Der 21. Juli 2024 dürfte auf Mallorca als ein Tag in Erinnerung bleiben, an dem die Stimmen der Einheimischen laut und unüberhörbar durch die Straßen von Palma hallten. Mehr als 20.000 Menschen hatten sich versammelt, um ihre Besorgnis und ihren Ärger über die unaufhaltsame Flut von Touristen kundzutun, die jedes Jahr auf die Baleareninsel strömt. Es war ein beeindruckendes Spektakel: Eine Menschenmenge, ausgerüstet mit Plakaten und Transparenten, durch die engen, malerischen Gassen der Altstadt marschierend.
Der Protest verlief, abgesehen von der Bemalung der Schaufenster einiger Immobilienmakler sowie an den Fassaden weniger Hotels, friedlich, obwohl die Spannungen zwischen den Demonstranten und den zahlreichen Touristen, die die Insel bevölkern, spürbar waren. Anders als bei ähnlichen Protesten in Barcelona gab es keine Berichte über Wasserpistolengefechte oder andere Feindseligkeiten. Die Parolen auf den Schildern waren unmissverständlich: „Mallorca ist kein Freizeitpark“, „Stoppt den Ausverkauf unserer Heimat“ und „Weniger Tourismus, mehr Leben“. Diese Botschaften reflektierten die tiefe Unzufriedenheit und die dringende Forderung nach Veränderung.
Der Marsch endete am Passeig des Born, der beliebten Flaniermeile und Einkaufsstraße von Palma. Hier verlasen die Organisatoren ein Manifest, das die Menge zu tosendem Applaus bewegte. Darin forderten sie Maßnahmen zur Reduzierung der touristischen Überfüllung, zur Begrenzung des Verkaufs von Immobilien an Ausländer und zur Einschränkung des Kreuzfahrt- und Flugverkehrs. „Wir sind hier, um einen radikalen Richtungswechsel zu fordern“, verkündeten sie, während sie auf die rekordverdächtigen 20 Millionen Touristen hinwiesen, die in diesem Jahr auf den Balearen erwartet werden.
Die Regierung der Balearen reagierte prompt und bemerkenswert klar auf die Demonstrationen. Vizepräsident Antoni Costa zollte den Demonstranten Respekt und versicherte, dass die Regierung „mutige Maßnahmen“ ergreifen werde, um den Herausforderungen des Massentourismus zu begegnen. „Wir verstehen die Besorgnis der Bevölkerung“, sagte Costa. „Der Anstieg der Touristenzahlen ist enorm und wir müssen Grenzen setzen.“
Costa erinnerte daran, dass Ministerpräsidentin Marga Prohens einen Ausschuss für Nachhaltigkeit ins Leben gerufen hat, dem mehr als 140 Organisationen angehören. Dieser Ausschuss soll Lösungen für die Überlastung des Tourismus erarbeiten. „Es wird keine Jahre dauern, sondern Monate“, versprach Costa hinsichtlich der Umsetzung der ersten Vorschläge des Ausschusses. Dennoch betonte er, dass die Regierung keine Entscheidungen treffen werde, bevor kein Konsens erzielt worden sei. „Wir respektieren den Ausschuss sehr und wollen keine eigenen Maßnahmen vorschlagen. Die Lösungen müssen im Rahmen eines sozialen und politischen Pakts für Nachhaltigkeit erarbeitet werden.“
Costa zeigte sich erfreut über den friedlichen Verlauf der Demonstration und lobte die Organisatoren. Er wies Kritik zurück, dass kein Regierungsvertreter an der Demonstration teilgenommen habe, und unterstrich, dass die Regierung ihr Engagement durch Taten, nicht durch die Teilnahme an Demonstrationen zeige. „Wir sind froh, dass es keine Ausschreitungen wie in anderen Regionen gegeben hat“, sagte er.
Der Hoteliersverband der Balearen (Fehm) äußerte sich weniger enthusiastisch. In einer scharf formulierten Pressemitteilung kritisierte der Verband den Vandalismus, der im Zuge der Proteste verübt wurde. Besonders die Sachbeschädigungen an Fassaden und Geschäftseingängen seien ein Schlag ins Gesicht der Tourismusbranche, die für viele Mallorquiner eine wichtige Lebensgrundlage darstelle. „Während wir die Meinungsfreiheit und das Recht auf Versammlung respektieren, können wir den Vandalismus nicht tolerieren“, hieß es.
