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"Sie betranken sich und sangen"

Son Carrió war der einzige Ort, der vollständig von den Republikanern besetzt wurde

Die Kirche von Son Carrió, vollendet 1907, wurde von anarchistischen Milizionären verwüstet. Diese Aufnahme entstand beim Einyug der franquistischen Truppen, um die Zerstörung zu dokumentieren. Der helle Lichtfleck neben dem Altar ist das och, das eine Bombe in die Wand riss.

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Son Carrió im Inselosten ist ein Dorf, das kaum jemand kennt, geschweige denn jemals dort war. Tatsächlich liegt der 900-Einwohner-Ort im Bermuda-Dreieck von Manacor, Porto Cristo und Cala Millor abseits der ausgebauten Verkehrswege. Die isolierte Lage des Dorfes zwischen den Hügeln, die den Zugang zum Meer abriegeln, hat die Menschen dort vor 75 Jahren nicht vor Krieg und Zerstörung schützen können. Son Carrió ist der einzige Ort auf Mallorca, der in den Wirren des Spanischen Bürgerkrieges vollständig von kämpfenden Truppen eingenommen und über eine Woche lang besetzt wurde.

Dies war noch nicht einmal in Porto Cristo der Fall gewesen, wo das republikanische Expeditionsheer des Kommandanten Alberto Bayo am 16. August 1936 an Land gegangen war. Dort konnten seine Truppen, die neben regulären Soldaten auch bewaffnete Milizen - Anarchisten, Sozialisten, katalonische Separatisten und Gewerkschafter - umfassten, nur einen kleinen Teil des Ortes unter ihre Kontrolle bringen. Die meisten Straßenzüge Porto Cristos wurde zu einem umkämpften Niemandsland, in dem sich blutige Scharmützel zutrugen.

Das Ziel Bayos war es, Mallorca von den aufständischen Militärs zurückzuerobern, die sich am 19. Juli dem Putsch von General Franco angeschlossen hatten. Doch Bayos Invasionsheer blieb im Inselosten schon nach wenigen Kilometern stecken. Erst als zehn Tage später bis zu 1000 Mann frische Truppen angelandet wurden, konnten die Republikaner wieder in die Offensive gehen.

So brach für die Einheimischen in Son Carrió die Hölle am 26. August los: Nach Bombardierungen aus der Luft und aus Schiffsgeschützen konnten Bayos Truppen auf das Dorf vorrücken. Die franquistischen Verteidiger, die sich in den Hügeln und in den östlich gelegenen Windmühlen sowie im Ortskern verschanzt hatten, räumten die Stellungen in einem chaotischen Rückzug. Auch viele Dorfbewohner flohen Hals über Kopf nach Son Servera, Sant Llorenç oder Manacor, zu Fuß oder per Eselskarren.

Unter den Flüchtenden befand sich auch der Pfarrer von Son Carrió, Martín Rosselló. Er ahnte, dass er von den Besatzern nichts Gutes zu erwarten hatte. In Katalonien hatten seit Ausbruch des Bürgerkrieges Kirchen gebrannt, waren Geistliche und Nonnen erschlagen worden. Wie dem Buch „Sant Miquel de Son Carrió" zu entnehmen ist, erstattete der Pfarrer seinem Bischof in Palma per Brief Bericht: Es sei ihm gelungen, aus dem Besitz der Kirche die Monstranz, den Hostienkelch, das Pfarrsiegel, die Pfarrbücher samt Archiv sowie das Geld aus der Kollekte zu retten. „Wenig ist es, was ich bewahren konnte, aber ich musste alles per Hand heraustragen, inmitten umherpfeifender Kugeln, jedesmal mein Leben riskierend, wenn ich hineinging, um etwas herauszuholen.“

Historikern zufolge wurde Son Carrió an jenem Mittwoch von drei Seiten eingenommen. Einem Verband der anarchistischen Gewerkschaft CNT gelang der Vorstoß ins Dorf aus östlicher Richtung über Sa Torre Nova. Weitere Militärs rückten unter schweren Verlusten auf dem südlichen Landweg von Porto Cristo ein. Rund 500 Milizionäre gelangten zudem über den südöstlich heranführenden Pfad von S'Illot in das Dorf.

Die Freude der Eroberer über diesen Erfolg muss berauschend gewesen sein. Augenzeugenberichten zufolge begannen sie unmittelbar darauf, die Häuser des Dorfes nach Lebensmitteln zu durchsuchen und Wertgegenstände zu plündern. Die Versorgung der Truppen war schon vorher zum Teil prekär gewesen. Der Hass der Anarchisten auf die Katholische Kirche und ihre Symbole war virulent: Die Männer stürmten die Kirche, rissen die Heiligenfiguren in den Seitenkapellen und vom Hauptaltar herab, zerschlugen die Statuen Christi, der Jungfrau Maria, der Reiterfigur des Heiligen Jakob im Kampf mit den muslimischen Mauren. Ein katalonischer Milizionär, der abends in Son Carrió eintraf, notierte: Eine Gruppe betrank sich auf dem Plätzchen vor der Kirche und zelebrierte dort eine Art blasphemischen Ritus mit den sakralen Ornamenten, sang die Internationale. Ich ging in die Kirche und sah, wie sie alles, was sie erreichen konnten, zerstört hatten, und dies überzeugte mich nicht nur von der Absurdität dieser Tat, sondern auch von ihrer Nutzlosigkeit. Ich sah, wie ein kostbarer barocker Altaraufsatz, der mir wahrhaftig vergoldet erschien, von allen seinen Heiligenfiguren beraubt war. An ihrer Stelle hatten sie einen Mauren gesetzt, von dem man mir sagte, diese Figur habe zu den Füßen (der Reiterskulptur) des Santiago gekauert...

Wer heute vor der eindrucksvollen Kirche steht - ihre Baupläne wurden 1899 vom katalonischen Baumeister Antoni Gaudí überarbeitet - kann nach wie vor an dem Rundkreuz auf dem Dachfirst die Beschädigungen sehen, die die Milizionäre angeblich durch übermütiges Zielschießen verursachten. Rechts hinter dem Altar klaffte ein großes Loch in der Wand, das dort eine Bombe hineingerissen hatte.

Die Republikaner hielten sich in Son Carrió auf, bis zu ihrem überhasteten Rückzug auf die Schiffe in der Nacht zum 4. September. Unmittelbar darauf rückten die Franquisten ein und drangsalierten die wenigen Einwohner, die während der Okkupation nicht geflohen waren, verdächtigten sie der Kollaboration mit dem Feind. Heute erzählen Erwachsene in Son Carrió, wie sie als Kinder beim Spielen im Freien kistenweise verrostete Patronen- und Granatenhülsen sammelten. Ihre Eltern hatten beim Arbeiten in den Feldern noch menschliche Skelette gefunden. Die nahe gelegene Finca Son Carrió Vell, die dem Dorf den Namen gab, war ebenfalls hart umkämpft gewesen. Die heutige Eigentümerin hat die Fassade jüngst renoviert, aber alle Einschusslöcher im Putz originalgetreu bewahrt. Wäre das Haus eine Haut, sie erschiene übersät mit Sommersprossen. Warum hat die junge Frau die Löcher bewahrt? Ihre Antwort ist ungewöhnlich für Mallorca, wo an der jüngsten Vergangenheit selten gerührt wird: „Diese Löcher sind historisch!"

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