Militärischer Konflikt in der Ukraine, die Auswirkungen der Corona-Pandemie: Auf dem Wirtschaftsforum Neu Denken, das vom deutschsprachigen Steuerbüro PlattesGroup veranstaltet wird, werden die großen Probleme der Aktualität behandelt. Steueranwalt Prof. Dr. Jens Schönfeld ist einer der Initiatoren der Veranstaltung. Im MM-Interview spricht er darüber, wie sich die Arbeitswelt verändert hat und warum es so viele Deutsche nach Mallorca zieht
Frage: Herr Prof. Schönfeld, Europa steht vor großen Veränderungen. Ein Grund dafür ist der Ukraine-Krieg. Wie fangen Sie diese Themen beim Wirtschaftsforum Neu Denken auf?
Antwort: Der Ausnahmezustand ist zur neuen Normalität geworden – bedingt durch Krieg, zerstörte europäische Friedensordnung, geopolitische Verschiebungen, drohende Hungersnöte und Inflation. Der Erhalt der Lebensgrundlage zukünftiger Generationen ist gefährdet wie nie. Wir sind gezwungen, NEU zu DENKEN. Mögliche Lösungen können nicht in einem Silodenken erarbeitet werden. Sinn, Zweck und Möglichkeiten können nur im Dialog auf den Weg gebracht werden. Wir diskutieren mit beeindruckenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft über die drängenden Fragen unserer Zeit: Mehr unter: neu-denken.net So ist es Sabine Christiansen, die auch in diesem Jahr wieder die Organisation und Konferenzleitung übernimmt, gelungen, unter anderem Nina Chruschtschowa, Urenkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow, als Referentin zu gewinnen.
Frage: Wie es aussieht, ist zumindest die Corona-Pandemie weitestgehend überstanden. Welche Konsequenzen, welche Erkenntnisse können wir für das Arbeiten feststellen?
Antwort: Das Arbeitsumfeld hat sich verändert und viele Unternehmer haben erkannt, dass sie im Zweifel das Unternehmen auch aus der Ferne steuern können. Das führt dann dazu, dass sie sich überlegen, wo sie mit ihrer Familie leben wollen. Je nach der persönlichen Situation zieht es sie dann in verschiedene Länder. Das kann Mallorca sein, aber auch Frankreich, Italien, Portugal, die USA, Israel oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Inwieweit das in der Praxis umsetzbar ist, hängt natürlich von der Art des Unternehmens und des übrigen Vermögens sowie der familiären Situation ab.
Frage: Ist das Vertrauen zwischen Unternehmensführung und Arbeitnehmern durch die neue Arbeitssituation gewachsen?
Antwort: Diejenigen, die schon vorher einen Führungsstil hatten, der auf Vertrauen basierte, sind sicherlich besser durch die Krise gekommen. In unserem Unternehmen haben wir schon vor Jahren verstanden, dass wir die Toptalente nur bekommen, wenn wir den Mitarbeitern die Freiheit geben, da zu arbeiten, wo sie wollen. Das verlangt natürlich viel Disziplin, viel Kommunikation, aber auch viel Vertrauen. Die Pandemie hat dabei geholfen, mobiles Arbeiten zur Normalität werden zu lassen. Hier haben sich je nach Branche fast schon gewisse Marktstandards entwickelt.
Frage: Immobilienmakler auf der Insel berichten von einem Boom bei hochpreisigen Immobilien. Wie betrachten Sie den Run auf Mallorca aus deutscher Perspektive?
Antwort: Diese Entwicklung lässt sich nicht nur mit dem besseren Wetter erklären. Mallorca bietet eine Top-Infrastruktur, es gibt gute Schulen, ein Gefühl von Sicherheit. Außerdem fliegt man in zwei Stunden nach Deutschland. Der Krieg hat den Run der letzten Jahre dabei sicherlich noch einmal zusätzlich befeuert: Den Menschen gibt es einfach ein gutes Gefühl, im Notfall einen Zufluchtsort in einer Region zu haben, die strategisch eher am Rande etwaiger kriegerischer Interessen liegt – um es einmal vorsichtig zu formulieren, und mit Fischfang kommt man dann schon irgendwie über die Runden. Hinzu kommt die galoppierende Inflation – für viele ist die Mallorca-Immobilie auch ein Inflations-Hedge mit positiven emotionalen Nebeneffekten.
