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Touristen

Eine explosive Mischung: So sehr spaltet die Massifizierung die Gesellschaft auf Mallorca

Für und Wider des Massentourismus sorgen auf Mallorca weiter für Spannungen. Für Sonntag, 15. Juni, ist eine erneute Großdemonstration geplant. Eine MM-Analyse

Mit Bedacht gewählt: Die Aktivisten trafen sich am Samstagmittag im Parc de la Mar | Foto: Jonas Martiny

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Ein glänzend schwarzer Kleinbus hält direkt am Parc de la Mar mitten in Palmas Altstadt. Noch sind die Insassen hinter dunklen Scheiben verborgen. Dann springt der Beifahrer aus dem Fahrzeug und öffnet diensteifrig die Schiebetür. Eine Gruppe junger Leute tritt ins gleißende Sonnenlicht, goldene Kettchen und gegelte Haare glitzern. Leinenhemden flattern in der Brise, die aus dem nahe gelegenen Yachthafen herüberweht. Die Gruppe schlendert hinüber zur Kathedrale, vorbei an einer Gruppe Touristen, die im Schatten einer der Kiefern den Erklärungen ihres Stadtführers lauschen. Kunsthandwerker bieten an Marktständen ihre Waren feil. Vier Schwarzafrikaner haben auf dem Boden vor sich Fußballtrikots und Handtaschen ausgebreitet – Imitate, wie an den Ramschpreisen zu erkennen ist. Als zwei Polizisten angeschlendert kommen, raffen sie ihr Hab und Gut im Nu zu einem enormen Bündel zusammen und machen sich davon.

Ein ganz normaler Frühsommertag in Palmas Altstadt, sollte man meinen. Etwas aber ist anders als sonst: Auch ein Dutzend Mallorquiner haben sich an diesem Samstagmorgen eingefunden. Sie halten Plakate in die Höhe, auf denen zu lesen ist: „Für das Recht auf ein würdevolles Leben: Stoppen wir die Touristifizierung!” Die tourismuskritische Plattform „Menys turisme, mes vida” (Weniger Tourismus, mehr Leben) hat zur Pressekonferenz geladen, um über die Pläne für die nächste große Protestveranstaltung zu informieren. Der Ort ist mit Bedacht gewählt: Nicht in irgendeinem Hinterzimmer wollten die Aktivisten ihr Vorhaben der Öffentlichkeit vorstellen, sondern an einem der Orte in Palma, der üblicherweise fest in der Hand der Touristen ist. Die angeprangerte „Touristifizierung” ist hier auf den ersten Blick sichtbar.

„Die Saison hat bereits mit unerträglichen Situationen in Gemeinden wie Sóller, Artà und Palma begonnen”, sagt Jaume Pujol, Sprecher der Plattform, der ein Manifest verliest. „Straßen werden für touristische Sportveranstaltungen gesperrt, Kreuzfahrten erreichen Rekordzahlen, Plätze und Märkte sind mit Touristen überfüllt und das Problem der Wohnraumknappheit wird immer dringlicher und bleibt ungelöst”, heißt es darin. „Angesichts dieser empörenden Realität müssen wir uns erneut Gehör verschaffen: Das Tourismusmodell macht uns arm und führt zum Zusammenbruch.” Deshalb gehe man nun wieder auf die Straße, wie bereits im vergangenen Jahr. Damals hatten spanienweite Proteste international für Aufsehen gesorgt. In Palma demonstrierten zunächst im Mai rund 15.000, im Juli dann noch einmal mehr als 10.000 Menschen.

Jaume Pujol rechnet damit, dass sich wie damals erneut mehr als 100 Organisationen dem Aufruf der Plattform anschließen werden. Derzeit sind es 60. Auch in anderen Städten Spaniens, Italiens und Portugals sind an dem Tag ähnliche Aktionen geplant. Es steige die Zahl der Menschen, die unter den negativen Folgen des Massentourismus leiden, so Pujol. „Wir sind viele und werden immer mehr – Einwohner, Arbeitnehmer in direkt und indirekt mit dem Tourismus verbundenen Branchen, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, junge Menschen, die wegziehen müssen, weil sie keine Arbeit oder keine Wohnung finden.”

