Bewaffnet mit einer Matte und einem etwas komischen Gefühl im Bauch geht es an einem Dienstagabend die steilen Straßen des El Terreno hoch. Das Viertel zwischen Palmas Hafen und dem Castell de Bellver kennen die meisten wohl von dem obligatorischen Besuch der Burg. Doch für die MM-Redakteurin und Residentin geht es an diesem Abend ins Casal de Barri. Diese Gemeindezentren gibt es in verschiedenen Vierteln der Inselhauptstadt, aber auch in vielen anderen Orten, wie etwa in Sóller oder Calvià. Angeboten werden Sportkurse, wie etwa Yoga, Pilates, aber auch Meditation, Aquarell malen oder Literatur. Zugang für alle zu Bildung, Sport und Kultur könnte der Untertitel der Casals de Barri sein, denn die Kurse sind verhältnismäßig günstig. Schlappe 6 Euro kosten anderthalb Stunden Yoga.
Dem schmerzenden Rücken und steifen Nacken zumindest für die nächsten Wochen ein Ende zu setzen, ist das Ziel. Auch wenn sie in der Vergangenheit schon einige Yogakurse gemacht hat und sich auch Zuhause ab und zu auf der Matte verbiegt, ein wenig Überwindung hat es die Autorin dennoch gekostet, sich bei einem Yogakurs des Ayuntamientos de Palma anzumelden. Würde sie den spanischen Anweisungen folgen können? Was ist, wenn diese gar auf Katalanisch sind? Wem wird sie dort begegnen? Ob wohl auch andere Deutsche dabei sein werden?
Sie nimmt noch einen tiefen Atemzug und öffnet schwungvoll die Türe. Gemütlich und esoterisch wie in einem Yogastudio ist der Raum nicht. Funktional trifft es wohl am besten, er gleicht eher einer Mischung aus Turnhalle und Ballettraum, mit einem großen Spiegel an der hinteren Wand. Aber: von hier aus kann man aufs Meer blicken. Um wenigstens einen Hauch von Charme und Besinnlichkeit zwischen die meterhohen Decken zu bringen, hat die Lehrerin einen kleinen Altar in der Ecke aufbaut. Dort brennt eine Kerze, daneben sind die Statue von Ganesha, einer hinduistischen Gottesfigur, eine Gebetskette und Klangschale sind drapiert.
Die Yogalehrerin kommt mit einem wippenden, leichten Gang in den Raum, dazu bewegt sich ihr Bob im Rhythmus ihrer Schritte. Mit ihrer kerzengeraden Haltung könnte sie auch eine Ballerina sein. Anmutig nimmt sie auf ihrer Yogamatte Platz und begrüßt die Teilnehmer: „Ich bin Alicia und wir machen heute Yoga. Los geht es!“ Die ersten zwanzig Minuten drehen sich die Übungen in Rückenlage ausschließlich ums Atmen. „In die Hüfte, in die Brust und die Schultern!“, weist sie ihre Schüler immer wieder im gleichen Tonfall an, bis ihre Worte zu einem wohlklingenden, melodischen Singsang verschmelzen. Ah, hombros sind also die Schultern.
Als es mit dynamischeren Übungen weitergeht, fällt auf, wie unterschiedlich die Gruppenteilnehmer sind. Ein junger Mann, Marke Fitnessstudio, kann scheinbar mühelos folgen. Ebenso eine Frau mit schwarzen Locken, die durch die präzise n Ausführungen der Übungen verrät, dass sie viel Yogaerfahrung mitbringt. Wohingegen ein älterer Herr bei manchen Figuren Hilfe braucht. Alicia nimmt sich viel Zeit für ihn, korrigiert liebevoll, erklärt ihm seine Körperfunktionen und ermuntert ihn: „Eso es! So ist es richtig!“.
Eins haben sie aber alle gemeinsam, denn sie sind Spanier und Mallorquiner. „Du bist die erste Deutsche in meinen Kursen“, kommentiert die Yogalehrerin mit einem charmanten Lächeln. „Die Kurse in den Casals de Barri sind perfekt, um sich zu integrieren. Auf diese Weise kann man nicht nur üben, sondern auch Kontakte mit Mallorquinern und Festlands-Spaniern knüpfen.“ Die 52-Jährige kommt aus Madrid, seit zwei Jahren lebt sie auf Mallorca. Sie ist mit einem Deutschen zusammen und seit zehn Jahren praktiziert sie Yoga. Als Angestellte übernimmt sie die Yogakurse der Ayuntamientos und unterrichtet auch noch in anderen Gemeinden, wie etwa Calvià.
Jeden Dienstag und Donnerstag kommen ihre „Yoginis”, wie sie ihre Schüler nennt, zusammen. Schon in der zweiten Stunde ist der Umgang lockerer, in der Dritten traut sich die MM-Redakteurin ein wenig Small-talk zu. Alle Teilnehmer sind freundlich und herzlich, aber auch ein wenig überrascht: „In diese Kurse kommen nie Deutsche!”. Dabei muss man kein fließendes Spanisch können, bestätigt auch die Yogalehrerin: „Basiskenntnisse reichen.”
An einem Tag ist das Casal de Barri wegen Bauarbeiten gesperrt. Anstatt die Stunde ausfallen zu lassen, verlegt Alicia sie in den Bellver-Park. An der frischen Luft, unter den Pinien, mit einem herrlichen Blick auf den Hafen und die Kathedrale fühlt sich die Stunde viel natürlicher an als in dem funktionalen, schmucklosen Raum des Casal de Barri. Nicht nur Nacken und Rücken geht es von Woche zu Woche besser: Mittlerweile kann die MM-Redakteurin alle Körperteile auf Spanisch benennen. Denn der Sprach- und auch Integrationskurs ist in den Casals de Barri inklusive.