Sa Pobla ist einer dieser Orte auf Mallorca, die erst bei näherem Hinsehen ihre Magie beim Betrachter wirken lassen. Bewegt man sich durch die Straßen, so fallen alte Mütterchen im Schlafrock vor den meist im Erdgeschoss befindlichen Wohnungen in der schachbrett-artig angelegten Gemeinde auf. Viele Fensterläden sind herrlich altertümlich, einige Straßenschilder sind noch auf Spanisch statt, wie üblich auf Mallorca, in Katalanisch gehalten – erst recht rund um die Plaça Major, dem Ort zum Ausspannen, wo mehrere Bars und Restaurants anzutreffen sind.
Eines dieser Lokale ist die Bar Casa Miss. Dass dieses von außen eher unscheinbar aussehende Vestibül, wo dieser Tage vor allem abends fast sämtliche Tische belegt sind, die Wermut-Herzkammer der Welt ist, will man zunächst kaum glauben. Doch die Realität sieht anders aus: Beim unlängst in London veranstalteten Wettbewerb "World Vermouth Award" wurde die halbsüße Variante von "Miss Vermut" nach einer Blindverkostung durch Experten feierlich zum besten Trank seiner Art schlechthin gewählt.
"Wir hatten denen einfach eine Kiste geschickt und wurden belohnt", freut sich Jaume Mir, der Betreiber des urigen, mit einer alten Wurlitzer-Musikbox und einer noch älteren Kasse verzierten Vintage-Lokals. "Vor der Auszeichnung hatten wir in acht Monaten 1000 Flaschen in der Túnel-Destillerie in Marratxí produzieren lassen, jetzt dürften es mehr werden." Momentan habe man zwar keine Lagerbestände mehr, doch die Kette Agromart, die erpicht darauf sei, den Wermut zu verkaufen, werde bald beliefert.
Mallorca-Wein, Lorbeer, Zimt, Gewürznelken und Jamaika-Pfeffer
Es ist der leicht bittere Geschmack, der typisch für diesen mit Gewürzen und Kräutern aromatisierten Wein ist. Man blinzelt nach dem ersten Schluck etwas irritiert mit den Augen ob des speziellen Geschmacks, lechzt aber sofort nach mehr. "Unser Wermut besteht aus weißem Mallorca-Wein, Lorbeer, Zimt und Ingredienzien wie Gewürznelken und Jamaika-Pfeffer, die sonst für das Gericht 'Arros Brut' verwendet werden”, sagt Jaume Mir, dem sein Vater Francisco am Tresen zur Seite steht.
Die wie ein Wohnzimmer daherkommende Bar Casa Miss hat eine lange Familientradition, was man zuerst am Namen erkennt: Die Miss, die hier in Ehren gehalten wird, ist Magdalena, die Tante von Jaume Mir. "1966 wurde sie zur Miss Mallorca gewählt, ganz Sa Pobla war aus dem Häuschen", erzählt der Wirt, während der MM-Emissär sich an den grünen Stühlen und an den Spiegeln ergötzt. "Es war dann logisch, dass das Lokal ein Jahr später den Namen der Beautyqueen erhielt."
Seit jener fernen Zeit gilt die Bar Casa Miss auf der Insel als emblematisch, und dies zudem wegen der "Variats" – authentische Mallorca-Tapas – die auch vielen deutschen Gästen munden. "Wir haben hier sehr treue und angenehme Menschen aus der Bundesrepublik", weiß Jaume Mir. "Sie kommen immer wieder zurück und bringen uns auch Geschenke." Und nun ist da dieser eigene Wermut, den man jetzt sogar in Metropolen wie London zu sich nimmt! Diese kunstvoll fabrizierte Mixtur, die in ihren Grundzügen bereits im antiken Rom bekannt gewesen sein soll ... Dass der Casa Bar Miss weitere Jahrzehnte bevorstehen, ist durchaus zu erwarten.