Mit einem Programm unter dem Motto „Arcoiris en gris" – Regenbogen in Grau – ging am gestrigen Donnerstag die Temporada 2021/22 der Balearensinfoniker im Teatre Principal zu Ende. In den 20 Konzerten davor hatte das Orchester seine Vielfalt unter Beweis gestellt. Wir erinnern uns: da gab es Populäres (Rodrigo, Händel, Weber, Dvorak, Tschaikowsky, Vivaldi, Schubert), Klaviervirtuosen waren mit Standardwerken der Konzertliteratur zu bestaunen (Grieg, Liszt, Chopin, Rachmaninow); da forderte Monumentales, bisweilen Sperriges das Publikum heraus (Mahler, Bruckner, Richard Strauss); Experimentelles wurde gewagt (Harvey, Far); und nicht zuletzt entführten internationale Gesangsstars das Publikum in die wunderbare Welt des Belcanto (2 Operngalas).
Und als Schlusspunkt nun mit Schostakowitsch und Skrijabin noch einmal der Beweis, dass das Orchester der Balearen mehr ist als eine Kurkapelle, dass es auch die Zumutung des schwer Verdaulichen wagt, auf hohem Niveau, versteht sich.
Das Eröffnungsstück, Schostakowitschs Festival-Ouvertüre op. 96, zur Feier des 37. Jahrestages der Oktoberrevolution 1954 komponiert, am Beginn der Ära Chrustschow, ließ sich noch relativ leicht rezipieren: der Fanfarenbeginn, gefolgt von Anklängen an Glinka, die festliche Atmosphäre – all das erschloss sich unter dem engagierten Dirigat von Pablo Mielgo fast von selbst.
Etwas höhere Anforderungen stellte dann das 2. Cellokonzert des Russen. Im Kompositionsjahr 1966 hatte Schostakowitsch zu einem Stil gefunden, der sich – bisweilen fast karg – auf das Notwendige beschränkte, alles Redundante, Ornamentale mied. Die Orchestrierung ist alles andere als gefällig, in der Streicher-dominierten Partitur ragen schroffe Bläsereinsätze monolithisch heraus. Die Pauken werden teiweise zum einzigen Dialogpartner des Cellos, an anderen Stellen kommuniziert der Solist mit dem Xylophon, das wie das Klappern von Gebeinen klingt und ein wenig an die Danse macabre von Saint-Saëns erinnert. Alban Gerhardt, einer der bekanntesten deutschen Cellisten unserer Zeit, konnte es sich nicht auf einem flauschigen Klangteppich bequem machen; das Orchester ist hier nicht dekorative Tapete, sondern gewissermaßen Gegenpart, mit dem es zu kommunizieren gilt. Dabei sind die technischen Ansprüche enorm , schließlich hatte der Jahrhundert-Cellist Mstislav Rostropowitsch bei der Komposition Pate gestanden (und auch die Uraufführung gespielt). Für den verdienten Applaus, der sein brillantes Können belohnte, bedankte sich Gerhardt mit einer Zugabe: einem eigens für Rostropowitsch komponierten Glanzstück, in dem er noch einmal die bewundernswerte Beherrschung seines Instruments zeigen konnte.
Der zweite Teil des Abends gehörte Alexander Skrijabin, einem der exaltiertesten Komponisten der Musikgeschichte, der sich in geradezu messianischer Berufung sah und mit seiner Vision vom Gesamtkunstwerk weit über Wagner hinausging. Seine zweite Sinfonie komponierte er 1901, noch verhältnismäßig konventionell, bevor er sich dem vor allem von Indien inspirierten „Mysterium“ zuwandte und seine Überzeugung, Musik sei ein Mittel zur Befreiung des Geistes im ekstatischen Erleben in zum Teil nicht mehr nachvollziehbaren Aktionen – Happenings würde man heute sagen – austobte. Gleichwohl verlässt sie strukturell und tonal die ausgetretenen Pfade der Romantik: der erste und zweite Satz gehen ineinander über, ebenso der vierte (der das Scherzo vertritt) und der fünfte. Dazwischen steht, wie eine Symmetrieachse, eine Art Naturidyll (Andante), mit Vogelstimmen und anderen illustrativen Elementen. Pablo Mielgo leitete das vor allem in den Bläsern geforderte Orchester mit gewohnter Souveränität. So geriet auch das Finale, in dem Skrijabin nach dem mit „Tempestoso“ überschriebenen 4. Satz etwas plakativ nach C-dur wechselt, zum orchestralen Triumph und ließ die süffisante Bemerkung des Uraufführungsdirigenten Anatoli Ljadow, statt Symphonie müsste das Werk eigentlich eher Kakophonie heißen und Skrijabin habe offenbar „der Verstand verloren“, vergessen.
Nachdem Chefdirigent Mielgo sich noch ausdrücklich bei seinen Musikern für die gigantische Leistung, in dieser Spielzeit 21(!) Konzertprogramme zu erarbeiten, bedankt hatte, geht das Orchester nun in die Sommerpause, und der Kritiker, dankbar für viele schöne, erbauliche und inspirierende Momente ebenso. Wenn Sie Lust haben, lesen wir uns Ende Juni, wenn die Sommersaison auf Schloss Bellver (mit tollen Highlights, so viel sei schon verraten) beginnt, wieder, dann möglicherweise in einem Blog, an dem gerade gebastelt wird.
Bis dahin: bleiben Sie interessiert!