Wenn die Macher der Rosamunde-Pilcher-Filme für eine nächste Folge eine Konditorin suchen, dann wäre es nicht verwunderlich, wenn Martina Ketelhut aus Vilafranca de Bonany, nahe Manacor, die Rolle bekäme. Schauspielerin ist Martina zwar nicht – dafür aber eine Konditorin, wie sie im Buche steht: Mit einem Lachen so herzerwärmend wie frischer Kuchen riecht, und den berühmten Apfelbäckchen, von denen man normalerweise nur in Kitschromanen liest. 21 Jahre ist es her, dass die gelernte Erzieherin mit ihrem Mann Jürgen nach Mallorca ausgewandert ist. Davor hat sie zwölf Jahre in einem Kinderheim gearbeitet, aber nach all den Jahren war die Seele müde und der Kopf unzufrieden mit dem System.
Die Auswanderung war für Martina Ketelhut auch beruflich ein Neuanfang. Sie hat sich andere Aufgaben und Herausforderungen gesucht und dabei vieles probiert – zuletzt hat sie Schmuck designt und hergestellt. „Aber das ist schwierig, hier auf der Insel“, sagt sie. „Die Konkurrenz ist groß und so richtig geschätzt wird die viele Arbeit, die in einem Schmuckstück steckt, von den wenigsten.“
Vor etwas mehr als einem Jahr hat sich Martina dann den Traum von einer kleinen Backstube erfüllt. Die ist behördlich vorgeschrieben, wenn man kommerziell, also für den Verkauf, backen möchte. Und das macht die 52-Jährige jetzt – obwohl sie nie eine Berufsschule für Bäcker von innen gesehen hat. „Mein Onkel Heinz war Bäcker und Konditor“ erzählt sie. Die ganze Familie hat in seinem Betrieb mitgearbeitet und so hat sie ihre Kindheit und Jugend in der Backstube verbracht. „Im Grunde habe ich also 13 Jahre Ausbildung zur Konditorin hinter mir.“
Martina lacht, und jeder, der sie sieht, muss unweigerlich mitlachen. Backen, das war schon immer ihr Ding. Teig kneten, so etwas wie Meditation. Trotzdem: Eine „echte” Ausbildung zur Konditorin zu machen, das kam für Martina nicht in Frage. „Vor allem weil man da so früh aufstehen muss.“ Am Ende hat die Leidenschaft fürs Backen aber gesiegt – und Martina Ketelhut muss jetzt eben doch mindestens dreimal die Woche früh raus: Ihre Kuchen und Torten-Kreationen bereitet sie nämlich nicht nur auf Bestellung zu – sie verkauft sie auch auf den Wochenmärkten an der Ostküste: Dienstags in Artà, mittwochs in Capdepera und samstags in Cala Rajada – und da klingelt der Wecker um 4.30 Uhr. Denn: „Hefekuchen muss frisch sein.“
Für einen Moment verschwindet das Lachen in Martinas Gesicht: „Es ist so schade, dass mein Onkel Heinz das nicht mehr miterlebt.“ Er hätte sich sicher gefreut zu sehen, wie sein Patenkind in seine Fußstapfen tritt. Seine Rezepte sind es, nach denen die gebürtige Dillenburgerin bis heute backt.
Was Heinz wohl davon halten würde, dass Martina jedoch fast überall das Trend-Gewürz Kurkuma mit einbackt? Kurkuma ist so etwas wie ihre geheime Zutat, sie verwendet es vor allem, weil es den natürlichen Geschmack verstärkt. Aber ansonsten hält sie sich an die alten Rezepte, und das bedeutet auch: Keine Zusatz- und Konservierungsstoffe. „Wenn Hefegebäck nach drei Tagen nicht trocken ist, dann ist da Konservierungsmittel drin. Mein Hefezopf ist nach drei Tagen trocken!“ Das sagt Martina nicht ohne Stolz.
Überhaupt findet sie, sollten sich die Menschen wieder mehr auf das Wesentliche besinnen. Nicht nur beim Backen, sondern im Leben ganz allgemein. Martina hat sich auf ihre Wurzeln besonnen und ist glücklich, endlich ihre Berufung gefunden zu haben, das merkt man. Zumal sie – anders als beim Schmuckdesign – für dieses Handwerk viel Anerkennung erfährt. Vielleicht weil jeder, der schon einmal gebacken hat, weiß, wie viel Arbeit das ist.
Hinzu kommt die Herausforderung, die Zutaten aus Onkel Heinz’ Rezepten hier auf der Insel zu finden. Vieles kauft Martina Ketelhut bei ihren Kollegen auf dem Markt: Zum Beispiel Mandeln und frisches Obst, und auch sonst weiß sie inzwischen, wo sie welche Zutaten bekommt. Nur mit dem Schmand ist es noch immer schwierig, den Sauerrahm muss sie in einem Supermarkt in Palma bestellen. Denn Schmand, das verwenden die wenigsten Mallorquiner – genau so wenig wie Mohn.
Gekauft und gegessen werden Martinas Kuchen am Ende aber gleichermaßen von Einheimischen, Residenten und Touristen. Egal ob Käse-, Karotten-, oder Mandelkuchen, Nuss- oder Mohnkranz: Die Kreationen schmecken allen! Wobei der für Mallorca typische Mandelkuchen vor allem von Touristen gekauft wird.
Manchmal wird Martina Ketelhut auch nach den Rezepten gefragt. Aber die verrät sie natürlich nicht. Nur einen Tipp von Onkel Heinz, den gibt sie gerne weiter: Guter Kuchen braucht Zeit und langes Rühren.
Ihr persönlicher Favorit? Zucchinikuchen! Den backt sie allerdings nach einem alten Rezept ihrer Oma. „Zucchinikuchen kann man auch mal machen, wenn sich die Schwiegereltern zum spontanen Besuch anmelden. Der geht dann doch recht schnell und kommt immer gut an“, sagt sie schmunzelnd.
Ob sie das Herz ihrer Schwiegermutter damals mit Zucchinikuchen erobert hat, das weiß sie heute nicht mehr. Aber ihr Mann Jürgen, der schwört auf ihren Käsekuchen. „Er freut sich immer, wenn auf dem Markt etwas übrig bleibt – das darf er dann essen.“ Martina grinst.
Meistens hat Jürgen jedoch schlechte Karten. Martinas Kuchen gehen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Denn am Ende des (Markt)tages sind wir uns doch (fast) alle einig: Ein Stückchen Kuchen ist immer gut für die Seele.
Aus MM 06/2020