Mallorca, die Insel zunehmender sozialer Gegensätze: Die Obdachlosigkeit in dem beliebten Urlaubs- und Auswandererziel hat ein historisches Rekordniveau erreicht. Allein in diesem Jahr habe die mobile Notfalleinheit des Roten Kreuzes in Palma bereits 1.940 Menschen betreut, teilte die Hilfsorganisation mit. Für das Gesamtjahr 2025 rechne man mit mindestens 200 Fällen mehr als im Vorjahr.
„Es ist verrückt, die Menschen halten uns nachts an, wenn wir mit der mobilen Einheit unterwegs sind. Wir erhalten zwischen 40 und 50 Anrufe täglich, aber es ist unmöglich, alle zu erreichen", erklärt Hugo Cózar, Sozialarbeiter beim Roten Kreuz. Sein zwölfköpfiges Team müsse Prioritäten setzen und sich auf "die besonders gefährdeten Personen" konzentrieren. Die Nachfrage übersteige schlicht die Kapazitäten.
Als "alarmierend" bezeichnete Cózar den sich verändernden sozialen Hintergrund der Hilfesuchenden. Während früher vor allem alleinstehende Menschen mit Sucht- oder psychischen Problemen auf der Straße lebten, seien es heute "zunehmend Personen mit geregeltem Einkommen". „Die Mehrheit arbeitet oder bezieht Sozialleistungen, aber das Geld garantiert keine Wohnung", so Cózar. In Palma koste ein Zimmer zwischen 400 und 900 Euro – für viele unbezahlbar.
Die Unterkünfte der Stadt und des regionalen Sozialamtes IMAS seien überfüllt, mit langen Wartelisten und ohne Aussicht auf einen Schlafplatz. Die Situation verschärfe sich zusätzlich dadurch, dass Obdachlosigkeit für die meisten Menschen nicht mehr vorübergehend, sondern dauerhaft sei.
Das IMAS habe zwar im Januar 2024 18 neue Plätze geschaffen und ein Heim mit 26 Plätzen in Binissalem eröffnet. Eine geplante Ausschreibung für eine weitere Notunterkunft mit 50 Plätzen sei jedoch gescheitert. Immerhin: Verhandlungen über den Kauf der Einrichtung Es Refugi mit 25 zusätzlichen Plätzen stünden "kurz vor dem Abschluss", heißt es seitens der Sozialbehörde.
Die mobile Einheit des Roten Kreuzes verteilt nächtlich Decken, Schlafsäcke und Lebensmittel und begleitet obdachlos gewordene Menschen langfristig. Das Spektrum reiche von Senioren über Berufstätige bis hin zu Migranten und Menschen mit gesundheitlichen Problemen, so Cózar.
Der Sozialarbeiter sieht auch die Gesellschaft in der Pflicht. „Es ist wichtig, Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und das Gemeinschaftsgefühl wiederzubeleben." Handlungsspielraum sieht er aber zuvorderst bei der Politik. Ohne mutige Schritte werde sich das Wohnungsproblem weiter verschärfen. "Der Markt werde sich nicht von selbst regulieren."