Der Baum steht in der Mitte des Rathausplatzes von Palma, so als ob die ganze Stadt um ihn herum gewachsen ist. Die Rede ist vom mehrere Jahrhunderte alten Olivenbaum der Plaça Cort. Es dürfte in Palma keinen zweiten Baum geben, der so oft von Besuchern fotografiert wird wie dieser knorrige "olivo", noch dazu in der Weihnachtszeit, wenn der Lichterschmuck das Ensemble in eine einzigartige Pracht verwandelt.
Fast könnte man meinen, bei dem Baum handelt es sich um das letzte Überbleibsel eines heiligen Olivenhaines, in dem die frühen Einwohner Mallorcas einst ihren archaischen Gottheiten huldigten. Weit gefehlt. Der begrünte Kultplatz ist weitaus jüngeren Datums. Nichtsdestotrotz verbirgt sich im Schatten des Olivenbaumes eine geradezu romantisch anmutende Geschichte von der Sehnsucht nach Weihnachten ...
Sie beginnt im Jahre 1954 mit dem deutschstämmigen Spanier Ulrich Werthwein. Der diplomierte Gartenbauingenieur und Landschaftsarchitekt, der in Barcelona aufgewachsen war, ließ sich vor 60 Jahren auf Mallorca nieder und machte sich hier mit einem Gartenbaubetrieb selbstständig. Als "Uli el jardinero" wurde Werthwein in den folgenden Jahren zur einer Institution im Grünbereich der Insel. Er war der Erste, der für die im Tourismusboom entstehenden Hotels professionell Gärten gestaltete. Kaum eine Palme, die nicht von ihm gesetzt wurde.
Kurz vor seinem ersten Weihnachtsfest auf der Insel importierte Werthwein zudem die ersten Weihnachtsbäume nach Mallorca. Per Lastensegler wurden die Bäumchen nach Palma geschafft. Es handelte sich um ein gutes Dutzend Fichten, die der Gartenexperte in den Pyrenäen gekauft hatte. Auf dem Anhänger seines Motorrads fuhr der damals 25-Jährige die Bäume zum Markt auf die Plaça Major, um sie dort an den Mann zu bringen. "Ich hatte Glück. Im damaligen Theater am Mercat del Olivar, dem späteren Bingo-Palast, gastierten Zirkusleute aus dem Ausland. Die kauften mir die Bäumchen ab." Weitere Kunden waren ausländische Residenten, aber auch der eine oder andere Hoteldirektor, der für seine Wintergäste einen Baum aufstellte.
Mit jedem Jahr wuchs die Nachfrage, und später beförderte Werthwein bis zu 400 Fichten pro Adventszeit nach Mallorca. Sie stammten allesamt aus dem katalonischen Bergdorf Espinelvas. Dort existierte ein Betrieb, der Jungbäume zur Aufforstung zog. Nach und nach entdeckte man in Espinelvas die neue Marktnische. Die Weihnachtsbäume von dort werden extra zu diesem Zweck angepflanzt.
1963 schenkte Werthwein dem Rathaus in Palma kurz vor Weihnachten eine Fichte. "Ein Baum, der knapp zehn Meter hoch war." Der Platz vor dem Gebäude bestand damals, wie man es heute noch teilweise sehen kann, ausschließlich aus Kopfsteinpflaster. Ein Mitarbeiter des Rathauses entfernte ein, zwei Steine, der Stamm der Fichte wurde einfach in die Öffnung gesteckt, anschließend der Baum weihnachtlich geschmückt.
Die neue "Grünzone" kam bei den Palmesanern so gut an, dass die Stadt dort auch im folgenden Jahr wieder eine Fichte aufstellen wollte, die sie dann allerdings Werthwein abkaufen musste. Bald schon verfielen die Politiker auf die Idee, dort dauerhaft eine Fichte samt Wurzelballen anzupflanzen, um nicht jedes Jahr einen neuen Baum erwerben zu müssen. Doch die Stadtverwaltung hatte kein Glück. Dem Baum war es im Sommer zu heiß; er ging ein. Selbiges geschah mit seinen Nachfolgern bei Neuversuchen. Also verlegte man sich auf eine Zeder. Diese Bäume sehen den Fichten ähnlich und stammen aus dem Mittelmeerraum. Doch auch mit dieser Baumart kam die Stadtverwaltung auf keinen grünen Zweig. Denn Zedern gedeihen in Hochgebirgen wie dem Atlas, nicht jedoch auf Meereshöhe.
Was tun? Nach diversen Fehlversuchen wurde der mallorquinische Hotelier und Busunternehmer Jaime Batle aktiv. Er spendete der Stadt 1989 einen Olivenbaum von einer Finca bei Pollença und ließ ihn auf dem Rathausplatz einpflanzen. Das ist der Baum, der heute von Bewohnern wie Besuchern aus aller Welt gleichermaßen bewundert wird.
Den beiden Initiatoren wurden später große Ehren zuteil. Werthwein, der auch das Flussbett des Sa Riera am Paseo Mallorca gärtnerisch gestaltete, erhielt 2013 eine Ehrentafel an der Jaime-III-Brücke. Und Jaime Batle wurde jüngst mit der Goldmedaille des Fremdenverkehrsverbandes von Mallorca geehrt. In der Laudatio wurde ausdrücklich auf den Olivo verwiesen. Jener Baum, der einst auf den ersten Weihnachtsbaum folgte.
(aus MM 51/2014)