Rund eine Stunde vor Anpfiff herrschte an der Playa de Palma noch entspannte Urlaubsstimmung. Viele Touristinnen und Touristen sonnten sich am Strand oder genossen einen Drink an der berühmt-berüchtigten Bar des Balneario 6. Doch schon da lag Vorfreude in der Luft: Auffällig viele Passantinnen trugen pinkfarbene Fußballtrikots – und auch zahlreiche Männer zeigten sich bestens eingestimmt. Die Spannung auf das bevorstehende EM-Halbfinale war spürbar.
"Legendär, sind die Damen! Einfach legendär!", rief Jonas aus Mettingen seinen Freunden zu. "Habt ihr die Parade vor vier Tagen im ZDF gesehen? Ich glaube fest daran, dass unsere Frauen das heute gewinnen. Ich bin immer für Deutschland – egal, ob Männer oder Frauen spielen", betonte der 32-Jährige überzeugt. Gleichzeitig bedauerte er, dass die Nationalspielerinnen für ihre Leistung deutlich schlechter bezahlt werden als Männer: "Die liefern eine super Show – und richtig guten Sport." Ein paar Meter weiter zeigte sich auch eine Männergruppe begeistert. "Habt ihr gesehen, wie groß die Berger ist – die Torhüterin?", fragte einer seine drei Kumpel. "Die ist wie Manuel Neuer in weiblich. Und mindestens genauso gut."
Wohin man an diesem Abend schaute und hörte, fiel das Wort "Fußball". Das Ehepaar Gina und André aus Nordrhein-Westfalen kam extra an die Playa, um inmitten der guten Partystimmung dem Spiel beizuwohnen. Am Chiringuito leerten sie eilig ihr Getränk und machten sich auf den Weg ins Feierlokal Bamboleo in der berühmten Schinkenstraße.
Auch die MM-Reporterin begab sich für die weiteren Beobachtungen und den Verlauf des Spieles zunächst ins Bamboleo. Wie gewohnt lief viel Stimmungsmusik, Besucher saßen oder standen an den Tischen. Es schunkelte jedoch niemand. Vielmehr war die Mehrzahl der Anwesenden damit beschäftigt, auf den Fernseher zu schauen und gebannt das Spiel zu verfolgen.
"7:1! Ich sage, wir gewinnen 7:1", schätzte André aus Schleswig-Holstein im Gespräch mit seinem Freund Nils den Spielausgang ein. Die beiden würden sich zwar nicht jedes Spiel anschauen, "aber heute geht es ja schließlich um was!", erklärte Nils, während im Hintergrund die Trinkstimmungslieder unbeirrt weiterliefen. 'Voll normal, dass ich dicht bin, voll normal, dass ich noch laufen kann. Schallalalaaa', trällerte es aus den Boxen. Davon ließ sich Moritz Ritter mit seiner Frau nicht beeindrucken. Beide schätzten die Chancen auf einen Gewinn der deutschen Elf gut ein, obgleich die Spanierinnen laut Ritter rund 70 Prozent mehr am Ball waren und mehr Torchancen gehabt hatten.
Egal, ob bei den Deutschen oder den Spanierinnen – es gab viele verpasste Torchancen. "Man ey, die Spanierin hat nur knapp den Torpfosten mit dem Ball erwischt, der Ball wäre sonst reingegangen", klang es irgendwo von rechts. "Das hätte die Berger nicht halten können – Jetzt geht's ab. Wo kickst Du denn hin?!", schrie ein Mann in der 42. Spielminute und raufte sich die Haare.
Die meisten 'Neiiiins' und 'Aaaachs' zischten die Männer, wobei viele Frauen mitfieberten, jedoch gefasster erschienen und mit einem bedauernden Seufzer ihre Bestürzung ausdrückten. Im spanischen Team hielt die Mallorquinerin Cata Coll aus Pòrtol tapfer die Bälle, sofern sie nicht ganz am Tor vorbeiflogen.
Inzwischen heizte sich die Stimmung nicht nur auf dem Spielfeld auf, auch die Besucher des Bamboleos wurden nervöser und kommentierfreudiger. Moritz Ritter verglich das Spiel der Fußballfrauen mit dem der Männer. "Die Frauen sind bei den Fouls genauso dramatisch wie die Männer", das Gleiche könne er im Handball beobachten. "Sie foulen aber versteckter und etwas fieser. Die gehen ziemlich hart ran", konstatierte Ritter.
Am Nachbartisch feierte Jonas aus Aachen in seinen 26. Geburtstag hinein. Er ist sich sicher, dass die Frauen "einen besseren Job machen als die Männer im vergangenen Jahr." Und ordentlich Party könnten die Frauen auch machen. "Ich bin begeistert, wie weit es unsere Frauen geschafft haben", sagte Jonas happy. Freundin Lena ist großer Fan. "Wir Frauen haben auch ein Recht auf Fußball. Zum Glück gibt es immer weniger, die die Kickerinnen nicht akzeptieren können", sagte sie und strahlte in ihrem pinkfarbenen Trikot übers ganze Gesicht.