Der Fehm verwies gleichzeitig aber auf die zahlreichen Probleme, die der Massentourismus mit sich bringe: Illegale Ferienwohnungen, die den Wohnungsmarkt verzerren und die lokale Infrastruktur überlasten. Es fehle an einer ausreichenden Kontrolle des Tourismus, was zu einem unkontrollierten Wachstum der Branche geführt habe. Der Verband forderte daher eine stärkere Regulierung des Tourismussektors, insbesondere im Bereich der Ferienvermietungen, und eine Investition in die Infrastruktur, um die Folgen des Massentourismus abzufedern. „Die Demonstration hat gezeigt, dass die Spannungen zwischen Tourismus und Bevölkerung auf Mallorca weiter zunehmen“, hieß es. Fehm appellierte an alle Beteiligten, den Dialog zu suchen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Der deutsche Reiseverband DRV zeigte sich besorgt über die Entwicklung, betonte jedoch die Wichtigkeit des Tourismus für die wirtschaftliche Stabilität. „Die spanischen Zielgebiete sind bei den Deutschen in den Sommermonaten überaus beliebt – so auch in diesem Jahr“, sagte ein Sprecher des DRV. Mallorca bleibt ein Top-Reiseziel, obwohl das Thema Overtourism immer wieder für Diskussionen sorgt.
Der Verband betonte die Notwendigkeit, eine Balance zwischen den Vorteilen des Tourismus und dessen negativen Folgen zu finden. Vorschläge wie die Verlängerung der Saisonzeiten und die Besucherlenkung durch Apps wurden als mögliche Lösungen genannt. „Wichtig ist die richtige Balance“, sagte der Sprecher. „Kein Urlauber möchte in Zielgebiete reisen, in denen er nicht willkommen ist, und die Bewohner der Zielgebiete wollen bezahlbaren Wohnraum und nicht permanent verstopfte Straßen.“
Eine Umfrage des Versicherungsunternehmens HanseMerkur in Deutschland hatte wenige Tage vor der Demo gezeigt, dass ein Drittel der Deutschen plant, von Massentourismus betroffene Reiseziele künftig zu meiden. Besonders bei den 25- bis 34-Jährigen scheint das Bewusstsein für die Folgen des Massentourismus gewachsen zu sein. Fast die Hälfte dieser Altersgruppe gab an, wegen der Proteste andere Urlaubsziele in Betracht ziehen zu wollen. Ein grundlegendes Verständnis für die Proteste besteht laut Umfrage bei 90 Prozent der Teilnehmer, nur neun Prozent halten sie für überzogen. Allerdings zeige nur die Hälfte der Befragten auch eine Bereitschaft, ihr Verhalten anzupassen – Preis und Komfort stehen für 40 Prozent weiterhin im Fokus.
Vor Ort auf Mallorca äußerten sich Urlauber unterschiedlich zu der Demonstration. In einer MM-Umfrage in Palma (S. 20) beurteilte Jan Schwenk aus Leipzig die Proteste „gut“ und meinte, die Einheimischen hätten das Recht, in Ruhe zu leben. Holger, Anna und Kilian aus Rheinland-Pfalz zeigten ebenfalls Verständnis für die schwierige Lage der Einheimischen, wiesen jedoch darauf hin, dass sie selbst Teil des Problems seien.
Aber Gegenbewegungen ließen nicht lange auf sich warten. Eine kleine Gruppe von Pro-Tourismus-Aktivisten verteilte am Tag nach der Demo bunte Aufkleber an Urlauber und verwies auf die Webseite welovetourismmallorca.com. Pablo und Guillermo, die Sprecher der Initiative, erklärten, dass ihr Anliegen darin bestehe, eine positive Nachricht zu verbreiten und den Tourismus nicht zu verteufeln. „Wir möchten zum Ausdruck bringen, dass Mallorca Besuchern gegenüber aufgeschlossen ist“, sagten sie und betonten, dass der Tourismus Tausenden Menschen auf der Insel ein Einkommen sichere.
Die Initiative lädt auf ihrer Webseite dazu ein, Vorschläge zur Verbesserung der Situation einzureichen und verspricht, diese an die Expertengruppe der balearischen Regierung weiterzuleiten. „Gesucht wird ein Weg in eine bessere Zukunft für alle“, heißt es auf der Webseite.
Die Demonstrationen und die unterschiedlichen Reaktionen darauf verdeutlichen die tiefen Spannungen, die der Massentourismus auf Mallorca erzeugt. Die Insel steht vor der Herausforderung, eine Balance zwischen wirtschaftlichem Nutzen und sozialer sowie ökologischer Nachhaltigkeit zu finden. Während die Regierung der Balearen mutige Maßnahmen verspricht und Hoteliers stärkere Regulierung fordern, zeigen Umfragen, dass auch die Urlauber zunehmend sensibel für das Thema werden.