Noch Mitte des 20. Jahrhunderts gab es im Innern der Insel Menschen, die noch nie das Meer gesehen hatte. Und wenn jemand, so erinnern sich altgediente Insulaner, mit dem Schiff eine Reise nach Barcelona antreten musste, wurde er an der Hafenmole in Palma von der gesamten Großfamilie verabschiedet, als ob er nach China auswandern würde.
Reisen und Mobilität hatten früher auf Mallorca einen anderen Stellenwert als heute. Man ging nicht in die Fremde - damit waren die Dörfer jenseits des Nachbardorfes gemeint -, und die Insel verließ man schon gar nicht.
Keine Regel ohne Ausnahme: Wenn Kolumbus tatsächlich aus Mallorca stammte, dann war er nicht nur Weltreisender, sondern Weltenentdecker. Den Franziskanermönch Junípero Serra zog es zu Gründungen von Missionsstationen ins ferne Kalifornien. Und General Weyler schwang seinen Säbel in Asien und Amerika.
Heute, so scheint es, haben die Mallorquiner die Lust am Reisen neu entdeckt. Leicht lassen sich im Bekanntenkreis Menschen finden, die aufgeregt von neuen Reise-eindrücken berichten oder sich zumindest mit Reiseplänen tragen. Marta und Jaime aus Palma etwa waren erst einmal in ihrem Leben im Ausland, per Pauschalreise ins Disneyland bei Paris, der Kinder wegen. Nun wollen sie erstmals den Sprung nach Deutschland wagen. Ein für sie regelrechtes Abenteuer, denn außer der 14-jährigen Tochter spricht niemand ein Wort Englisch oder Deutsch. "Ich war neulich in Berlin, das erste Mal in meinem Leben, und es war fantastisch. Was für ein Wahnsinn, diese Stadt...", berichteten eine spanische Kollegin, ein mallorquinischer Freund, selbst der Bankangestellte in der dörflichen Sa-Nostra-Filiale. Die Berichte gleichen sich. Der Mut zum Flug über die Gestade des Archipels hinaus wuchs in den vergangenen Jahren in dem Maße, wie die Anzahl der Verbindungen nach Deutschland zunahm. "Dass Mallorquiner nicht gerne verreisen, ist eine Lüge so groß wie ein Tempel", sagt Perdo Iriondo, Verbandspräsident der balearischen Reisebüros. Ohne das Fernweh der Insulaner würde es nicht jährlich 22 Millionen Passagiere am Flughafen von Son Sant Joan geben. Aber auch Iriondo hat beobachtet, dass das Interesse der Mallorquiner an Reisen nach Nordeuropa, vor allem in Metropolen wie Berlin, Paris, Prag, Wien oder London zugenommen hat.
Mit Pauschalangeboten reisen die Insulaner gerne. Beliebt sei
vor allem die Karibik: Kuba, die Dominikanische Republik,
Mexiko.
Das sind jene Zonen, in denen die mallorquinischem Hotelkonzerne
ohnehin sehr aktiv sind. Da weiß man dann, worauf man sich
einlässt. Und so folgen viele Insulaner landsmännischen Spuren,
sofern Kolumbus wirklich Mallorquiner war.
Wenn Mallorquiner nicht verreisen, dann urlauben sie bevorzugt in den Hotels der eigenen Insel. Die Hoteliers wiederum schätzen diese Kundschaft und locken sie in gästeschwachen Zeiten mit Sonderangeboten an.
Jetzt, nach Ostern, ist es wieder so weit. Die Hotels sind geöffnet, aber die Urlaubssaison hat noch nicht begonnen. Damit sich der Betrieb trotzdem rechnet, gewähren Herbergsväter Rabatte, etwa für Wochenendbesucher. In der spanischen Presse sind deshalb immer wieder Kleinanzeigen zu finden. Das Hotel Son Caliu bei Palmanova bietet das Doppelzimmer für 60 Euro pro Person und Nacht an, samt Gratis-Zugang in den Spa-Bereich. Andere Hotels setzen darüber hinaus auf buntes Beiprogramm: Das Alcúdia Garden offeriert an diesem Wochenende, 28. bis 30. März, Spiele und Kurse rund um den neuen Modetanz Chiki Chiki. Mit dem dazugehörigen Blödellied wird Spanien im Mai bei der Eurovision antreten.