In dem Gewerbegebiet von Consell, wo jeden Sonntag der inselweit beliebte Flohmarkt Tausende von Schaulustigen anlockt, ist der Schriftzug an dem hohen Industriegebäude schon von Weitem zu sehen. "Bionorica extracts S.l." steht dort in großen Lettern. "Hier ist der Beginn von Medikamenten, die in der Natur Mallorcas gewachsen sind", sagt die Direktorin Nati Gómez. Das Inselunternehmen ist Teil des deutschen Pharmaherstellers Bionorica, der im oberpfälzischen Neumarkt Arzneimittel aus Heilpflanzen wie Sinupret und Bronchipret produziert und damit zum Marktführer in zahlreichen Staaten in Europa und Asien geworden ist.
Auch der Standort in Consell hat in den vergangenen Jahren ein massives Wachstum in Produktion und Personal erfahren. "2008 waren hier 26 Mitarbeiter beschäftigt, 2017 zählen wir mittlerweile 50 Mitarbeiter", sagt Gómez. Ebenso war die Erweiterung des Gebäudes notwendig geworden. Der Inhaber des Unternehmens, der deutsche Pharmazie-Professor Michael Popp, veranlasste den stetigen Ausbau der Verwaltungs-, Labor- und Produktionsbereiche. Letztlich wurden die Kapazitäten nahezu verdoppelt.
"Diese Edelstahlbehälter machen unser Wachstum besonders gut deutlich", sagt Produktionsleiter Javier Agueda und zeigt auf eine Reihe von kesselartigen Silos: "Früher reichten uns 5000 Liter Behälter, dann benötigten wir solche mit 20.000 Litern und jetzt sind wir bei 50.000 Litern Fassungsvermögen angekommen." Jene Behältnisse ragen auf dem Innenhof der Anlage wie Raketen zwölf Meter in die Höhe.
Der Name Extracts ist Programm und zeigt an, was in Consell unter deutschen Auspizien geschieht: Hier werden Heilpflanzen verarbeitet, um an ihre Wirkstoffe heranzukommen. Hierfür kennt die Industrie diverse Verfahren, erklärt der Leiter der Qualitätssicherung Jaime Salas. Frisch angelieferte Kräuter wie Thymian, Rosmarin und Purpurfarbener Sonnenhut werden gepresst. Die dabei gewonnenen Pflanzensäfte werden entweder aufgefangen oder unter Wasserentzug eingedickt und konzentriert.
Bei anderen Pflanzen werden die Wirkstoffe extrahiert, also ausgezogen, indem man sie etwa in einer Alkohollösung einlegt. Wieder andere Pflanzen müssen aufwendig getrocknet werden, um am Ende des Prozesses den Wirkstoff in Form von Pulver erhalten zu können.
"Wir haben dazu in langjährigen Erfahrungen die besten Verfahren entwickelt", sagt Agueda. Dabei werden die Heilpflanzen nicht etwa in die Sonne gelegt, sondern in einer Trocknungshalle schonend bei 40 Grad zwölf bis 14 Stunden von warmer Luft umflossen. Die Wärme dazu produziert Bionorica über Öfen, in denen Mandelschalen von der Agrarkooperative nebenan verbrannt werden. Eine Idee, die ebenfalls auf Professor Popp zurückgeführt wird. "Wir achten bei allen Produktionsschritten auf höchste Nachhaltigkeit", sagt Salas.
Eröffnet wurde der Bionorica-Extracts-Standort in Consell im Jahre 1994. Das Unternehmen lässt auf einer Fläche von bis zu 100 Hektar Inselscholle zehn verschiedene Heilpflanzen anbauen, unter ihnen auch Mönchspfeffer, Königsartischocke, Liebstöckel, Eisenkraut. Schon bevor die Samen in die Erde kommen, sind die Eltern- und Großelternpflanzen von den Chemikern bis ins Detail auf ihre Wirkstoffe und deren Gehalt überprüft und ausgewählt worden. Die Pflanzenwelt wird damit wie von Ingenieuren vermessen, bewertet, aufeinander abgestimmt. "Phytoneering", nennt Bionorica das Zusammenbringen der Pflanzenwelt (Phyto) mit der wissenschaftlich-technischen Welt des Austüftelns und des Gestaltens, Englisch: Ingeneering. "Jeder Schritt, von der Aussaat über Wachstum und Ernte bis hin zur Verarbeitung wird ständig qualitativ überwacht und lässt sich transparent durch alle Stadien zurückverfolgen", betonen Salas und Agueda.
Ihr Arbeitgeber Michael Popp hat den 1933 von seinem Großvater in Nürnberg gegründeten Familienbetrieb in den vergangenen drei Jahrzehnten in unermüdlicher Arbeit zu einem Globalplayer mit 1500 Mitarbeitern erweitert. "Mallorca hat eine hohe Bedeutung für mich und mein Unternehmen", teilt der Firmenchef mit. Sowohl für den Standort in Consell als auch für das Pharmaunternehmen Bionorica in Deutschland gelte: "Wir wachsen organisch."
Der Rundgang durch die Anlage endet im Lager mit den riesigen "Big Bags"-Bündeln. "Hier musst du dich bei Erkältungen nur ein Stunde aufhalten, und schon bist du gesund", scherzt Javier Agueda. Es duftet in überwältiger Opulenz nach Thymian und Rosmarin.
Doch in Consell werden nicht nur Inselgewächse, sondern auch Heilpflanzen und ihre Erzeugnisse aus vielen Teilen der Welt analysiert und verarbeitet. Etwa Myrrhe, jenes biblische Gummiharz der Balsambäume. Wie Bernsteingranulat sieht der Stoff aus, der eigens aus Somalia nach Mallorca gelangt.
Die Insel ist als Anbaugebiet für mediterrane Heilpflanzen geradezu ideal: "Auf Mallorca gibt es keine Industrie, die die Pflanzen mit Schwermetallen belasten könnte", sagt Agueda. Zudem biete die Insel kurze Wege zwischen den Anbauflächen und dem Verarbeitungszentrum in Consell. Hinzu komme die gute Anbindung der Insel per Flugzeug und Schiff. "Jede Woche fährt ein Lastwagen von hier in drei Tagen zum Bionorica-Hauptsitz nach Nordbayern, um dort unser Material zu entladen. Dann benötigt er drei Tage zurück, und bringt auch Rohmaterialien mit, die wir hier zusätzlich verarbeiten", ergänzt Direktorin Nati Gómez. Oft sei der Laster so voll, "dass kaum noch eine einzige Palette hineinpasst."
(aus MM 40/2017)