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Als Mallorca die Insel der Schmuggler war

"Originales" nur unterm Ladentisch

Von den entlegenen Calas wurde die Schmuggelware auf dem Landweg weitertransportiert. Das konnte eine beschwerliche Angelegenheit sein, wie auf der historischen Aufnahme zu sehen ist. | Foto: Archiv Ultima Hora

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Schmuggler haben das Flair des Romantischen. Das beste Beispiel dafür ist die Oper "Carmen". Schmuggler streifen - vermeintlich - durch die Berge, überwinden Grenzen, missachten die gängigen Regeln, haben alle Freiheit dieser Welt. Wie sehr der Schmuggel - zumindest jener der Vergangenheit - Menschen bis heute interessiert, zeigt die Tatsache, dass ein neues Buch "Contraban, corrupció y estraperlo (1939 bis 1975)" jüngst das meist verkaufte Werk in katalanischer Sprache auf der Buchmesse von Palma war.

"Schmuggel", sagt der Autor und Historiker Pere Ferrer, "hat auf Mallorca eine lange Tradition. Wer von der historischen Entwicklung der Insel spricht, muss auch von Piraterie sprechen. Und von der geografischen Lage, die Schmuggel und Piraterie ebenso begünstigte wie Jahrhunderte später den Fremdenverkehr."

Mallorca ist und war eine offene Insel mit offenen Buchten, Vorgebirgen, ehemals einsamen Stränden und vielen kleinen Calas, die nur vom Meer aus zugänglich sind. Wie sehr der Schmuggel auf der Insel verwurzelt ist, zeigt zum Beispiel der Name des größten Naturstrandes im Süden: Es Trenc. Er war der berühmteste Schmugglerstrand. Heute hat er nur noch die Referenz seines Namens. Es Trenc bedeutet nämlich Hieb, Schlag, Platzwunde. Vorbei sind die Zeiten, wo hier die Guardia Civil den Schmugglern auflauerte und ihnen eins über den Schädel hieb.

Schmuggelei war auf der ganzen Insel verbreitet, von der Cala de Deià über Port de Valldemossa bis zu vielen versteckten Calas. "Am meisten aber an den Küsten von Cala Llombards und Ses Salines", sagt Pere Ferrer. "Dort lag die Organisationsbasis, dort operierte die Companyia de Sa Vall in Can Verga. Als Verstecke wurden die vielen Felsspalten genutzt."

Schmuggel auf Mallorca begann im 17. Jahrhundert, als Spanien den Tabakhandel monopolisierte. Im 18. Jahrhundert, als sich der Schmuggel in ganz Spanien etablierte, wetterten Staat und Kirche vehement dagegen, machten den Ausbruch von Krankheiten dafür verantwortlich, allerdings ohne den geringsten Effekt. Von dieser Zeit an bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kamen neben Tabak und Zigarren auch Produkte aus Übersee, vor allem aus Amerika. Nach und nach verbesserten sich die Exportmöglichkeiten, Angebot und Nachfrage wuchsen.

Ganz besonders nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939), als Lebensmittel im Land rationiert waren. Die Schmuggler profitierten von dem steigenden Bedarf nach Mehl, Keksen, Öl, Zucker, Kaffee, Nudeln und Trockenfrüchten. In den 1960er Jahren, mit dem Beginn des Tourismus, waren vor allem Tabak und Kaffee gefragt. Die kamen meist aus Gibraltar oder Nordafrika.

Das galt bis in die 1980er Jahre hinein. Amerikanische Zigaretten der Marken Marlboro oder Winston wurden inzwischen in Spanien hergestellt. Dennoch schworen viele Raucher, dass die Originale aus den USA besser schmecken. Das hielt den Zigarettenschmuggel am Leben. Noch um 1985 konnte man in Bars Zigaretten "originales" kaufen, und auf dem Borne saßen gelegentlich Verkäufer, die sie einzeln anboten. Niemand wusste und niemand weiß genau, wie viele Glimmstängel aus den USA auf verschwiegenen Wegen nach Mallorca gelangten.

Die Nachfrage nach Gütern, die man in früheren Zeiten auf der Insel nicht bekam, wurde auch durch amerikanische Filme geweckt. Hier sahen die Mallorquiner alle die Herrlichkeiten, von denen sie selbst bald träumten. Seife der Marke Lux, Nylonstrümpfe, Motoren, Transistorradios, Uhren oder Rasierapparate. Und ganz wichtig: Schallplatten mit den neuesten Hits, später auch Whisky oder Gin.

Viele Schwarzhändler wussten, dass man bessere Preise direkt beim Verbraucher erzielen konnte, sei es in den kleinen Geschäften auf dem Lande, sei es bei den Hausfrauen selbst.

