Er verewigte die größten US-Maler des abstrakten Expressionismus und der Pop Art wie Jackson Pollock, Willem de Kooning, Andy Warhol, Roy Lichtenstein – und wurde dadurch selbst weltberühmt. Die Rede ist von Hans Namuth, geboren 1915 in Essen, gestorben 1990 in New York. Wenig bekannt ist hingegen, dass der Starfotograf, der als blutjunger Mann vor den Nazis nach Paris geflohen war, auch auf Mallorca die Kamera in die Hand genommen hatte. Hier in Port de Pollença sammelte der 20-Jährige im Sommer 1935 erste Erfahrungen mit dem Medium Fotografie, als Helfer des deutschen Fotografen Georg Reisner, der dort Touristen porträtierte. Jetzt erinnert der in Frankreich erschienene Comicband „Photographes de Guerre” an die Geschichte des Duos, das nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges (1936–1939) Foto-Geschichte schreiben sollte.
Doch der Reihe nach: Hans Namuth wuchs in einem liberalen Elternhaus in Nordrhein-Westfalen auf. Doch der von der Politik enttäuschte Vater wandte sich immer mehr den Nationalsozialisten zu, während sein Sohn vor der aufkommenden braunen Flut warnte. Nach der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 eskalierte das Verhältnis. Der junge Namuth wurde schließlich wegen des Verteilens von Anti-Hitler-Flugblättern inhaftiert. Sein Vater, der als SA-Mann Karriere gemacht hatte, konnte schließlich die Freilassung des Sohnes arrangieren. Er besorgte ihm einen Pass und eine Bahnkarte nach Paris, sodass für den 18-Jährigen das Leben eines Exilanten begann.
In Frankreich hielt sich Namuth in der Emigrantenszene mit schlechtbezahlten Jobs über Wasser. Dort schloss er Freundschaft mit dem vier Jahren älteren Reisner, der als Fotograf arbeitete. Der gebürtige Breslauer hatte die Idee, den Sommer auf Mallorca zu verbringen und in Pollença Urlauber zu porträtieren. Das Fischerdorf hatte sich damals zu einem wahren Hot-spot entwickelt, an dem vor allem britische und US-amerikanische Ruheständler nahezu das ganze Jahr über lebten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bevorzugten pensionierte Kolonialbeamte des Britischen Empire den Ort für einen durchaus wärmeren Lebensabend, als dies in London hätte der Fall sein können. Das 1929 eröffnete Hotel Formentor machte Port de Pollença dann international vollends bekannt. Das bunte Treiben der ausländischen Residenten im Küstenort zwischen Fischlokalen, Beachclubs und Cocktailbars animierte die Schriftstellerin Agatha Christie 1933 zu ihrer Liebeskomödie „Problem at Pollensa Bay”.
In diesem Ambiente der sonnenverwöhnten Kiefernwälder und Villen am Meeresstrand waren die beiden Deutschen mit der Kamera unterwegs. „Wir hatten ein Fotostudio in Puerto de Pollensa. Wir fotografierten Menschen und machten für die damalige Zeit sehr gute Porträtarbeiten”, würde Namuth sich Jahrzehnte später in einem Interview erinnern.
Die beiden Fotografen waren nicht die einzigen Deutschen in dem Ort. Etwa ein Jahr zuvor hatte sich auch der mit einer Britin verheiratete Adelige Kurt von Behr auf Mallorca niedergelassen. Wie aus dem Buch „Mallorca unterm Hakenkreuz” (Matrix Verlag, 2017) hervorgeht, hatte der Nazi-Agent, der für das NS-Auslandsamt arbeitete (und später zu einem der Hauptorganisatoren des großen Kunstraubs im besetzten Frankreich werden sollte), seine zwei Landsleute durchaus im Blick. Zumindest ist belegt, dass er das deutsche Konsulat in Palma über die Fotografen informierte. In den dortigen Akten findet sich ein eindeutiger Vermerk. „s. (iehe) Bew. (ertung) v. (on) Behr z (u) Visum”, lautet ein handschriftlicher Hinweis im Konsulatsregister direkt neben den Personalien Reisners. Kein Zweifel, Baron von Behr hatte den Fotografen und seinen Gehilfen nicht nur observiert, sondern auch denunziert.
Nichtsdestotrotz waren Reisner und Namuth mit ihrem geschäftlichen Erfolg in Pollença offenbar so zufrieden, dass sie sich im Sommer darauf erneut von Paris nach Mallorca verlagerten, wo sie Ende Juni 1936 eintrafen. Darüber hinaus planten die Fotografen – Namuth beherrschte das Handwerk mittlerweile selbst professionell – für diverse Zeitschriften von der Internationalen Arbeiterolympiade zu berichten, die am 19. Juli 1936 in Barcelona beginnen sollte. Just zu diesem Zeitpunkt brach der Bürgerkrieg aus und überraschte das Duo in den revolutionären Wirren der katalanischen Metropole. Die kommenden neun Monaten waren Reisner und Namuth, die auf Mallorca ihr spärliches Hab und Gut verloren hatten, an allen herausragenden Fronten auf der Iberischen Halbinsel als Kriegsberichterstatter unterwegs. Ihre Aufnahmen wurden in führenden europäischen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht.
Von 1937 bis 1939 wirkten Namuth und Reisner weiter in Paris. Der Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich und die bereits im Vorjahr erfolgte Internierung aller Exildeutschen durch die französischen Behörden brachte das Freundespaar aus- einander. Auf der Flucht vor den Nazis nahm sich Reisner im Dezember 1940 in Marseille das Leben. „Er konnte es nicht länger ertragen”, sagte Namuth 1971 über seinen „sehr, sehr guten Freund”. Dem Jüngeren selbst gelang die Flucht über Südfrankreich nach New York, wo Namuth in den Folgejahren ein kometenhafter Aufstieg beschert sein sollte, als Fotograf – und auch als Filmemacher, der Porträts der avantgardistischen Künstler seiner Zeit anfertigte.
Das abenteuerliche Leben des Kreativen endete ebenso filmreif. Bei der Rückfahrt nach der Premiere seines Dokumentarfilms über den Maler Jasper Johns kollidierte Namuths Auto mit einem anderen Fahrzeug, sodass er an den Unfallfolgen starb.
Der Comicband des Verlags Albin Michelle erinnert an die gemeinsame Zeit von Namuth und Reisner während des Bürgerkriegs in Spanien und setzt viele der damals entstandenen Momentaufnahmen von Gewalt, Zerstörung und flüchtender Zivilbevölkerung nach den Originalfotos zeichnerisch um. Die Arbeit macht deutlich, dass der Terror der Kriege bis heute zu keiner Zeit nachgelassen hat.