Dass sie einmal Künstlerin wird – und das auf Mallorca – hätte sich Astrid Thieme nicht träumen lassen. Lange Zeit war sie als PR-Referentin fest im Berufsleben verankert und arbeitete eng mit Vorständen aus der Wirtschaft zusammen.
Beim Gedanken an einen Künstler stellen sich die meisten Menschen jemanden mit Staffelei und Pinsel vor. Dieser kommt bei Thieme allerdings nicht zum Einsatz. "Ich kann mich ausgezeichnet und kreativ in Worten ausdrücken. Wenn ich also etwas gestalte, dann eher in Textform", erklärt die Mutter eines Sohnes ihre Arbeitsweise. Um ein Bild zu erschaffen, gibt sie einem KI-Programm Sprachbefehle ein. Diese sogenannten Prompts werden in Bildwelten übersetzt. "Die müssen allerdings sehr ausführlich und präzise formuliert sein, um wirklich differenzierte Ergebnisse zu erzielen", beschreibt sie den Prozess mit einem Lächeln.
"Oh ja", bestätigt ihr Ehemann Rudi. "Ich habe das auch einmal versucht. Es klingt ganz einfach, oder?", fragt er mit einem Grinsen. Das Ergebnis sei jedoch „nicht wirklich vorzeigbar” gewesen, wie der 62-Jährige zugibt. "Meine Frau hat ein echtes Gespür dafür. Das kann nicht jeder."
Doch wie kam es zu diesem Wandel? "Im Sommer 2023 haben wir einen langen Urlaub auf Mallorca gemacht. Wir haben die Insel schon immer geliebt", erzählt Thieme. Ursprünglich wollte das Ehepaar nach Dublin auswandern, entschied sich dann aber für Spanien. Dafür gab sie ihren sicheren Job auf, um auf Mallorca in neuen Bereichen Fuß zu fassen. "Das hat mich aber nicht erfüllt. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen", sagt sie offen.
In dieser Phase stellte ihr eine Freundin die entscheidende Frage: Was bereitet Dir gerade Freude? "Ich begann, meine kreative Seite neu zu entdecken – und dabei auch mich selbst. Mit dem KI-Programm Midjourney konstruierte ich stundenlang Bilder, die wirklich etwas hermachten", erinnert sie sich. Ihr Mann erkannte ihr Talent und schlug vor, dass Thieme sich ab sofort ganz auf die Kunst konzentrieren solle.
Seitdem experimentiert sie täglich mit verschiedenen Tools und verfeinert ihre Werke mit Canva oder Photoshop. "Viele glauben, dass man mit künstlicher Intelligenz keine Kunst machen kann", sagt die Bad Kreuznacherin. Doch wer bestimme, was Kunst ist? "Das liegt immer im Auge des Betrachters."
Kritiker sagen, KI sei nicht in der Lage, Gefühle zu vermitteln. "Das ist mir aber sehr wohl gelungen", so Thieme und zeigt auf ihre Werke. In der Serie "Metamorphose" porträtiert sie Frauen, die sich in einem Prozess der Veränderung befinden. Muschelformationen symbolisieren Körperteile und machen Entwicklungen sichtbar. Man erkennt anhand des Ausdruckes, der gespiegelten Emotionen und der Haltung, ob sich eine Figur noch am Anfang ihrer inneren Reise befindet oder bereits Selbstbewusstsein und Stärke ausstrahlt. "Damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Ich bin gerade selbst in so einem Prozess. Diese Arbeit macht mich wirklich glücklich. Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal etwas finde, das mich so erfüllt."
Da Erfolg in der Kunst Zeit braucht, finanziert sich Thieme zusätzlich durch Auftragsarbeiten. "Ich versuche, meine Arbeit sichtbarer zu machen." Während sie Orte sucht, die ihre Werke als Leihgaben ausstellen, gestaltet Thieme etwa für das "Mallorca Kino" die Eintrittskarten, um auf ihren neuen Stil aufmerksam zu machen.
Anderen Unternehmen auf der Insel hilft sie, ein passendes Corporate Design zu entwickeln und es gezielt zu vermarkten. "Wir haben in Spanien ein eigenes Unternehmen gegründet. In der Thieme Consulting SL kann ich mich in Kunst, Kommunikation und PR voll entfalten", sagt sie, und ihre Augen leuchten.
Inzwischen steht Thieme mit Galerien auf der ganzen Welt in Kontakt. "Ich glaube, diese Form von Kunst wird immer aktueller." Ihren eigenen Weg hat sie über Umwege gefunden. Jetzt ist sie einfach neugierig, wie ihre Arbeiten aufgenommen werden.