Es gibt Ecken auf Mallorca, die aus der Zeit gefallen sind und gerade deswegen immer interessanter werden. Cala Figuera ist so ein Ort. Der heimelige Hafen mit den vielen Llaut-Booten im Südosten der Insel, von wo aus früh morgens wie anno dunnemals die Fischer rausfahren, um dem kobaltblauen Meer frisches Getier zu entreißen, wird zwar durchaus von nicht wenigen Touristen besucht, ist aber alles andere als überlaufen. Und so findet man dort sogar mitten im August seine Ruhe, wenn sich woanders die Urlauber auf die Füße treten.
Scharwenzelt man wie jüngst der MM-Emissär mittags in der südlichen Cala der Zweifingerbucht an den idyllischen Bootshäuschen und den meist weißen Booten vorbei, so hört man von den Balkons der Ferienwohnungen leise das Geklirr von Besteck, während halblaute Gespräche geführt werden. Ein Hund kläfft in großen Abständen eher verhalten aus der Ferne, eine Katze liegt ausgestreckt auf einer Stufe und schaut verschlafen drein, ein Maler hat eine Staffelei aufgebaut und hält die idyllische Szenerie mit Pinselstrichen fest. Am anderen Ufer zieht ein Fischer ein Netz aus einem Boot, im Wasser tummeln sich Fische unterschiedlicher Größen, Krebse glotzen aus kleinen Löchern.
Es muss wohl die ganz besonders authentische Mittelmeerromantik sein, die auch Deutsche fast magnetisch in das bei Santanyí gelegene 770-Einwohnerörtchen gezogen hat. Bundesbürger wie Karl-Heinz Mülle, der das inselweit bekannte Pura-Vida-Restaurant seit schon 18 Jahren managt. „Selbst aus Puerto Portals kommen Deutsche, um hier zu essen”, freut sich der aus dem Ruhrgebiet stammende Harley-Davidson-Fan und schaut auf das offene Meer. Nur an wenigen anderen Orten auf der Insel geht der Blick so sehr in die Weite. „Die Zutaten für die Speisen, die wir hier zubereiten, kommen ausschließlich von der Insel”, sagt Betreiber Mülle. Selbstredend gelte das auch für den Wein. Wenn man bei einer Fischplatte – eine der Lieblingsspeisen der Gäste – neben dem Swimmingpool seine Geschmacksnerven schärft, kann es sein, dass man tief unten zwischen Mallorca und Cabrera Delfine oder gar Wale vorbeiziehen sieht. Und man hat mitunter auch die Möglichkeit, Kunst zu betrachten.
Wie auch jetzt in diesem schweißtreibenden Sommer. Die auf Stiere spezialisierte deutsche Malerin Greta Mila, die eine Galerie in Santanyí betreibt, hat im Pura Vida einige ihrer ins Auge stechenden Werke aufgehängt. Ihre Gemälde passen bestens zu dem zurückhaltend daherkommenden, aber zugleich immer chillig-schickeren Ort.
Entscheidend dazu beigetragen, dass das besonders im oberen Teil der Verrottung anheimgefallene Dorf wieder deutlich properer wurde, hat Mandy Gabelin. Die deutsche Wirtin, die bereits seit vielen Jahren das Momento und seit einigen Wochen auch das Momento Mar bewirtschaftet, engagierte sich dafür, dass unbewohnte ehemalige Hotels und Apartmentanlagen aus den 70ern und 80ern – der Ort war damals ein Anziehungspunkt für ein jüngeres Publikum – abgerissen und im vergangenen Winter durch schicke Einfamilienhäuser mit Pools auf den Dächern ersetzt wurden. „Die Immobilien-Firma Heritage hat hier neun Gebäude errichtet”, weiß die ebenfalls hier seit etlichen Jahren lebende und wirkende Bundesbürgerin. „Sechs davon wurden schon verkauft.” Und damit nicht genug der Modernisierungsprozesse in dem Ort: Das leerstehende Hotel Villa Sirena, von wo aus sich faszinierende Blicke auf das Meer bieten, soll zu einer Wellness-Herberge, die sich gewaschen hat, aufgehübscht werden.
Mandy Gabelin versucht, die zunehmende Anziehungskraft, die Cala Figuera vor allem auf gehobene und solvente Individualisten der legeren Art ausübt, für sich zu nutzen. Mit Pastelltönen hat sie ihr neues Restaurant mittelmeergerecht-romantisch aufbereitet. Von der Terrasse blickt man unter anderem auf eine ausgebaute Höhle, die sich im Besitz der Eigentümerfamilie des deutschen Schuhkonzerns Romika befindet. „Der deutsche Künstler Jochen Maiwald hat im Lokal Fischbilder beigesteuert”, sagt die Wirtin, die bereits mehrfach im deutschen Fernsehen zu sehen war und in ihren Gastbetrieben auch schon Prominente wie den Sänger Jürgen Drews und den Fernseh-Koch Steffen Henssler begrüßte. „Sein zusammen mit mir kreiertes Schnitzel ist hier ein großer Renner”, so Mandy Gabelin.
Womit sich der deutsche Kreis in dem Fischerdorf irgendwie schließt. Angefangen hatte alles Ende der 50er- und Anfang der 60er, als erstmals deutsche Studenten, die vor allem aus Nordrhein-Westfalen kamen, in dieses entlegene Idyll fanden. Ein Idyll, in welchem es damals nur stundenweise Strom gab, auf den Erdstraßen noch Eselskarren unterwegs waren und – Diktator Francisco Franco regierte mit eiserner Faust – Frauen im Bikini wie Wesen vom anderen Stern beäugt wurden. Die Zeit vergeht halt.