Als Transportmittel wurden damals vor allem die Züge über die Insel genutzt, für die es zwischen 1940 und 1960 weitaus mehr Strecken gab als heutzutage. Jeden Morgen um 8.40 Uhr zum Beispiel fuhr ein Zug nach Sa Pobla, der oft mit Schwarzhändlern voll besetzt war. Sie fuhren mit Kisten und Kästen, mit Säcken und Bündeln in den Norden der Insel auf der Suche nach der schnellen Peseta. Manche wurden schon auf der Fahrt ihre Ware los, denn einige Frauen fuhren die Strecke nur zum Zwecke des Einkaufs ab. Auch die Damen des ältesten Gewerbes der Welt waren hier zu finden. Sie zahlten in der einzigen ihnen verfügbaren Währung.

Einige Schwarzhändler klapperten die Fincas einzeln ab, andere hatte Freunde oder Freunde von Freunden in kleinen Geschäften oder Treffpunkten, die die Ware weitervermittelten. Oft brachten sie auch Tauschwaren wieder zurück nach Palma. Was natürlich niemand von offizieller Seite wissen durfte.

So warfen sie kurz vor der Ankunft in Palma die wiederum prall gefüllten Säcke aus dem Zug. Oft wurden diese "Sendungen" schon vom Empfänger oder von Mittlern direkt eingesammelt. Handelte es sich um eine Ware, für die noch kein Abnehmer gefunden war, musste sich der Händler selbst zu Fuß wieder aufmachen und die Strecke längs der Bahngleise abklappern. Manchmal aber warteten dort auch bereits die Guardia Civil oder Vertreter der Steuerbehörde. Kleinere Händler wurden leichte Beute der Polizei, denn sie genossen keinen wie auch immer gearteten Schutz einer "Organisation". Und wenn die Beamten selbst sich an der illegalen Ware bereicherten, gab es keinen Widerspruch.

Die Verdienstspannen waren enorm, auch wenn viele kleine Zwischenhändler, Transporteure und Verkäufer bezahlt werden mussten. Viele Organisateure des illegalen Handels hatten nach außen hin respektable Firmen. Alles ging per Handschlag, ohne jedes Papier und auf Vertrauensbasis vor sich. Mancher Großgrundbesitzer behielt einen Teil der Ernte für den Direktverkauf an Schmuggler ein. Oder sie investierten rein spekulativ Summen bis zu 100.000 Pesetas. Die Schmuggler teilten den Gewinn, ohne irgendeine Form von "Buchhaltung" vorzulegen. Vertrauen gegen Vertrauen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die "Carabineros" in Polizeistationen an strategischen Punkten konzentriert; ab 1940 übernahm die Guardia Civil diese Aufgabe. Eine der bis heute bei Ausflüglern bekannten Stationen liegt am Puig Roig auf dem Gemeindegebiet von Escorca: "Von dort aus kann man einen großen Teil des Tramuntana-Gebirges überblicken", sagt Pere Ferrer. "Witzigerweise liegt diese Station auf dem Gelände der Finca 'Mossa', die heute den Erben eines der größten Schmuggler der Insel, Joan March, gehört."

Wer erwischt wurde, war übel dran. "Wer auch nur ein einziges Kilo Kaffee auf dem Schwarzmarkt erstand, konnte bis zu 50 Tage und mehr in ein Arbeitslager eingewiesen werden. Oder er musste zahlen. Zwischen 500 und 1000 Pesetas. Was kaum einer konnte, denn der durchschnittliche Tagesverdienst lag bei zehn Pesetas. Die Bosse wurden selten belangt, denn sie kollaborierten erfolgreich mit den Behörden." Die Arbeitslager, die man "Batallones" nannte, lagen außerhalb der Insel. Dort vegetierten die Männer bei Zwangsarbeit, schlechter Ernährung unter erbarmungswürdigen Bedingungen. Frauen, die geschnappt wurden, mussten in Krankenhäusern in der Nähe ihres Wohnortes arbeiten, damit sie ihre Kinder versorgen konnten.

Das größte Unternehmen für Schmuggelei war Can Verga, das von Biel Burguera, einem Vertrauensmann von Joan March, kontrolliert wurde: "Er war gleichzeitig Sozius von Antoni Fontanet, der mit Café Rico, Harina Fontanet und mit mehreren Firmen für Futtergetreide ein Vermögen machte", erzählt Pere Ferrer. "Jaume Moll, der ebenfalls zum March-Imperium gehörte, verdiente viel Geld, das er später in die Hotelkette Royaltour und die Immobilienfirma Alcázar investierte." Die Brüder Sans aus Ses Salines oder die Gotzos aus Valldemossa gründeten ähnliche Firmen.

Nach dem Tod von Francisco Franco 1975 wurde der traditionelle Schmuggel immer weniger. Unter Ministerpräsident Felipe González schlief er schließlich ein. Dafür begann der Drogenhandel zu blühen.

(aus MM 25/2014)

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