Folgen Sie uns F Y T I R

Auf Mallorca boomt das "Handwerk zum Überleben"

Aus Lehm und Stroh entsteht entsteht in freier Natur ein Backofen. | Curro Viera

| Mallorca |

Im Wald ist Gabriel Vairoletti in seinem Element. Er ist „Bushcrafter”, auf Deutsch etwa Busch-Handwerker. Bushcrafting habe viel mit Survival-Training gemeinsam, erklärt der bärtige Mittvierziger, aber es sei nicht so extrem. „Bei uns geht es weniger darum, Notsituationen zu meistern, als in und mit der Natur zu leben.”

Dafür eignen sich Bushcrafter Fertigkeiten an wie Feuer machen, Schutzunterkünfte bauen, im Gelände orientieren, Holz schneiden, kochen, Lebensmittel lagern, essbare Pflanzen erkennen, Erste Hilfe, Naturseile herstellen „und ein langes etcetera”. Hilfsmittel sind erlaubt. Der Neuling komme mit einem Anhänger voller Ausrüstung in den Wald, sagt Vairoletti. Inzwischen gebe es ja spezialisierte Ausstatter. „Aber mit der Zeit entdeckst du die Freude daran, mit ganz wenig auszukommen.” Aus einem Stein ein Messer zu machen oder ein Feuer durch Reibung zu entfachen, das sei die eigentliche Herausforderung. Beim Erzählen flicht Vairoletti Fasern von trockener Palmenrinde zu einem Seil. „Ziehen Sie mal daran. Das ist so stabil, vier davon und wir können ein Auto abschleppen.”


Gemeinsam für Wald und Natur. Patricia Torena, Psychologin und Pädagogin, leitet in Bun-yola den ersten Waldkindergarten Mallorcas, ihr Mann Gabriel Vairoletti unterstützt sie und führt Grundschulkinder spielerisch ins Bushcrafting ein, am liebsten verbringt er jede freie Minute im Wald. Foto: ecu

Der Begriff Bushcraft wurde in seiner aktuellen Bedeutung schon im 19. Jahrhundert in Australien und Südafrika benutzt. Als Lebensart hat er aber erst in den vergangenen Jahren an Popularität gewonnen. „Wir brauchen einen Ausgleich zu unserer digitalen Welt”, meint Vairoletti. Im Wald vergesse man die Alltagssorgen, schöpfe Energie und aktiviere seine Sinne. „Ich höre zu, wie Blätter im Wind rascheln, unterscheide Bäume an ihren Gerüchen, schmecke Kräuter und Früchte.”

Bushcrafting bedeute, sich in die Natur einzubinden. Wie das genau aussehe, gestalte jeder Einzelne ganz individuell. In jeden Fall steigere die Beschäftigung in der Natur Fitness, Kreativität und Selbstbewusstsein. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so was kann.” Wie oft höre er diesen Kommentar und freue sich. „Wir erfinden das Rad nicht neu”, betont er. Mit wenigen Mitteln Alltagsprobleme lösen, das sei früher ganz normal gewesen.


Zurück zu den Wurzeln: Bushcrafting verbindet Natur und
Handwerk, Gabriel Vairoletti (M.) zeigt einer Gruppe
praktische Holzverarbeitung. Foto: Curru Viera

In Internetforen tauschen sich die Anhänger untereinander aus: Was ist das beste Gear? Was ist im Wald erlaubt und was nicht? Wo gibt es Kurse? Auf Mallorca gehört Gabriel Vairoletti bislang zu den wenigen Vertretern. Von Kindheit an habe es ihn in den Wald gezogen, erzählt er. In seiner Heimat Uruguay war er Förster. Auf Mallorca arbeitet er in einem Hotel an der Rezeption. Aber in jeder freien Minute geht er in den Wald. „Das ist mein Platz.” Über Whatsapp verabredet er sich spontan mit anderen. Auf Anfrage gibt er Workshops auf der Insel, dem spanischen Festland und den Kanaren. Egal, ob sie auf Privatgrundstücke oder öffentliche Plätze gingen, Bushcrafter hielten sich immer an die Vorschriften und vor allem stehe der Naturschutz: „Wir stören so wenig wie möglich. Wenn wir gehen, kann niemand sehen, wo wir waren, weil wir die Stelle so wie vorher verlassen oder in besserem Zustand.”

Ganz wichtig seien Bushcraftern die Kinder. Gabriel Vairoletti leitet in Bunyola, wo er wohnt, ehrenamtlich eine Nachmittagsgruppe mit Sechs- bis Neunjährigen. „Wir klettern, gehen in Höhlen, kochen, bauen Hütten, sie lernen, Pflanzen zu unterscheiden, Verbände anzulegen, sich zu orientieren und vieles mehr. Vor allem haben sie viel Spaß.”


Für die Kinder ist jeder Tag ist ein Abenteuer im Wald.

Seine Frau Patricia Torena führt in Bunyola den ersten Waldkindergarten der Insel. Was sie im Wald lernten, nütze ihnen ihr ganzes Leben, sagt sie. „Sie spielen mit dem, was sie hier finden.” Das fördere ihre Kreativität, die Fähigkeit, mit Frustrationen umzugehen und aufeinander zuzugehen. Die Bewegung auf dem unebenen Gelände rege ihr Gleichgewichtsorgan an, was eng mit der Entwicklung der Sprache verbunden sei. Und natürlich lernten sie: „Wir sind ein Teil der Natur.”

Während sie erzählen, entfacht der Bushcrafter mit einem Zunder aus Palmenrinde und Kiefernharz ein kleines Feuer. „Harz wirkt wie Benzin, wussten Sie das?” Das Harz schabt er vorsichtig vom Baum ab, „um ihn nicht zu verletzen”. Zum Anzünden hält er einen Feuerstahl an den Zunder. Ein Feuerstahl ist ein Stäbchen aus Mischmetall. Er schabt mit einer Klinge daran, Funken entstehen, das Feuer brennt. Nachdem es ausgegangen ist, steckt Vairoletti die nicht genutzten Palmenfasern ein. „Die kann ich dann das nächste Mal benutzen.”

(aus MM 13/2020)

Zum Thema
Meistgelesen