Die Bandbreite der Reaktionen reicht meist von angenehmer Verzückung über Erstaunen bis hin zu blankem Entsetzen und Schockstarre. Wenn Deutsche mit Spaniern in Kontakt treten, ist die Überraschung über die Begrüßungsrituale hierzulande zumindest bei Neulingen oft groß. Denn in Spanien wird berührt, auf die Schulter geklopft, umarmt und geküsst. Körperliche Nähe - selbst unter bisher Unbekannten - gehört zum täglichen Leben dazu. Intimsphäre Fehlanzeige!
Das stellt für viele Deutsche oft ein Übermaß an körperlicher Nähe dar und kann gelegentlich auch zu recht kuriosen Situationen führen. Der Deutsche weiß, dass man Spanierinnen mit Küsschen links, Küsschen rechts begrüßt. Die Spanierinnen wissen aber auch, dass die Deutschen den Handschlag gewohnt sind. Entweder es kommt zu Verwirrung oder man trifft sich aus Versehen in der Mitte und schon gibts ein ungewolltes Bussi auf den Mund. In der Regel bleibt es aber beim Wangenkuss, und da besteht kein Grund zur Panik: "Die Küsschen sind kein richtiger Knutscher auf die Backen, sondern ein ganz leichtes Berühren der Wangen mit dem Mundwinkel, wenn überhaupt", weiß Spanien-Experte Tobias Büscher. "Das ist üblich zwischen Mann und Frau sowie zwischen Frau zu Frau. Männer begrüßen Männer per Handschlag oder Klaps auf die Schulter", so der Journalist, Autor und Chefredakteur des Online-Portals spanien-reisemagazin.de. "Oft werden die Wangenküsse auch nur angedeutet oder leicht gehaucht."
Mittlerweile werden aber auch in Spanien starre Begrüßungsrituale aufgeweicht. Gerade bei jungen Leuten ersetzt heutzutage eine Umarmung die Küsschen oder den Handschlag, auch unter jungen Männern. Die gleiche Entwicklung lässt sich in Deutschland beobachten, wo sich die Art und Weise, wie sich Menschen begrüßen, im Laufe der letzten Jahre ebenfalls verändert hat. Und so ist es selbst dort mittlerweile normal, bei der Begrüßung unter Freunden die körperliche Distanz zu durchbrechen. Allerdings kommt es unter Deutschen meist zu einer mal mehr mal weniger innigen Umarmung, weniger zum Wangenkuss. Dieser scheint sich dort nicht wirklich durchzusetzen.
In Spanien legt man Wert darauf. Kommt man in ein Lokal oder an eine bereits mit mehreren Leuten besetzte Tafel, bleibt einem die "Kuss-Runde" in der Regel nicht erspart. Ein deutsches "Auf-den- Tisch-klopfen" oder "In-die-Gesellschaft-winken" würde auf Spanier eher befremdlich wirken. Deutsche nervt das manchmal: "Irgendwann ist auch gut mit der Küsserei", sagt Angela Fleckenstein, die sechs Jahre lang Ausländerbeauftragte der Gemeinde Llucmjaor war. Vor allem ältere Deutsche seien manchmal verwundert: "Warum küsst der junge Mann meine Frau?" Solche Sätze habe sie tatsächlich schon gehört. Auch findet sie, dass man sich ein Stück Intimsphäre ruhig bewahren darf, gibt aber gleichzeitig zu: "Im Laufe der Jahre gewöhnt man sich an alles, auch an die Begrüßungsrituale." Unangenehm würde es aber dann, wenn man eine ungepflegte oder schlecht riechende Person gegenüber hat. "Da wünscht man sich dann doch, nur die Hand geben zu müssen."
Und noch einen Unterschied erkennen viele Deutsche hier auf Mallorca, so Fleckenstein. "Spanier stellen einen selten vor. Unterhält man sich beispielsweise mit einem Freund und dessen Bekannter kommt dazu, beginnen sich die beiden zu unterhalten und man steht da wie ein Depp, weil einen niemand vorstellt. Das ist in Deutschland anders."
Dass die überschwängliche Begrüßung auch ein Zeichen sein kann, dass man herzlich willkommen ist, findet Günter Stalter, Organisator des Residenten-Treffs auf Mallorca. "Ich finde das schön, es bricht einfach das Eis. In Frankreich macht man das ja auch, dort gibt's in der Regel sogar ein Küsschen mehr", so Stalter. Das sieht auch Sandra Pipp so, die auf Mallorca in der Gastronomie arbeitet. "Es ist doch wirklich schön, dass die Spanier so offen sind. Vor allem wenn mir Freunde wiederum ihre Freunde vorstellen, finde ich das Geküsse absolut in Ordnung."
Übrigens: Die Mallorquiner gelten im spanienweiten Vergleich, was den Körperkontakt angeht, noch als zurückhaltend. Hier tut es manchmal sogar ein gemurmeltes "Uep!" Was das ist, weiß der auf der Insel lebende Coach und Buchautor Rolf Frost: "Wer als 'foraster', als Fremder, die Sympathie eines Mallorquiners gewinnen möchte, kann es mit dem mallorquinischen Gruß 'Uep' und der passenden Mimik und Gestik probieren: Blickkontakt zum Gegenüber aufnehmen, Kopf leicht in den Nacken legen und Augenbrauen hochziehen! Kurz abwarten! Reagiert das Gegenüber in ebensolcher Weise, folgt 'Uep', kurz und schnell gesprochen wie in 'world wide web'. Der freundliche Gegengruß kommt in aller Regel umgehend, begleitet von Lächeln und Staunen." Sicherlich die mallorquinischste aller Methoden, dem Bussi zu entgehen!