Kaum ein Tag verging zuletzt, ohne dass irgendwo an Mallorcas Küste ein Flüchtlingsboot aus Nordafrika gelandet wäre. Folgerichtig steuert die Insel auf einen neuen Rekord zu, was die Zahl der irregulären Immigranten auf dem Seeweg angeht. Daten des spanischen Innenministeriums zufolge stieg ihre Zahl auf den Balearen bis Ende August im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum um fast 80 Prozent.
Am deutlichsten sind die Folgen am Fährterminal in Palma zu sehen. Dort campieren seit Monaten immer wieder junge Nordafrikaner, die eines der Schiffe in Richtung Festland nehmen wollen. Das Rote Kreuz und engagierte Bürger lassen ihnen zwar Unterstützung zukommen, auf Dauer aber ist die Lage unhaltbar, hat jetzt die Zentralregierung erkannt und lässt daher am Hafen ein provisorisches Auffangzentrum errichten.
Der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zufolge hat sich die Balearen-Route längst etabliert. Im aktuellen Jahresbericht heißt es, die westliche Mittelmeerroute sei "für erhebliche irreguläre Migrationsströme in die EU verantwortlich". Dass sich die Herkunft der Flüchtlingsboote in den vergangenen Jahren zunehmend von Marokko nach Algerien verschoben habe, erkläre den Anstieg der Zahl irregulärer Immigranten auf den Balearen. Von dem nordafrikanischen Land aus sind es lediglich 270 Kilometer bis an die Küsten des Archipels.
"Balearen zum Eingangstor der illegalen Migration entwickelt"
Noch drastischer formulierte es kürzlich die spanische Polizeigewerkschaft Jucil. "Die Balearen haben sich zum Eingangstor der illegalen Immigration nach Spanien und Europa entwickelt", heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung. An strategisch bedeutsamen Punkten der Balearen fehle es an Kontrollen. "Der Mangel an Personal gefährdet nicht nur die Sicherheit, sondern begünstigt auch die Schleusermafia, die völlig ungestraft agieren kann und die Schwäche des Systems ausnutzt, um nahezu ungehindert Menschenhandel zu betreiben."
Auch Manuel Pavón, Generaldirektor für Immigration der Balearen-Regierung, verweist auf den Mangel an Einsatzkräften. Auf der Insel fehlten Polizisten für eine effiziente Kontrolle. Das eigentlich vorgeschriebene Prozedere könne daher oft nicht eingehalten werden. Schon die zweifelsfreie Identifizierung der Ankommenden scheitere in vielen Fällen. Da es sich bei der irregulären Einreise in Spanien nicht um eine Straftat handelt, sondern lediglich um eine Ordnungswidrigkeit, werden die Immigranten schließlich meist schon nach kurzer Zeit auf freien Fuß gesetzt. Es würden zwar formal Ausreiseanordnungen erlassen, durchgesetzt aber werden diese nicht.
Viele der Immigranten reisen dann per Fähre in Richtung Festland weiter, wo sich ihre Spur verliert. "Niemand weiß, wie viele von ihnen weiterreisen oder hierbleiben", sagt Pavón. "Die Zentralregierung will einfach nicht anerkennen, dass die Balearen-Route längst zu einer Passagierbrücke nach Europa geworden ist." Wenn wir nicht selbst in der Lage sind, die Grenzen zu schützen, müssen wir eben Europa um Hilfe bitten. Pavón fordert, die EU-Grenzschutzorganisation Frontex müsse auf den Balearen aktiv werden. "Es geht gar nicht darum, die Immigration zu verteufeln", sagt er. "Aber sie muss geordnet vor sich gehen. Wir erleben ja auch ein humanitäres Drama. Tagtäglich sterben Menschen auf See."
Eine restriktivere Einwanderungspolitik der Abschottung und konsequenten Grenzsicherung aber ist von der Linksregierung in Madrid nicht zu erwarten. Die zuständige Staatssekretärin im Innenministerium, die Sozialistin und Palmas ehemalige Bürgermeisterin Aina Calvo, ist erklärte Verfechterin einer migrationsfreundlichen Politik. Auch Calviàs ehemaliger Bürgermeister, der Sozialist Alfonso Rodríguez, der nun die Zentralregierung auf den Balearen vertritt, ist darum bemüht, dem Thema die Brisanz zu nehmen. Die genau entgegengesetzte Position nimmt die rechtspopulistische Partei Vox ein, die zuletzt in verschiedenen Regionalparlamenten sowie im Kongress in Madrid an Einfluss gewonnen hat und einen offen migrationsfeindlichen Diskurs pflegt.
Und so tobt denn derzeit auch ein heftiger Streit zwischen der balearischen Regionalregierung – die konservative PP hat keine eigene Mehrheit und ist daher immer wieder auf die Stimmen der Rechtspopulisten angewiesen – und der Zentralregierung. Die balearische Ministerpräsidentin Marga Prohens weigert sich strikt, das neue Verteilsystem unbegleiteter, minderjähriger Migranten zu akzeptieren und noch weitere von ihnen aufzunehmen. Die Kapazitäten der Sozialdienste seien bereits überschritten.