Frage: Wie kommt es, dass gefühlt so viele Menschen aus Deutschland wegziehen wollen?
Antwort: Die Gründe dafür sind sehr vielfältig: Zum einen sicherlich die neue Freiheit, die man über mobiles und virtuelles Arbeiten gewonnen hat. Und auch wenn Deutschland einige schöne Facetten hat, gibt es doch Länder, die nicht nur vom Wetter her, sondern auch aus anderen Gründen lebenswerter sind. Für viele spielen dabei auch Aspekte wie Sicherheit und Ausbildung der Kinder eine entscheidende Rolle. Hier hat Deutschland in den letzten Jahren nicht unbedingt dazu gewonnen, andere Länder aber schon. Und nehmen wir als Beispiel einfach Mallorca: Auf einer Insel zu leben ist unter Sicherheitsaspekten sicherlich nicht die schlechteste Wahl. Und was die schulische Ausbildung der Kinder anbelangt, so hat Mallorca eine Dichte an internationalen Schulen, wie kaum eine andere vergleichbare Region in Europa. Hier hat sich Mallorca in den letzten Jahren auch noch einmal richtig positiv entwickelt. Das ist übrigens auch eine wichtige Erkenntnis: Den wegziehenden Menschen folgen typischerweise Menschen in deren Umfeld, seien es Berater oder Lehrer o. ä.. Das verstärkt den Prozess noch einmal.
Frage: Was muss man steuerlich beachten, wenn man als Unternehmer nach Mallorca ziehen möchte?
Antwort: Mallorca ist alles andere als eine Steueroase. Es gibt hier beispielsweise eine Vermögensteuer. Diese ist eigentlich das größte (emotionale) Hindernis für einen dauerhaften Zuzug von Unternehmern und vermögenden Privatpersonen nach Mallorca. Es wäre gut, wenn die Regierung der Balearen – trotz aller politischer Kontroversen, die man über eine Vermögensteuer führen kann – dies erkennen würde. Als Beispiel könnte man sich Frankreich nehmen: Auch hier gab es früher eine Vermögensteuer auf das Weltvermögen, mittlerweile ist dies auf französischen Immobilienbesitz beschränkt. Die Franzosen werden wissen, warum sie das gemacht haben. Für Mallorca könnte das auch deshalb Vorbild sein, weil auch hier deine Immobilien den Großteil des Vermögensteueraufkommens ausmachen. Aus deutscher Sicht muss man sich als Unternehmer zudem anschauen, ob die deutsche Wegzugssteuer anfällt. Das ist der Fall, wenn man an einer Kapitalgesellschaft mit mindestens ein Prozent beteiligt ist. Auf die stillen Reserven, also das Wertwachstum, das das Unternehmen in der Zeit der Beteiligung erfahren hat, fallen 28 Prozent Steuern an.
Frage: Stimmt es, dass die Wegzugsbesteuerung ab diesem Jahr verschärft wurde?
Antwort: Ja, das ist richtig. Bislang konnte die Wegzugssteuer bei einem Umzug innerhalb der EU, also auch nach Mallorca, dauerhaft und zinslos gestundet werden. Ab diesem Jahr ist das nicht mehr möglich. Nun muss die Wegzugssteuer entweder sofort oder in sieben Jahresraten gezahlt werden. Falls man mit Rückkehrabsicht wegzieht, kann man unabhängig davon sieben Jahre wegbleiben, plus einmaliger Verlängerungsoption um fünf Jahre, muss aber Sicherheiten für die Wegzugssteuer hinterlegen. Nach sieben plus fünf Jahren muss man aber auch wirklich zurück nach Deutschland! Aus meiner Sicht ein klarer Verstoß gegen den Geist der Europäischen Verträge, insbesondere gegen das dort niedergelegte und ganz zentrale Recht auf Freizügigkeit. Deshalb haben wir auch bei der Europäischen Kommission eine offizielle Beschwerde eingereicht, schauen wir mal, ob die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet. Aus meiner Sicht ist der Verstoß aber so eklatant, dass ich mir eigentlich kein anderes Ergebnis vorstellen kann. Es ist auch in sich widersprüchlich, wenn sich Deutschland einerseits als „Musterland“ der Europäischen Union gibt, andererseits aber seine Bürger offen daran hindert, von den EU-rechtlich verbürgten Grundfreiheiten Gebrauch zu machen. Am Ende darf es eben keinen Unterschied machen, ob ich von Berlin nach München oder von Berlin nach Mallorca ziehe…
Frage: Sie selbst besitzen ein Haus auf der Insel. Ist Mallorca für Sie in Zukunft ein Standort, um als deutscher Steueranwalt tätig zu werden?
