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Schwimmerin gegen den Strom

Renate Klepper auf einer Terrasse in Palmas Villenvorort El Terreno. Das Foto entstand während des Spanischen Bürgerkrieges. Im Hintergrund sind Kriegsschiffe zu sehen. Die Fotos stellte Wolfgang Kliegel zur Verfügung. | Foto: privat

| Mallorca |

Während Hitlers Bomben auf britischen Städte fallen und die Reichskriegsmarine sich am Ärmelkanal sammelt, um die Invasion in England vorzubereiten (die dann nie kam), schwimmt eine junge Deutsche durch das Wasser in der Meeresbucht von Vigo. Renate Klepper kämpft und durchzieht das atlantische Nass so schnell ihre Kräfte es nur zulassen. In der galicischen Hafenstadt werden die spanischen Schwimmmeisterschaften abgehalten, 13 der besten Teams aus dem ganzen Land sind dort zusammengekommen, unter ihnen der Schwimmverein "Club Natación Palma" aus Mallorca, das erste Frauenteam der Balearen. Es ist Sonntag, der 25. August 1940. Die 17-jährige Klepper wird spanienweit Dritte über 200 Meter Brust sowie zweimal Sechste über 100 und 400 Meter Kraulen.

Kaum ein anderes Bild hat sich tiefer in das kollektive Sportgedächtnis der Insel eingebrannt als das der blonden Schwimmerin Carmen Guardia, der jungen Teamkollegin von Renate Klepper, die damals sensationell Platz eins erschwamm. Die nixenhaften Fotos der mallorquinischen Sportlerin im Badeanzug strahlten für die triste Franco-Zeit ungeahnten Glamour aus. Renate Klepper, nicht minder blond gelockt, teilte sich damals aufgrund ihres Erfolges mit Carmen Guardia die Titelseite der Tageszeitung "Ultima Hora", die einen Tag nach dem Wettkampf die Erfolge der mallorquinischen Schwimmerinnen verkündete. Während Carmen Guardia bis zu ihrem Tod eine geehrte Persönlichkeit in Palma war, geriet Renate Klepper weitgehend in Vergessenheit. Allenfalls ihre einstige Kameradin erinnerte an sie, wenn Sporthistoriker die Schwimmlegende nach den Pioniertagen des Klubs befragten.

Doch wer war Renate Klepper? Es ist zwei Forschern zu verdanken, dass erstmals nähere Infos über die Schwimmerin und ihre Familie bekannt geworden sind. Astrid von Pufendorf hat jüngst eine umfangreiche Biografie über Otto Klepper veröffentlicht. Der Vater von Renate, ein Jurist und parteiloser Politiker in der Weimarer Republik, war seit 1928 Präsident der Generalgenossenschaftskasse Preußen, 1931 stieg er zum preußischen Finanzminister auf. Doch der "Preußenschlag", mit dem Reichskanzler von Papen im Juli 1932 die Regierung des größten deutschen Landes absetzte, ebnete letztlich auch den Weg Hitlers an die Macht. Otto Klepper verweigerte sich als Antifaschist dem Werben der Nazis zur Mitarbeit am neuen Staat und zog das Exil vor. Das braune Regime rächte sich mit der Aberkennung seiner Staatsbürgerschaft. Der damals 45-Jährige und seine Ehefrau Gertrud (38) sowie die Kinder Ingrid (12), Renate (11) und Martin Otto (9) verloren ihre Heimat, die stattliche Villa in Berlin-Zehlendorf, Ausbildung, Beruf, Lebensgrundlage ...

Die Eltern und die drei unmündigen Kinder verließen Deutschland auf getrennten Wegen Richtung Finnland. Von dort führte die Emigration das Quintett über Dänemark und die Niederlande nach Frankreich. Dort trennten sich die Wege erneut: Gertrud Klepper reiste mit den Kindern weiter nach Mallorca, ihr Ehemann fand zunächst eine Anstellung in China als Regierungsberater in der Finanzverwaltung. Später folgten Stationen in den USA, Frankreich und Mexiko. Einzig im Sommer 1935 konnte die Familie auf Mallorca wieder zusammenfinden. Doch die gemeinsame Zeit wurde nach knapp einem Jahr jäh unterbrochen: Der Spanische Bürgerkrieg, der im Sommer 1936 ausbrach, zwang Otto Klepper erneut zur Flucht, während Frau und Kinder auf der Insel zurückblieben.

Dass das Leben der Gertrud Klepper und ihrer Kinder auf Mallorca jetzt dem Vergessen entrissen werden konnte, ist auch das Verdienst des Braunschweiger Forschers Wolfgang Kliegel. Der Cala-Figueras-Liebhaber hat vor Jahren Anekdoten einer Nachbarin vernommen, die einst mit den Klepper-Töchtern befreundet gewesen war. Die jungen Mädchen wohnten im Villenvorort El Terreno in Palma, das Trio ging zum Schwimmen an die Bucht von Can Barbará, wo damals die Wellen des Meeres noch frei anbrandeten. Mutter Gertrud hielt die Familie mit dem Verkauf von Handarbeiten und Wertgegenständen über Wasser, Freunde und Angehörige halfen mit Geld aus. Die Kinder besuchten die Internationale Schule der US-Amerikanerin Dina Moore Bowden; Renate Klepper integrierte sich zudem als Sportlerin im Schwimmklub von Palma. Trainiert wurde im Freibad von S'Aigo Dolça oder im Hafenbecken selbst.

Es ist erstaunlich, wie die Familie es schaffte, sich in jenen Jahren des Weltkriegs auf Mallorca bedeckt zu halten und Protektion zu finden. Dies ist um so beachtlicher, alldieweil Renate Klepper bereits vor Vigo wegen ihrer sportlichen Schwimmkünste zu einer kuriosen Bekanntheit wurde, deren Name in den lokalen Sportmeldungen häufig auftauchte. Gleichzeitig drohte in jener Zeit zunehmend die Auslieferung der Familie an Nazi-Deutschland. Doch die Kleppers fanden, auch mit Hilfe von Dina Moore Bowden, einen rettenden Ausweg: Im August 1941 gelangte die Familie über Madrid und Portugal in die USA.

Das Schicksal führte die Kleppers nicht wieder zusammen: Die Kinder und Mutter Gertrud verstreuten sich in Nordamerika, Vater Otto Klepper (1888-1957) kehrte nach dem Weltkrieg alleine nach Deutschland zurück. Dort war er als Notar tätig und wurde zum Mitbegründer der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Die Schwimmerin Renate Klepper war später Angestellte in einem Forschungsamt im mittleren Westen der USA. Sie starb 1999 im Alter von fast 77 Jahren. Ob sie zuvor noch einmal Mallorca besuchte, ist nicht gesichert.

(aus MM 43/2015)

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