Wer länger als 25 Jahre im Ausland, also etwa auf Mallorca, gelebt hat, darf in Deutschland nicht mehr ohne Weiteres an Wahlen teilnehmen. Betroffene in Spanien halten das neue Bundeswahlgesetz für einen Skandal und mobilisieren die Medien. "Mir ist das Wahlrecht geraubt worden", sagt die Krimi-Schriftstellerin Angelika Stucke, die seit Ende der 80er-Jahre in Miraflores bei Madrid lebt und seitdem aus der Heimat abgemeldet ist.
Erbost ist die 53-Jährige darüber, dass man sich nach Ablauf von 25 Jahren nicht mehr automatisch ins Wählerregister eintragen lassen kann. Zusätzlich erforderlich ist für die Bundestagswahl am 22. September erstmals ein Begründungsschreiben, in dem man auszuführen hat, dass man persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen der Bundesrepublik vertraut und von ihnen betroffen ist. "Was soll das denn bitteschön? Das klingt ja wie eine Art Wahleignungstest. Muss man jetzt Prüfungen bestehen, um sein Wahlrecht in Anspruch zu nehmen? Wer entscheidet darüber? Und nach welchen Kriterien?", schreibt Angelika Stucke in einem Brief vom 29. Juni an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck.
Eine Antwort hat die Spaniendeutsche bis heute nicht erhalten. Die von Stucke kritisierte Wahlrechtsreform vom April 2013 ist mittlerweile auch international ein Thema. Nachdem das ARD-Nachtmagazin und Spiegel Online die Angelegenheit aufgegriffen haben, zweifeln nun auch europäische Medien wie "El País" an der demokratischen Gesinnung von Europas größter Wirtschaftsmacht und recherchieren zum Thema.
Enttäuscht ist auch der pensionierte ARD-Korrespondent Wolf Hanke, der seit 40 Jahren im Ausland lebt und sich in Madrid zur Ruhe gesetzt hat. Der 85-Jährige hat bisher noch an jeder Bundestagswahl teilgenommen, bleibt dieses Mal aber von der Wahrnehmung seines Bürgerrechts ausgeschlossen. Das in der Ausführungsverordnung zum neuen Wahlgesetz vorgesehene Verfahren hält Hanke für übermäßig bürokratisch und völlig unpraktikabel. "Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet, wenn in jedem Wahlkreis ein anderer Beamter über solche Fälle zu entscheiden hat", beklagt sich Hanke im MM-Gespräch. Da die Frist zur Eintragung im Wählerregister bereits am 1. September endet, habe er wegen der Bearbeitungszeit keine Chance mehr zur Teilnahme.
Wie viele der etwa 1,4 Millionen Auslandsdeutschen von der Wahlrechtsreform betroffen sind, ist unklar, da oft noch eine Meldeadresse in der Heimat vorhanden ist. Dass unter langjährigen Mallorca-Residenten die Wahlbeteiligung sinken dürfte, wird aber an den Beispielen aus Madrid klar.
In Deutschland schien das Problem bis vor Kurzem jedenfalls niemanden zu interessieren. Die im Bundestag zum neuen Wahlrecht angehörten Jura-Professoren erwähnten den Sonderaspekt Ausland größtenteils mit keinem Wort. Allein die hessische Schatten-Justizministerin Ute Sacksofsky (SPD) hielt die Aufteilung der Auswanderer in verschiedene Kategorien für misslungen und kritisierte eine Einzelfallprüfung als "unakzeptabel". Das Gesetz wurde trotzdem fraktionsübergreifend verabschiedet. (mic)