Antwort: Wir begleiten seit vielen Jahren Unternehmer und vermögende Privatpersonen, die ihren Wohnsitz nach Mallorca verlegen. Es gibt deshalb in der Tat erste Überlegungen, das Engagement unseres Unternehmens hier zu verstärken. Ich bin natürlich am besten da, wo unsere Mandanten sind. Und wenn die auf der Insel sind, ist es naheliegend, selbst vor Ort zu sein. Zudem macht es einfach auch sehr viel Freude, mit unserem ganz herausragenden und bestens vernetzten Partner auf der Insel, Wilhelm Plattes von der PlattesGroup, unternehmerische Ideen zu entwickeln. Darüber hinaus verbindet uns auch mittlerweile eine ganz besondere persönliche Freundschaft. Das passt übrigens ganz gut zu einem zentralen Lebensmotto von mir, das ich seit meinem 50. Geburtstag verfolge: nur mit Menschen zu arbeiten, die einem gut tun. Willi Plattes gehört dazu.
Frage: Wo sehen Sie Mallorca in zehn Jahren?
Antwort: Der Anteil derjenigen deutschen Unternehmer und vermögenden Privatpersonen, die ihren Lebensmittelpunkt hier haben, wird noch einmal deutlich gewachsen sein. Hinzu kommen diejenigen Menschen, die solchen Personen typischerweise folgen. Dazu gesellen sich Kreative und all diejenigen, die mobil arbeiten können. Für die Insel ist das alles andere als schlecht. Wir werden Palma als eine Stadt erleben, die es mit anderen europäischen Metropolen ohne Probleme aufnehmen kann. Und auch eine Vermögensteuer wird es nicht mehr (oder – wie in Frankreich – nur noch auf spanisches Immobilienvermögen) geben, weil die Regierung erkannt hat, dass diese Steuer, wenn sie auch unternehmerisches Vermögen erfasst, den von mir beschriebenen Entwicklungsprozess einfach zu sehr verlangsamt.
Prof. Dr. Jens Schönfeld ist Steueranwalt und seit 17 Jahren Partner der renommierten deutschen Steuerkanzlei Flick Gocke Schaumburg. Der 51-Jährige gebürtige Berliner ist auf internationales Steuerrecht, Unternehmenssteuerrecht und grenzüberschreitende Nachfolgeplanung spezialisiert.
Prof. Dr. Jens Schönfeld ist einer der drei Initiatoren des Wirtschaftsforums NEU DENKEN, das vom 9. bis 11. Juni im Hotel Castell Son Claret auf Mallorca stattfindet. Die Organisation übernimmt auch in diesem Jahr wieder die bekannte TV-Journalistin Sabine Christiansen. Zu den Referenten des Events – das vom deutschsprachigen Steuerbüro PlattesGroup veranstaltet wird – zählen mehr als 30 hochrangige Referent:innnen: unter anderem Unternehmer Prof. Dr. h.c. Klaus Michael Kühne, Karl von Rohr (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank AG), Dr. Markus Krebber (CEO RWE AG), Alexander Birken (CEO Otto Group), Lars Klingbeil (SPD- Vorsitzender), Annette Mann (CEO Austrian Airlines), Start-up-Papst Prof. Dr. Helmut Schönenberger und Dr. Kristina Hammer, Präsidentin der Salzburger Festspiele. Weitere Infos und Anmeldung:
www.neu-denken.net