Senkrecht ragen die Felswände Hunderte Meter in die Höhe, es herrscht Stille. Nur zartes Vogelgezwitscher hallt in der Ferne durch die Schlucht des Torrent de Pareis, des riesigen, derzeit trockenen Sturzbachs, in der Gemeinde Escorca im Nordwesten Mallorcas. Nach der griechischen Samaria-Schlucht auf Kreta, gilt der Torrent de Pareis als zweitgrößte Schlucht im Mittelmeerraum.
Der erste Abschnitt führt durch Aleppokiefern und Steineichen. Nach einem eineinhalbstündigen Abstieg, der an der Kapelle von Escorca beginnt, die sich an der Landstraße zwischen Sóller und Pollença befindet, erreicht man den Eingang zur Schlucht, die Mündung s’Entreforc. Dort trifft der Torrent de Lluc auf den Sturzbach Gorg Blau. Hier beginnt die 3300 Meter lange Schlucht Torrent de Pareis. Der vorerst letzte Stopp, um nochmal einen Schluck zu trinken und sich auf die nun kommenden vier Stunden vorzubereiten.
Das Ziel der Wanderung ist die Bucht von Sa Calobra, in die der Torrent de Pareis mündet. Entstanden ist die Schlucht im Laufe von Millionen Jahren durch Karst-Erosionen, die Auswaschung der Kalksteinfelsen. Im Jahr 2003 wurde sie zum Naturdenkmal erklärt.
Die Tour ist aufgrund der unberührten Natur und der spektakulären Landschaft eine der schönsten, allerdings aufgrund ihrer Beschaffenheit auch schwierigsten Mallorcas. Auf den folgenden vier Kilometern geht es über Stock und Stein. Die erste schwierige Hürde ist ein riesiger Felsbrocken, der auf den ersten Blick schier unüberwindbar scheint. Um auf die andere Seite zu kommen, bringt der spanische Wanderführer Andreu Guardiola Sánchez, der die Gruppe begleitet, zunächst ein Seil an. Der Mallorquiner arbeitet für den Wanderanbieter Mallorca Muntanya in Port de Sóller, der regelmäßig Wanderungen durch den Torrent de Pareis anbietet.„Diese gehört zu meinen Lieblingsstrecken”, erklärt Guardiola.
Schritt für Schritt seilt sich ein Wanderer nach dem anderen vorsichtig ab. Doch nicht die Höhe stellt die größte Gefahr dar, sondern die Beschaffenheit der Steine und Felsbrocken: Man muss stets aufpassen, wo man hintritt. In den Wintermonaten sowie nach starken Regenfällen ist der derzeit trockene Sturzbach mit Wasser gefüllt. Das wird auch an den Felsbrocken deutlich: Die Kraft der Wassermassen kann man an den Steinen deutlich erkennen. Sie scheinen wie glatt geschliffen, der mitgeschwemmte Lehm legt sich in dünnen Schichten über deren Oberfläche. Durch den enormen Druck des Wassers an engeren Stellen werden Felsbrocken durch Lehm förmlich verbunden.
Guardiola erklärt während der Wanderung drei wichtige Faustregeln, die man unbedingt im Torrent de Pareis beachten sollte:„Nicht springen, stets die Arme benutzen, um das Gleichgewicht zu halten und darauf achten, dass die Schuhe trocken bleiben.” Ansonsten werden die ohnehin schon glatten Steine zur regelrechten Rutschpartie. Wenn man diese wichtigen Regeln einhält, gleicht der Ort einem echten Abenteuer-Spielplatz für Sportskanonen: abseilen, klettern, auf allen Vieren an den engen Felswänden entlang krabbeln.
Die Wanderung führt weiter über steinige Pfade und teilweise schwierig zu passierendes Geröll. Auf dem ersten Teil der Wanderung ist der Weg aufgrund der schützenden Felswände allerdings angenehm schattig, doch nach rund zwei Stunden knallt die Sonne gnadenlos vom Himmel.„Es ist unbedingt notwendig ausreichend Wasser dabei zu haben, am besten zwischen zwei und drei Liter”, erklärt Andreu Guardiola Sánchez.
Ohne Canyoning-Guide und spezielle Ausrüstung wie Neoprenanzug kann der Torrent de Pareis nur in trockenem Zustand begangen werden, was im Allgemeinen zwischen Mai und Oktober der Fall ist. In den Sommermonaten wird Wandern aufgrund der Hitze schwierig – in diesem Fall ist es empfehlenswert, bereits bei Sonnenaufgang zu starten, um die große Mittagshitze zu meiden. Auch wenn es eigentlich nur bergab geht, so verlangt die mehrstündige Wanderung über Felsblöcke und Kiesgrund eine sehr gute Ausdauer.
Jährlich gibt es durchschnittlich 70 Zwischenfälle in der Schlucht. Es wird daher empfohlen, das erste Mal mit einem ausgebildeten Wanderführer mitzulaufen. Bei Mallorca Muntanya sind neben der geführten Tour auch der Transfer, ein Picknick und die Rückfahrt mit dem Boot von Sa Calobra im Preis inbegriffen. Täglich verkehren Fähren zwischen Port de Sóller und Sa Calobra. Allerdings sollte eingeplant werden, dass die letzte Fähre bereits um 16.30 Uhr von Sa Calobra abfährt.
Nach insgesamt fünfeinhalb Stunden schweißtreibender Wanderung erreicht man endlich erschöpft, ausgepowert, aber zufrieden mit der sportlichen Leistung, die Mündung des Canyons. Ein erfrischendes Bad im Meer hat sich nach dieser Tour jeder Wanderer mehr als verdient.