Auf der anderen Straßenseite, im Bierkönig, war die Stimmung bereits im fortgeschritteneren, feuchtfröhlichen Zustand. Viele standen auf den Tischen, sangen und tanzten lieber zu den klassischen Ballermann-Liedern, als das Spiel auf den Bildschirmen mitzuverfolgten. 'Ich bin Bier-, Bier-, Bieraktivist, ich kleb' mich an der Theke fest, damit man mich hier saufen lässt', klang Tim Toupets Stimme aus den Lautsprechern. So laut, dass keinerlei Kommentare über den Spielverlauf zu vernehmen waren. Auch nicht am nächsten Fernseher, an dem mehr Gäste das Spiel auf Stühlen sitzend verfolgten. In der Halbzeit machte sich die Reporterin daher auf ins Sommerland, um die Lage dort zu sondieren.
Im Sommerland hatte sich ein Publikum verteilt, das sich noch mehr auf das Spiel konzentrierte. Die gute Stimmung kam natürlich trotzdem nicht zu kurz. Die Gäste saßen an den Tischen und schauten gebannt auf den Bildschirm. Der DJ heizte immer wieder das Publikum an, die Balladen mitzusingen. Die Menge stimmte kurz ein, während die Augen weiterhin am TV verharrten und sich durch nichts ablenken ließen. In der 62. Minute vergaben die Deutschen erneut eine Torchance, und ein Raunen klang durch das Lokal. "Meeensch, neiiin, maaaan, spiel doch", war aus allen Ecken zu vernehmen. "Fouuuuuul", schrien vier Männer empört am Nebentisch. Sie sind offensichtlich wahre Fans, obgleich ihrer Meinung nach ein Vergleich zwischen dem Spiel der Männer und dem der Frauen unangebracht sei.
Die Frauen würden mehr Engagement beim Spielen zeigen. Dass sie viel weniger verdienen als die Männer, sei einfach ungerecht. "Unsere Damen sind härter im Nehmen" beurteilte Uwe aus Rüsselsheim. "Aber vor sechs Jahren, hatten die noch anders gespielt". Ein Foul sei einfacher weggesteckt worden. "Mittlerweile schauspielern die aber genau wie die Männer und lassen sich dramatisch zu Boden fallen, selbst wenn gar nichts passiert ist."
In der Nachspielzeit war vermehrte Fassungslosigkeit zu vernehmen. Männer rauften sich die Haare oder griffen sich an den Kopf, Frauen saßen ebenso gebannt auf den Stühlen und schauten nervöser drein als noch ein paar Minuten zuvor. Als in der 113. Spielminute die Spanierinnen das entscheidende Tor schossen, war den meisten klar, dass das Spiel gelaufen war. Der Stimmung tat das jedoch keinen Abbruch. Die Bedienungen verteilten Wunderkerzen an den Tischen, die angezündet und fröhlich durch die Luft geschwungen wurden. Haben die Spanier verdient gewonnen? Ja, absolut, sind sich alle einig. Und ließen sich dennoch die Laune nicht verderben.
Nach dem Spiel, zahlreichen Gesprächen und Eindrücken begab sich die MM-Reporterin nach Hause und verglich in Gedanken den Männerfußball mit dem Frauenfussball. Geht es bei den Damen genauso heiß her wie bei den Spielen der Herren? Nein, dafür aber erscheint es viel friedlicher. Von Aggressivität oder Missgunst war zumindest an den besuchten Orten an der Playa de Palma nichts zu vernehmen. Das scheint nach persönlichen Beobachtungen bei den Spielen der Männer regelmäßiger aufzutreten.
Die Entwicklung des Frauenfußballs
Die Entwicklung des Frauenfußballs ist enorm. Die Skepsis war noch vor wenigen Jahren spürbar, die Anfänge des Sportes gar belächelt. 1955 verbot der deutsche Fußballverband noch den Frauen die Ausübung des Sports, da es schließlich nicht "in ihrer Natur läge". Erst 1991 organisierte der deutsche DVB widerwillig die erste Frauen-WM.
Heute ist Deutschland die zweiterfolgreichste Mannschaft nach den USA bei Weltmeisterschaften. Die Weltmeistertitel wurde in den Jahren 2003 und 2007 gewonnen. Acht Mal waren die deutschen Frauen Europameister – Rekord! Und dieses Mal haben sie es immerhin bis ins Halbfinale geschafft. Die Beliebtheit des Frauensports ist inzwischen eindeutig gestiegen. Und es scheint so, als ob die Erfolge der Frauen auch endlich von den Männern anerkannt werden. Sogar von den Ballermännern!