Stellen wir uns einmal vor, wir sind in einer Rooftop-Bar in Palma: Dort oben, zig Meter über dem Boden, vermischt sich lässige Lounge-Musik mit dem Gekreische der Möwen, die sich neugierig auf der Suche nach Essbarem vor die stilvoll gekleidete Gesellschaft auf die Brüstung des Geländers gesetzt haben, das den Ort hoch über den Dächern der Stadt umgibt. Es ist später Abend, die Sonne geht langsam unter und die Gäste haben entspannt einen Cocktail in der Hand. Ihre Blicke schweifen über die Umgebung: der Hafen voller Boote und glitzerndem Wasser, die emblematische Kathedrale linkerhand und auf der anderen Seite die ikonische Burg Bellver. Dazwischen ein Teppich aus vielen Mehrfamilienhäusern.
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass keines der Dächer dieser Gebäude mit Solar-Panelen ausgestattet ist. Überall Terrassen oder blanke Flachdächer. Die Sonne scheint an diesem Sommerabend praktisch umsonst, zumindest aus ökologischer Hinsicht. Das tut sie jährlich durchschnittlich siebeneinhalb Stunden pro Tag und stellt damit eine enorme Energiequelle dar, die nur darauf wartet, genutzt zu werden. Gleichzeitig fordern regionale, staatliche und europäische Normen, dass 2030 dann 35 Prozent der Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen stammen. Aktuell sind es gerade einmal 16 Prozent. Eine Diskrepanz, die reichlich Fragen aufwirft, unter anderem nach Gründen, Herausforderungen und Chancen.
„Es fehlt die Wirtschaftlichkeit”, erklärt Franz Gerhard Stuckmann, Geschäftsführer des Elektroinstallationsunternehmens Franz Stuckmann Balears S.L, warum es so wenig Solar-Anlagen auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern in Palma gibt. Die Anmeldung kostet zwischen 1500 und 2000 Euro. „Jede Balkon-Anlage wird vom Gesetzgeber gleich behandelt”, so Stuckmann. Sie muss beim Rathaus und der Generaldirektion für Energie und Klimawandel der Balearen-Regierung angemeldet werden. Die Behörde prüft dann die Dokumentation und leitet das Anliegen an den Stromnetzbetreiber Endesa weiter. „Dieser Weg ist der gleiche bei jeder Anlage, unabhängig von deren Leistung”, sagt Stuckmann. „In Anbetracht dieser Umstände liegt Spanien im Vergleich zu Deutschland um Welten zurück.”
In der Bundesrepublik ist allein die Zahl der sogenannten Balkonkraftwerke im ersten Halbjahr 2025 um mehr als 220.000 gestiegen. Bis Ende Juni waren bei der Bundesnetzagentur über eine Million Anlagen (exakt: 1.009.390) gemeldet. Zahlreiche Kommunen bieten Förderprogramme und einige Bundesländer gewähren zinsvergünstigte Kredite. Auf Bundesebene fördert die staatliche KfW-Bank Photovoltaikanlagen und Speicher, garantiert die Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Projekten zum Eigenverbrauch eine feste Vergütung für den ins öffentliche Stromnetz eingespeisten Solarstrom und bietet das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Förderungen. Bedingungen, von denen man auf Mallorca einst gar nicht so weit entfernt war.
Die Unbeweglichkeit der Lobbys und Stromversorger
„Als wir regierten, gab es Subventionen für Solar-Anlagen”, sagt Neus Truyol, Sprecherin in Palma der Partei Més per Mallorca, die in der zurückliegenden Legislaturperiode auf den Balearen mit den Sozialisten koalierte. Diese Subventionen seien seit einiger Zeit gestoppt. „Wir fordern, dass weiterhin Impulse gesetzt werden, weil man so dazu beiträgt, den Klimawandel abzumildern, und die aktuelle Abhängigkeit von Lobbys und großen Energieunternehmen verringert”, so Truyol. „Es geht nicht nur um mallorquinische Familien, sondern auch um kleine Unternehmen, für die ein Wechsel hin zu erneuerbaren Energien einen Mehrwert schaffen kann.” Dieser bestehe laut Truyol in einer günstigeren Stromrechnung. Schließlich weist die Politikerin darauf hin, dass parallel zur Installation von Solar-Anlagen immer auch der eigene Energiekonsum reduziert werden müsse.
Wie recht Truyol damit hat, zeigen folgende Zahlen: Der Stromverbrauch auf den Balearen im zurückliegenden Juni ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,8 Prozent gestiegen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag der Anstieg bei 4,1 Prozent. Verantwortlich gemacht für diese Entwicklung wird das Bevölkerungswachstum, die Zunahme von Besuchern sowie die gestiegenen Temperaturen. Dem gegenüber steht das erklärte Ziel, den Energiekonsum bis 2030 um 23 Prozent zu reduzieren und bis 2050 um 40 Prozent. Bis in fünf Jahren müssten die Balearen dazu 1000 Megawatt durch Photovoltaik-Anlagen produzieren. Zurzeit liegt dieser Wert bei etwas mehr als 300. Die Dächer von Mehrfamilienhäusern in Palma können hier eine Brücke schlagen. Denn: Auf Mallorca explodiert der Stromverbrauch wegen der abertausenden Klimaanlagen vor allem im Sommer. Eben gerade dann, wenn es den meisten Sonnenschein gibt.
In den Augen von Franco Mojer, Präsident der Vereinigung der Installationsunternehmen auf den Balearen (ASINEM), führt der Weg zu mehr Solar-Anlagen auf privat genutzten Gebäuden in der Balearen-Haupstadt über mehr Diplomatie zwischen den Nachbarn, einfachere behördliche Verfahren sowie technische Begleitung durch Fachleute. „Daneben gibt es je nach Gegend auch spezifische Barrieren, wie in den Vierteln Son Espanyolet oder Santa Catalina, wo zusätzliche Dokumente und Freigaben aufgrund städtebaulicher Normen verlangt werden”, so der Funktionär. Auch wenn er wie schon Franz Gerhard Stuckmann erkennt, dass „die öffentlichen Hilfen nicht ausreichend Anreize schaffen”, empfiehlt Mojer, vorhandene steuerliche Vergünstigungen und Hilfen zu nutzen, und ist sich ebenfalls mit Neus Truyol einig, wenn er schließt: „Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass die günstigste und sauberste Energie jene ist, die man nicht verbraucht.”