Neben Umweltschutzgruppen und Bürgervereinigungen gehört auch die Gewerkschaft Comisiones Obreras zu den Unterzeichnern des Manifests. Auch dort beschreibt man die derzeitige Lage mit drastischen Worten, und das, obwohl die Arbeitsmarktzahlen belegen, dass auf Mallorca nahezu Vollbeschäftigung herrscht. „Es ist inakzeptabel, dass es Arbeitnehmer gibt, die ihren Lebensunterhalt nicht auf würdevolle Weise bestreiten können und dass es ein Luxus geworden ist, sich Lebensmittel und eine Wohnung leisten zu können”, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme. Auch deshalb fordern die Gewerkschaften in den derzeit laufenden Tarifverhandlungen deutliche Lohnerhöhungen (siehe Seite 15).

Tatsächlich spitzt sich die Lage auf Mallorca für viele Menschen seit geraumer Zeit immer weiter zu. Vor allem die hohen Lebenshaltungskosten übersteigen die Möglichkeiten vieler Berufstätiger. Immer mehr Menschen leben in Wohngemeinschaften, weil die Mieten für Normalverdiener unerschwinglich geworden sind. Auch entstehen immer neue Baracken- und Wohnwagensiedlungen. Gleichzeitig wachsen die Touristenzahlen weiter unaufhaltsam. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Insel mit fast 13,4 Millionen einen Besucherrekord. Und auch in diesem Jahr geht es so weiter: In den ersten vier Monaten des Jahres kamen fast drei Millionen Touristen auf die Balearen – ein Plus von acht Prozent im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum. Die vom Tourismus abhängige Inselwirtschaft brummt also. Das Gedränge im Straßenverkehr, in den Innenstädten, an den Stränden ist entsprechend groß. Die Infrastruktur stößt unübersehbar an ihre Grenzen. Dazu kommt die zunehmende Entfremdung: Vielerorts verschwindet der traditionelle Einzelhandel, alteingesessene Bewohner müssen ihre Stadtviertel oder Dörfer verlassen, weil sie sich das Leben dort schlicht nicht mehr leisten können.

Die konservative Balearen-Regierung beteuert, die Probleme erkannt zu haben, allem voran den Mangel an günstigem Wohnraum. Mit verschiedenen Maßnahmen versucht man nun gegenzusteuern. Insbesondere werden Bauvorschriften gelockert, was wiederum die Umweltschützer erzürnt. Der soziale Wohnungsbau wird dagegen weiterhin vernachlässigt. In Sachen Verkehr setzt die Politik eher auf einen Ausbau der Straßeninfrastruktur, als auf eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Zwar hat sich Ministerpräsidentin Marga Prohens mittlerweile klar für eine Begrenzung des Tourismus ausgesprochen, konkrete Maßnahmen hat das aber noch nicht nach sich gezogen. Sowohl die Pläne zur Anhebung der Übernachtungssteuer, als auch die angedachte Sonderabgabe für Mietwagen wurden letztendlich nicht weiter verfolgt. Stattdessen garantiert die Regierung den Fortbestand der rund 90.000 Ferienvermietungslizenzen, die bislang unter bestimmten Voraussetzungen verfielen. Lediglich der Inselrat arbeitet derzeit an einer Beschränkung für nicht auf der Insel zugelassene Fahrzeuge, wie sie auf Ibiza und Formentera bereits in Kraft ist. Auch den Kampf gegen die illegale Ferienvermietung hat die zuständige Inselratsbehörde intensiviert.

Die Aktivisten im Parc de la Mar sind jedenfalls enttäuscht von der Politik. „Wir gehen wieder auf die Straße, um ,Stopp’ zu sagen und wir werden dies so oft tun, wie es nötig ist”, sagt Jaume Pujol. Die Demonstration am Sonntag, 15. Juni (18 Uhr), startet wie schon im vergangenen Jahr auch diesmal wieder auf der Plaça d’Espanya. Eines steht jetzt schon fest: Der zentrale Platz wird dann fest in der Hand der Mallorquiner sein.

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