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Konzertkritik: Von Wagner über Zeitgenössisches zu Bruckner

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Vordergründig war das 2. Abokonzert der Saison gestern Abend ein Blechbläser-Festival; denn die dominierten (mit atemberaubender Virtuosität und stupender Technik) nicht nur in Gestalt des Ensembles „Spanish Brass« in José Colomers „La Devota Lasciva«, sondern hatten auch, in Gestalt der orchestereigenen Blech-.Fraktion, in Wagners „Meistersinger«-Ouvertüre und im Hauptwerk des Abends, der vierten Sinfonie« von Anton Bruckner, das Sagen. Aber programmdramaturgisch war es mehr: eine Gegenüberstellung des Bayreuther Musikdramatikers mit seinem Bewunderer Bruckner, dem mystischen Kathedralenarchitekten

Die „Meistersinger von Nürnberg« gelten als Wagners einzige Komische Oper. Mit der buffonesken Komik eines Rossini oder Donizetti im Ohr tut man sich zunächst einmal schwer, Wagners Vorstellung von Komik zu folgen; die Aufgabe eines Dirigenten besteht darin, sie erlebbar zu machen Das gelang Mielgo gestern Abend, indem er die Thematischen Gegensätze, das majestätische Meisterlied-Thema, mit fast übertriebener Feierlichkeit vorgestellt, dem „Beckmesser-Thema« mit seinen kantigen, stolpernden Rhythmen – eine musikalische Karikatur, die schon im Vorspiel die komische Figur des Pedanten ankündigt, gegenüberstellte. DieKontrapunktische Überlagerung ist ein weiteres Mittel Wagner’scher Komik: im Finale der Ouvertüre werden die Themen übereinander geschichtet – das Meisterlied, das Beckmesser-Motiv und die Festfreude. Das wirkt wie ein musikalisches „Durcheinanderreden«: eine polyphone Komödie, die die Konflikte der Oper vorwegnimmt.

Die fünf Musiker der „Spanish Brass« glänzten durch Präzision auf hohem technischem Niveau und überbordende Spielfreude. Dass die Überschriften der einzelnen Sätze von Colomers Devota Lasciva von 1996, „Deambular«, „Descubrir« und „Destapar«, letztlich unnachvollziehbar blieben, liegt am Werk selbst. In ihrer disparaten Disharmonie, voll greller, bisweilen bis an die Schmerzgrenze schriller Blechbläser-Klanglichkeit, schafft es die Partitur nicht, ein kohärentes, die Sinne ansprechendes Musik-Erleben zu evozieren. Dazu reichte dann auch die wie immer spürbare integrative Kraft von Mielgos Dirigat nicht aus.

Bruckner hat seit jeher das Publikum gespalten. Die Kritiker des 19. Jahrhunderts trugen zu dieser Polarisierung bei, indem sie ihm Brahms gegenüberstellten. „Bruckner errichtet Kathedralen, Brahms baut Wohnungen«. Mit diesem Slogan spielten sie die mystische Erhabenheit des tief religiösen Bruckner gegen die menschliche Klangarchitektur des Atheisten Brahms aus. Leonard Bernstein, Vollblutmusiker und vielseitiger Tausendsassa, lehnte Bruckner ab. Er fand ihn langweilig. Originalton Lenny: „Da sind keine Orgasmen, seine Steigerungen sind endlos und laufen dann doch ins Leere.« (Dies nur als pikante kleine Fußnote am Rande.) Und so teilen sich die Bruckner-Dirigenten bis heute in zwei Lager. Auf der einen Seite Leute wie Jochum und Thielemann, die Weihrauch-durchflutete und in ihrer Erhabenheit mystische Kathedralen errichten, auf der anderen Dirigenten wie Gielen oder Harnoncourt. Sie versuchen, den Kolossen menschliche Nahbarkeit, Wärme und Bewohnbarkeit zu geben. Nach dem gestrigen Abend ist man geneigt, Pablo Mielgo den letzteren zuzuordnen: ohne die großformatige und in ihrer Weite beeindruckende Architektur der Vierten zu vernachlässigen, versuchte er ihren Beinamen – man nennt sie ja nicht ohne Grund „Die Romantische« – in Klang umzusetzen und das Publikum mit einem menschlichen „Bruckner ohne Weihrauch« zu beschenken. Dafür gab es viel Applaus, der auch den famosen Blechbläsern der Sinfoniker galt, die sich dem „Spanish Brass«-Quintett als durchaus ebenbürtig erwiesen. Das Konzert wird heute Abend im Auditorium von Manacor wiederholt.– Sie können sich diese Kritik auch vorlesen lassen. Klicken Sie bitte dazu HIER!

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