Ihre Augen fangen leicht an zu glänzen, als sie den Satz ausspricht. „Es ist meine Familie“, sagt Paquita Gómez aus der Feinkostabteilung im zweiten Stock in Palmas Warenhaus El Corte Inglés. Mit Familie meint sie Spaniens größte Warenhauskette. Seit 25 Jahren arbeitet sie hier als Verkäuferin, kennt die edlen Käse- und Wurstsorten in- und auswendig, die exotischen Knusper-Chips aus frittiertem Speck, weiß, dass deutsche Kunden vor allem Wein aus der Ecke von Felanitx wünschen. Ihre „Familie“ hat rund 88.000 weitere Mitglieder. So viele Angestellte beschäftigt der Branchenriese in seinen 90 Filialen. Palmas Niederlassung gehört zu den jüngsten des Konzerns. Dieses Jahr feiert sie 25 Jahre Bestehen.
Der Name El Corte Inglés bedeutet „Der englische Schnitt“. Der Ursprung des heute europaweit erfolgreichsten Warenhauses war eine Schneiderei für Kinderbekleidung, die 1890 gegründet wurde. Das Ur-Haus steht in Madrid und wurde 1940 Teil einer Aktiengesellschaft. Der Umsatz kann sich sehen lassen. 2019 waren es 15 Milliarden Euro.
Ein Hauch von Glanz umweht den Namen des Kaufhauses noch heute, die grün-schwarzen Einkaufstüten der Marke vermitteln Weltläufigkeit und Qualität. Das Konzept des Hauses möchte sich einreihen in große Warenhäuser wie die Galeries Lafayette in Paris oder das legendäre KaDeWe in Berlin, in dessen oberstem Stock man gerne Austern schlürft und sich einen guten Wein für 60 Euro einschenken lässt.
Im dritten Stockwerk des Palmesaner Kaufhauses lässt Pilar Embu ihren erfahrenen Verkäuferinnenblick durch die Abteilung für die männliche Jugend schweifen. Kapuzenpullis, Jeans aber auch elegante Hemden oder Sakkos gehören zu ihrem Hoheitsgebiet. „Männer sind unkompliziert im Einkauf“, sagt sie und lacht hinter ihrer weißen Maske, passend zur schwarz-weißen Uniform. Wenn ein Mann sich zum Einkauf aufgerafft habe, sei der schwierigste Schritt bereits getan. Dann müsse man ihn sich schnappen und charmant und ohne Druck in die richtige Richtung lenken, sagt sie aus Erfahrung. Genau wie Paquita fühlt sich Pilar mit ihrem Arbeitgeber eng verbandelt. Wie ein zweites Zuhause sei es für sie zwischen den Jeans und lockeren Kapuzenpullis. Auch sie ist eine treue Arbeitnehmerin, seit 25 Jahren dabei.
Doch so einfach war es nicht, die tendenziell verschlossenen Insulaner für das Warenhauskonzept zu begeistern. Die hiesigen Einzelhändler fürchteten um ihre Existenz und machten dem Verkaufsriesen in den 1990er-Jahren die Eröffnung schwer. Auch die Frage nach dem „Wo“ war komplex. Zentral sollte die Filiale liegen und nicht abgelegen in einem Industriegebiet. Doch im Stadtkern gab es keine leerstehende Brache, die nur darauf wartete, bebaut zu werden. Das Gebiet, auf dem das Warenhaus heute steht, war ein großer Block mit Wohn- und Geschäftshäusern. Wie eine große Wunde klaffte der Aushub der Baustelle zwischen den angrenzenden Gebäuden. Pressesprecher Antonio Sánchez holt ein in dunkelrotes Leder eingebundenes Album hervor. Bild für Bild der Entstehungsgeschichte ist hier eingeklebt.
„Man wurde sich mit den Besitzern einig“, erzählt er. Der Tunnel, der heute von der viel befahrenen Straße rund um Palmas Altstadt abgeht, war Voraussetzung für den Zuschlag und Teil des Deals. „El Corte Inglés hat diesen Tunnel für mehrere Millionen Euro, damals noch Peseten, gebaut“. Im März 1996 kam dann noch die kleinere Filiale an der Jaime III hinzu. Dort war zuvor die Kette Galerías Preciados, die Konkurrenz des Corte Inglés in den 1950er- und 60er-Jahren.
„Für den Handel war es ein positiver Schub“, ist Sánchez überzeugt. Während in anderen spanischen Städten wie Sevilla oder Valencia schon längst Filialen existierten, kaufte man in Palma fast ausschließlich in kleinen Lädchen und Fachgeschäften ein. „Auch wenn der Handel Widerstand aufbot, die Bürger waren begeistert“, ist Antonio Sánchez überzeugt. Es gab besondere Angebote, die Corte-Inglés-Karte war ein Prestigeaushängeschild zu der Zeit. Auch als Arbeitgeber wirkte diese Investition wie eine Frischluftkur.
„Heute sprechen wir eine breite Kundschaft an“, sagt der Mallorquiner. Neben den hauseigenen Marken für den kleineren Geldbeutel gebe es Edelmarken, die Anklang bei gut betuchten Käufern fänden. Nirgends in Palma gibt es eine derart breite Palette von Lebensmitteln wie in dem im Untergeschoss gelegenen Supermarkt. Man kann zwischen deutschen, englischen oder irischen Biersorten wählen, mindestens fünf Regale mit verschiedenen Rotweinen reihen sich aneinander.
2020 ist das Jahr des 25-jährigen Bestehens. Doch trotz Jubiläum kommt keine richtige Feierstimmung in diesen von Corona geprägten Zeiten auf. „Große geplante Events wie Konzerte mussten wir absagen“, sagt Sánchez. Man halte es bescheiden und werde vor allem mit den Mitarbeitern, der „Familie“, feiern. Für die Kunden gebe es Sonderangebote.
Zurück im dritten Stock bei Pilar. Es ist ruhig in der Abteilung. Anfang Oktober, die Touristenströme, die dieses Jahr nie richtig in Fahrt kamen, sind versiegt. Einige wenige Menschen verlieren sich zwischen den Kleidungsständern. Die schwarz-weiß uniformierten Verkäuferinnen stehen dennoch aufmerksam und freundlich zwischen Jacken, Taschen oder Schmuck. Pilar lässt sich nicht unterkriegen und verrät ihr Erfolgsgeheimnis als Verkäuferin. Freundliche, diskrete Beratung sei das Zauberwort, vor allem bei Insulanern. „Der mallorquinische Kunde mag keinen Druck von außen. Am besten man lässt ihn zunächst ein wenig alleine schauen und gesellt sich dann unauffällig dazu, um Hilfe anzubieten. Ich stelle mich mit meinem Namen vor, das schafft Nähe und Vertrauen“, sagt sie. Als Profi der alten Schule begleitet sie die Kunden von Anfang bis Ende. Das Ende ist das ersehnte Klingeln in der Kasse und ein zufriedener Mensch, der die grün-schwarze Tüte nach draußen trägt.