Der österreichische Musikästhetiker Eduard Hanslick (1825-1904) war einer der bedeutendsten Musikkritiker seiner Zeit. Seine Kritiken waren direkt, mitunter auch brutal und verletzend. So ätzte er über Tschaikowskis Violinkonzert, "ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört". Eine seiner raren Lobeshymnen stimmte er dagegen über das "deutsche Requiem" von Johannes Brahms an, das nur wenige Jahre zuvor uraufgeführt worden war: "Seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis ist nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms' deutsches Requiem zu stellen vermag."
Im Rahmen des Festivals Música Mallorca wird das Requiem am Samstag, 11. November, in der Kirche Santa Eulàlia in Palma aufgeführt. Allerdings nicht in der Version für Orchester, sondern als vierhändige Klavierfassung. Die Sopranistin Maia Planas, der Bariton Tohru Iguchi, die Pianisten Kaori Mune-Maier und Armin Becker und die Schwabinger Kantorei werden sie unter der Leitung des Kirchenmusikdirektors Michael Grill aufführen.
Grill ist Organist, Komponist und Leiter der Schwabinger Kantorei mit ihren rund 80 Mitgliedern, die in München offiziell als Chor der Erlöserkirche München-Schwabing firmiert. Über das Requiem in Klavierversion sagt er: "Diese Fassung wird relativ selten aufgeführt. Aber seit vor etwa fünf Jahren publik wurde, dass es eine Fassung von Brahms gibt, die er selbst autorisiert hat, kommt es doch immer wieder vor." Er verhehlt nicht, dass Brahms diese Fassung wohl nicht ganz freiwillig, sondern vermutlich aus verlegerischen Gründen anfertigte.
Tatsächlich war es im 19. Jahrhundert durchaus üblich, den Orchesterpart in vereinfachter Form für Klavierduo zu bearbeiten. Auf diese Weise war es musikalischen Amateuren möglich, auch in Zeiten vor dem Plattenspieler und mp3-Player große Werke außerhalb der Konzertsäle zu erleben.
Möglicherweise hielt sich Brahms selbst am geeignetsten dafür, die Klavierfassung für das "deutsche Requiem" anzufertigen. Als Arrangeur wollte er seinen Namen jedoch nicht auf dem Titelblatt sehen, und in einem Brief merkte er ironisch an: "Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für die vierhändige Seele genießbar zu machen. Jetzt kann´s nicht untergehen."
Wenngleich die Klavierversion nicht der ursprünglichen Vorstellung des Meisters entsprochen haben mag, kann ihr Grill viel abgewinnen: "Man hört das Werk ganz neu. Man vermisst natürlich die schönen Klangfarben des Orchesters, aber gewinnt auf der anderen Seite an Durchsichtigkeit und an Feinheiten im Werk und kann auch emotionaler herangehen, als man das mit der Orchesterbegleitung könnte."
Am Sonntag, 12. November, kann man Grill an der Orgel der Kirche Sant Miquel in Llucmajor in einer weiteren Facette als Kirchenmusiker erleben. In die Kirchenmusik, sagt er, sei er hineingewachsen. Schon früh erhielt er Klavier- und Orgelunterricht. Als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Oberbayern sei er immer wieder für den Organisten eingesprungen, zu dessen Tugenden die Zuverlässigkeit nicht gehörte, schildert er die Anfänge seines Werdegangs.
Bereits mit 17 Jahren und noch vor dem Abitur wurde Grill von dem legendären Organisten, Dirigenten und Chorleiter Karl Richter als Gaststudent an der Münchner Musikhochschule angenommen. "Durch so eine Persönlichkeit wurde ich natürlich erheblich geprägt. Da ist der Weg dann vorgezeichnet", sagt er.
Als freier Organist war Grill jahrelang an der St. Matthäuskirche in München tätig. Viele Konzerte führten ihn ins europäische Ausland, nach Israel, Südamerika und in die USA. In Deutschland ist er immer wieder Gast an renommierten Kirchen wie der Kreuzkirche Dresden oder der Gedächtniskirche Berlin. 15 Jahre lang veranstaltete er die von ihm gegründete Konzertreihe "Neue Orgelmusik München", und als Kirchenmusiker an der Münchner Andreaskirche rief er unter anderem die "Fürstenrieder Bachtage" ins Leben. Seit 2008 ist er Kantor an der Erlöserkirche in München-Schwabing.
Das Spiel an der Orgel der Kirche Sant Miquel bezeichnet Grill als Abenteuer, vor allem wegen des rudimentären Pedalspiels, das für historische iberische Orgeln typisch ist. "Ich habe noch nie auf einer Orgel gespielt, die keine regulären Pedale hatte, sondern nur Knöpfe", bekennt der Kirchenmusiker. Auf Stücke mit virtuosen Pedalsoli hat er deshalb verzichtet. Statt dessen wird er Werke von spanischen und deutschen Komponisten spielen, die zum Teil direkt auf die Besonderheiten historischer spanischer Orgeln zugeschnitten sind. Und mit der Bescheidenheit des Musikers sagt er: "Ich könnte mir vorstellen, dass das Konzert recht schön wird und die Leute das Programm mögen."
INFO
SA, 11. November, 17 Uhr: Johannes Brahms: "Ein deutsches Requiem"; Rahel Indermaur (Sopran), Tohru Iguchi (Bariton) Kaori Mune-Maier und Armin Becker (Klavier), Chor der Erlöserkirche München, Schwabinger Kantorei,
Leitung: KMD Michael Grill
Ort: Kirche Santa Eulàlia, Palma.
SO, 12. November, 17 Uhr: Großes Orgelkonzert; KMD Michael Grill (Orgel): Werke deutscher und spanischer Komponisten
Ort: Kirche Sant Miquel, Llucmajor
Karten: Jeweils 15 Euro; Musicasa; www.eventim.de