Wenn Sandra Rodríguez morgens zur Arbeit geht, weiß sie nicht, was genau sie erwartet. Schnapsleichen? Benutzte Kondome? Erbrochenes? Oder doch nur der ganz normale Alltagsstress? "Den gibt es immer, jeden Tag", erzählt Rodríguez. Sie ist Reinigungskraft in einem Drei-Sterne-Hotel in El Arenal, oder, wie man bis heute sagt: Zimmermädchen.
Zwei Stunden lang putzt sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen die Gemeinschaftsräume, dann sind die Gästezimmer an der Reihe. 24 davon muss Rodríguez in den verbleibenden sechs Stunden schaffen, rein rechnerisch hat sie pro Zimmer also exakt 15 Minuten Zeit. "Das kann man nicht schaffen", sagt sie. "Zumindest nicht annähernd gründlich", fügt sie hinzu. "Täglich sind mehrere Zimmer darunter, die grundgereinigt werden, weil sie von neuen Gästen bezogen werden sollen. Wenn man das vernünftig machen will, braucht man pro Zimmer 45 Minuten."
Doch die hat Rodriguez nicht. Und so arbeitet sie im Akkord, jeder Griff muss sitzen. Bad putzen, Staub wischen, Betten machen, Balkon fegen, Handtücher austauschen, Minibar auffüllen, Staubsaugen. "Und das alles innerhalb von weniger als zehn Minuten, sonst gerät der Zeitplan vollkommen aus dem Ruder." Denn hinzu kommen ja auch noch die Wege zwischen den Zimmern, und die Gäste, die plaudern wollen - oder diejenigen, die das Zimmer als Saustall zurücklassen. "Vor allem im Sommer ist es schlimm. Da haben wir viele junge Leute, die einfach nur Party machen wollen. Dann liegt das ganze Zimmer voller Sachen, auf dem Balkon stapeln sich die leeren Alkoholflaschen, die Aschenbecher quellen über und wenn man Glück hat, dann hat sich niemand übergeben", so Rodríguez. Wenn doch, dann muss sie es eben wegmachen - und verliert noch mehr kostbare Zeit.
"Einmal bin ich in ein Zimmer gekommen, das ein Pärchen bewohnt hat. Sie hatten sich gestritten und der Mann lag in der zerbrochenen Fensterscheibe und überall war Blut. Auch das musste natürlich ich wegmachen", berichtet Rodríguez. Oft nimmt sie der Job mental auch dann noch mit, wenn sie auf dem Weg nach Hause zu ihren zwei Kleinkindern ist. "Und körperlich sowieso. Wenn ich zu Hause ankomme, bin ich vollkommen geschafft."
Das kennen Isabel Moreno (56) und Dolores Ayas (59) nur allzu gut. Moreno arbeitet seit 26 Jahren in einem Dreieinhalb-Sterne-Hotel in Can Pastilla, Ayas seit 37 Jahren in einem Vier-Sterne-Hotel in El Arenal. "Ich musste mich mehrmals operieren lassen und habe mittlerweile kaputte Gelenke. Schmerzmittel gehören für mich zum morgendlichen Kaffee dazu", berichtet Moreno. "Es ist einfach zu viel", berichtet auch Ayas. "Manchmal hat man die gesamte Arbeitszeit über nicht einmal Zeit, einen Schluck Wasser zu trinken, geschweige denn auf die Toilette zu gehen."
Auch für die Gäste sei das nicht schön. "Wir können immer nur das Nötigste machen. Es ist mir wirklich unangenehm, das den Kunden sagen zu müssen, schließlich bezahlen sie den Service ja", berichtet Ayas. Gerne würde sie sich mehr Zeit nehmen, auch, um mit den Gästen zu plaudern. "Die deutschen Gäste sind uns immer am liebsten", sind sich Rodríguez, Moreno und Ayas einig. "Die Jugendlichen sind in der Regel sehr kommunikativ und die Älteren sehr höflich. Das ist bei anderen Nationalitäten oft anders."
Einige Stammkunden kenne man im Laufe der Jahre vom Namen. "Manche fragen sogar nach mir", erzählt Ayas. Das seien dann die schönen Momente. "Wenn man wertgeschätzt wird, wenn Gäste einem nette Nachrichten oder Trinkgeld hinterlassen, dann fühlt man sich gut", findet auch Moreno. "Die Arbeit an sich mache ich auch wirklich gerne", pflichtet Rodríguez ihr bei. "Nur die Bedingungen, die sind einfach unmenschlich. Wir sind Menschen, keine Maschinen, das vergessen die Hotelbesitzer oft."
Bei Mallorcas Hotelverband Fehm sorgen solche Anschuldigungen schon lange nicht mehr für Aufregung. Die Politik müsse sich um Lösungen kümmern, beispielsweise durch vorgezogene Ruhestandsregelungen für die Beschäftigten, heißt es.
Kein Wunder, dass die Klagen der rund 40.000 Zimmermädchen auf den Balearen immer weiter zunehmen. "Vor allem die ganz jungen Arbeiterinnen tun mir leid. Die Chefs spielen häufig mit ihrer Angst, entlassen zu werden. Also müssen sie noch härter arbeiten", so Ayas. Offiziell haben Zimmermädchen auf den Balearen eine 40-Stunden-Woche und zwei freie Tage pro Woche. "Aber häufig werden die Tage spontan verschoben, man kann nie planen", so Moreno.
Genau wie fast alle Zimmermädchen auf Mallorca hat sie nur einen temporären Festvertrag - die meisten Hotels sind zwischen November und Februar geschlossen. "Das war früher mal anders", erinnert sich Moreno. Arbeitslosengeld gibt es in den Wintermonaten nur jedes zweite Jahr, die gut 1100 Euro, die Moreno monatlich netto verdient, müssen ansonsten für das ganze Jahr reichen. "Trotz allem mag ich meinen Job", sagt sie. Aber für ihre Kinder, fügt sie hinzu, würde sie ihn sich trotzdem niemals wünschen. "Ich bin froh, dass sie studiert haben und etwas anderes machen."
"Zimmerjungen" gibt es übrigens praktisch gar nicht an der Playa de Palma, auf den gesamten balearischen Inseln sind 99,9 Prozent der in diesem Beruf Tätigen weiblich. "Ich kannte mal einen, der hat es zwei Tage versucht, aber dann hat er aufgegeben", berichtet Moreno und lacht. "Der Job ist einfach zu hart für Männer."
(aus MM 34/2016)