Aufrecht steht sie im Meer, wie ein lebendes Mahnmal, die gewaltige Pinna Nobilis oder Edle Steckmuschel. Sie ist die größte Muschelart im Mittelmeer und eine der größten weltweit. Bis eineinhalb Meter lang wird sie und vierzig Jahre alt. Ihren Platz verlässt die Nacra, wie sie auch genannt wird, nie, denn sie steckt mit der Spitze fest im Meeresboden.
"Die Nacra ist ein Bioindikator. Wo sie steht, ist das Ökosystem in gutem Zustand", sagt Salud Deudera vom Ozeanografischen Zentrum der Balearen. Seit fünf Millionen Jahren kommt die Nacra im Mittelmeer vor. Auf Mallorca war sie bis vor 30 Jahren zahlreich anzutreffen, ganze Felder gab es von ihr bis nah an die Küste heran. Heute ist die schmale Muschel selten geworden und geschützt. Mancherorts finden Taucher sie noch, zum Beispiel in der Bucht von Pollença, vor allem aber in Meeresschutzgebieten wie Cabrera.
Am liebsten lebt die Nacra in Seegraswiesen in einer Tiefe von einem halben bis etwa vierzig Meter. Rhythmisch öffnen und schließen sich die beiden Muschelschalen. Sie beschützen die Weichteile und das Verdauungssystem des Meerestiers, das zur Ernährung Plankton aus dem Wasser filtert.
Die Nacra hat ganz wichtige Funktionen für die Umwelt, sagt Salud Deudera, die eine Studie zur Steckmuschel geleitet hat: "Weil ihre Schalen aus den Mineralien Calcit und Aragonit bestehen, ist sie ein CO2-Fänger und hilft, den Klimawandel zu minimieren." Daneben reinige sie beim Filtern das Wasser von überflüssigen Partikeln, diene anderen Meerestieren als Nahrung, besonders Tintenfischen oder Schnecken, und verschiedene kleine Organismen benutzten ihr Gehäuse als Lebensboden.
Schon in der Antike war die Steckmuschel im Mittelmeerraum bekannt und begehrt. Aus den goldschimmernden Fäden, mit denen sie sich am Meeresboden verankert, wurde bis ins Mittelalter Muschelseide hergestellt. Die von innen sehr schönen Schalen waren beliebte Dekorationsobjekte. "Noch vor wenigen Jahren konnte man sie auf Mallorca an den Wänden von Bars sehen", erzählt die Biologin. Die Nacra sei auch essbar, aber bitter. Nur den Muskel, der die Schalen zusammenzieht, habe man früher gebraten verzehrt.
Zum Überleben braucht die Nacra sauberes, klares und ruhiges Wasser. In Cabrera, wo diese Bedingungen zum Teil gegeben sind, haben Deudera und ihr Team eine Bucht mit 2000 Exemplaren entdeckt. Die Steckmuschel reagiert jedoch sehr empfindlich auf Umwelteinflüsse. Die Meeresverschmutzung macht ihr ebenso zu schaffen wie die Invasion neuer Algenarten. Starke Wellen und vor allem Ankerleinen können sie beschädigen oder aus dem Sediment reißen.
"Die Nacra ist im Mittelmeer endemisch. Wenn wir sie hier verlieren, verlieren wir sie für immer", betont die Forscherin. Um sie zu schützen, ist es verboten, die Muschel zu berühren oder sie als Souvenir mitzunehmen. Jeglicher Handel ist gegen Strafe untersagt. Sollten sich Exemplare in Fischernetzen oder Ankerleinen verfangen, müssen sie ins Wasser zurückgeworfen werden.
"Ankern auf Posidonienfeldern, dem bevorzugten Habitat der Steckmuschel, bitte unbedingt vermeiden und auch sonst beim Ankern darauf achten, dass keine Schalen beschädigt werden", sagt die Biologin.
Weitere Infos (auf Spanisch) gibt es unter www.ba.ieo.es/pinna
(aus MM 30/2015)