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So nah und gleichzeitig doch so entrückt

Die Possessió Comassema auf Mallorca. | P. Lozano

| Mallorca |

Wenn Diego Zaforteza auf die riesigen Possessions (Landgüter) auf Mallorca zu sprechen kommt, gerät er in Sekundenschnelle ins Schwärmen. "Sie bedeuten 500 Jahre Geschichte, doch kaum einer hat sowas je von Nahem gesehen", so der Chef der neuen gemeinnützigen Ausflugs-Stiftung Itinerem zu MM. Dabei gebe es sage und schreibe etwa 1250 auf der Insel. Er beruft sich dabei auf eine Landkarte, die der legendäre, weil in Rom zu Ruhm und Ehre gelangte mallorquinischen Kardinal Antonio Despuig (1745-1813) 1785 erarbeitete und die sämtliche Anwesen dieser Art zeigt. Zaforteza bringt kulturell interessierten Menschen auf Spanisch, Mallorquinisch, Englisch oder Deutsch die verschlossene Welt dieser Güter nahe, so wie das auch schon auf anderen Mittelmeerinseln wie Korsika, Malta oder Sizilien gemacht wird. Ziel ist, vom Europäischen Rat – wie bei 30 bis 35 Routen der Fall – eine offizielle Zertifizierung als Kulturroute zu erhalten.

Vor der industriellen Revolution gaben Possessions fast der Gesamtheit der Inselbewohner Arbeit und Brot, sie waren Symbole der Grundbesitzermacht. "Hier pulsierte einst auch das soziale Leben, die Beschäftigten tanzten und veranstalteten manchmal Schlachtfeste", sagt der Kenner der Insel-Geschichte. Zur Erntezeit arbeiteten im Schnitt 300 Tagelöhner auf jedem dieser Güter, hinzu kamen 30 bis 40 Festangestellte. Die wurden bei den riesigen Anbauflächen und 3000 Quadratmeter Gebäudefläche auch benötigt. "Es war auf Mallorca früher sogar üblich, dass hier etwa bei Erntefesten im großen Stil Ehen angebahnt wurden", sagt Diego Zaforteza. Es sei also höchste Zeit, dieses identitätsstiftende Kulturgut Menschen zu zeigen, die Mallorca zwar sehr gut kennen, aber noch nicht in die faszinierenden Tiefen der Geschichte vorgedrungen sind.

Die Possessions gehören denn auch genauso zur Inselidentität wie beispielsweise das schwarze Schwein oder die Drosseljagd. "Mit den Besitzern von zehn habe ich bereits Verträge abgeschlossen", sagt der umtriebige Ausflugsorganisator. Er stammt selbst aus einer Possessions-Eigner-Familie. "In vier Jahren wollen wir 90 zusammen haben." Es sei das erste Mal überhaupt, dass sich Possessionsbesitzer zusammentun, um diese Einrichtungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Eine solche Tour etwa zur Sollerich-Possessió bei Alaró, zur Comassema-Possessió nahe Bun-yola oder zum Landgut Can Bosch bei Pollença dauert drei Stunden. Die Ausflüge finden nur in der Nebensaison bis Anfang Juni 2019 statt, kosten pro Person 30 Euro (zwei Teilnehmer: 50 Euro) und können unter https://fundacion-itinerem.org gebucht werden. "Wir wollen Erlebnisse schaffen", so Diego Zaforteza. "Ich will keine Touristen, sondern Besucher, die bereit sind, sich überraschen zu lassen." Erklärt werden ihnen die Geschichte des jeweiligen Anwesens und der Familie, und am Ende wird ein Essen aus lokalen Produkten serviert. "Bei den Touren lernt man etwa, wie Öl- und Mehlmühlen funktionierten", so Zaforteza. "Wer weiß denn davon noch was ..." Man denke auch an spezielle Angebote für Familien, so der Itinerem-Chef. "Kinder mögen ja bekanntlich Tiere." Das Geld für die Eigentümer sei dafür gedacht, später in die Instandhaltung der Anlage investiert zu werden.

Wenn er demnächst mal wieder mit einem Geheimcode irgendein Gatter öffnet, hofft Zaforteza auf Besucher, die – wie von ihm schon mehrfach erlebt – bei dieser Gelegenheit nur eines sagen: "Wow!"

(aus MM 51/2018)

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