Marina Planas kramt in einem der hundert Kartons und Schachteln mit Fotos und Negativen ihres Großvaters. Plötzlich fällt ein Zettel heraus. Es ist nicht das gesuchte Foto, das ein deutscher TV-Sender für eine Dokumentation angefragt hat. Doch erweckt das Stück Papier kurz ihre Aufmerksamkeit. In großen Lettern steht darauf: „El tiempo pasa … los reportajes quedan.” Auf Deutsch heißt das: „Die Zeit vergeht, doch die Reportagen bleiben”. War das nicht das Motto ihres Großvaters, des Fotografen Josep Planas i Montanyà? Jedenfalls hat der 2016 im Alter von 92 Jahren verstorbene Fotograf seiner Enkelin ein gewaltiges kulturelles Vermächtnis hinterlassen. 2,3 Millionen Fotos und Negative sowie 18.043 Postkarten lagern im Archiv der „Casa Planas” im Stadtteil Es Fortí in Palma.
Endlich hat die Frau mit den rötlichen Haaren und den Sommersprossen die gesuchte Postkarte in der Hand. Ein schlichtes Motiv mit einem Dutzend saftiger Orangen, hängend an einem Baum. Diese Postkarte wurde 2221-mal im Jahre 1968 verkauft, 3207-mal im Jahre 1969 und 8276-mal im Jahre 1970. Freunde und Familien von Mallorca-Touristen hatten sie damals in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich empfangen. Hat vielleicht eine solche Postkarte dazu beigetragen, die Sehnsüchte nach der sonnigen Insel zu wecken? „Mein Großvater hatte großen Einfluss auf den Tourismus”, stellt Marina Planas fest.
Der Ausnahmefotograf arbeitete als Korrespondent für diverse Lokalzeitungen und für internationale Magazine. Zudem nahm er an Wettbewerben teil und gewann zahlreiche Preise. Seine Reportagen und Filme öffneten ihm auch den Weg zum Kino. Josep Planas, der 1958 bei Agfa in Deutschland eine fotografische Weiterbildung machte, sammelte zudem Fotoapparate und Kameras. Allein 2000 Exemplare finden sich im Archiv.
Planas dokumentierte die Geschichte des Tourismus auf Mallorca mit der Kamera wie kein anderer, sein Vermächtnis ist populär. Und dieses fotografische Erbe lastet auf den Schultern seiner Erbin und Enkelin. Sorgen drücken sie, denn die Bedingungen zum Lagern der Fotos auf der Insel sind wegen des feuchten Klimas ungünstig für den Fortbestand der Bilder. Eine unkonventionelle Lösung für das Problem kam Marina Planas in New York, als sie an der School of Visuals Arts in New York studierte. Einer ihrer Professoren erwähnte ihr gegenüber, dass Bill Gates’ Agentur das Bettmann-Archiv in einer früheren Mine in Pennsylvania untergebracht habe. Eine ähnliche Lagerung würde sich für ihr Foto-Archiv anbieten, etwa unterirdisch in einer Wüste in Chile.
Für die Archivierung und Digitalisierung braucht Marina Planas vor allem eins: sehr viel Geld. Rund eine Million Euro ist erforderlich, wenn die Enkelin die Fotografien retten möchte. Seit Jahren hakt sie beim Inselrat, der Stadt Palma und bei Banken nach – ohne Erfolg. „Mittlerweile gehe ich davon aus, dass das Foto-Archiv der Vergänglichkeit zum Opfer fallen wird”, erklärt sie ernüchtert.
Doch Casa Planas ist viel mehr als ein Foto-Archiv – denn die Räume beherbergen ein organisches, lebendiges Kulturzentrum. Eines der Projekte in Casa Planas ist ein interkulturelles Kino, das seit 2019 existiert. Jeden Montag werden vor einem spanisch-deutschen Publikum um 18.30 Uhr Filme gezeigt. Die Auswahl erstellt die Leitung des Kulturzentrums gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Barcelona. Für drei Euro Eintritt werden in erster Linie deutsche Filme mit spanischem Untertitel ausgestrahlt. (Reservierungen per E-Mail unter centreculturalcasaplanas@gmail.com oder telefonisch unter: 971- 966 751). Nach der Filmvorführung finden regelmäßig cineastische Diskussionen unter den zwei Dutzend Besuchern statt; zumeist sind es spanische Studenten und deutsche Residenten. Das aktuelle Programm der Filmnächte, die an diesem Montag, 21. März, beginnen und bis Ende Mai dauern, steht unter dem Motto „Generationsübergreifende Beziehungen”.
Ein weiteres Projekt der Casa Planas ist der Austausch mit internationalen, und vor allem deutschen Künstlern. Das Kulturzentrum organisiert über das Goethe-Institut und vielen Kunstakademien das dritte Jahr in Folge eine europaweite Ausschreibung für Künstler. Von den rund 300 Bewerbern werden dann drei für die Künstler-Residenzen auserkoren.
Bei den derzeitigen Kunststipendien beleuchten die Kulturschaffenden mit fotografischen oder audiovisuellen Mitteln die historischen Beziehungen zwischen Mallorca und Deutschland. Eine Künstlerin behandelt etwa die Rückzugsgebiete ehemaliger SS-Angehöriger auf Mallorca. Zudem suchte sie die Zufluchtsorte von deutschen Juden auf, die nach Spanien ins Exil geflüchtet waren. In den Räumen der Casa Planas hatte bis vor kurzem auch das Radio Sputnik sein Zuhause. Hier wurde auf 105,4 Megahertz neben Spanisch und Katalanisch wöchentlich ein deutsches Programm ausgestrahlt.
Die Türen des Kulturzentrums sind auch für andere Berufszweige geöffnet. Dort können zahlreichen Räume oder auch einzelne Arbeitsplätze wochen- oder monatsweise gemietet werden. Mit Preisen von 160 Euro je Schreibtisch und bis zu 300 Euro je Studio will Casa Planas mit diesem „Office Sharing” vor allem Menschen ansprechen, die im Home Office arbeiten.
Auch für die nahe Zukunft verfolgt Marina Planas Pläne: Mit dem Verkauf von originalgetreuen Kopien der Werke ihres Großvaters kann sie vielleicht einen Teil des Archivs über die Zeit hinweg erhalten und so vor dem drohenden Verfall retten.