"Für mich gibt es eigentlich keinen Moment, in dem ich entspannter bin als da unten", sagt Stephan Conradi. Wenn der deutsche Tauchlehrer aus Cala Sant Vicenç in Pollença abtaucht, dann tut er das mit allen Sinnen und will das auch seinen Schülern vermitteln. Seit einem Jahr unterrichtet er das Freitauchen, auch als Freediving oder Apnoe-Tauchen (von griechisch Apnoe - Nicht-Atmung oder Atemzug) bekannt.
Die Kunst dieser Sportart besteht darin, den Atemreflex unter Wasser zu unterdrücken, denn für den Tauchgang hat der Apnoetaucher nur einen Atemzug.
Das klingt für den Laien zunächst gefährlich, hat aber viel mit Kontrolle zu tun. "Zunächst geht es darum, dass man an der Oberfläche achtsam mit sich selber umgeht, sich bewusst mit seinem Körper auseinandersetzt. Dafür machen wir Atemübungen und eine gewisse Form der Meditation", erklärt der Sportwissenschaftler.
Bewusstes Wahrnehmen der Atmung und der Umgebung, in diesem Fall des Mediums Wasser: Diese Kombination hat auch die Frankfurter Diplompsychologin und ausgebildete Sportpsychologin Birgit Zmrhal fasziniert. Sie ist im Internet auf Conradis Tauchschule gestoßen und war nach einem persönlichen Kennenlernen überzeugt, dass man beruflich zusammenpasst. Ab Oktober wird sie gemeinsam mit ihm Coaching-Seminare auf Mallorca anbieten.
Zmrhal hat in ihrer langjährigen Tätigkeit unter anderem die deutschen Rugby-Nationalmannschaften und die deutschen Boxer bei den Olympischen Spielen in Rio betreut. Ansonsten gehören Spitzenkräfte der Wirtschaft zu ihrer Klientel. Gut möglich, dass die künftig auch mal einen Abstecher nach Mallorca unternehmen. "Wir verbinden die Expertise im Freediving und das Coaching für die Persönlichkeitsentwicklung", sagt Zmrhal.
Das Bindeglied zwischen Tauchen und Coaching sei die Selbsterfahrung und die Achtsamkeit mit sich selbst. Es gehe darum, sich im positiven Sinne an Grenzen heranzutasten und sie zu überschreiten, und das sei im Freediving sehr gut möglich.
Auf Mallorca sind die beiden am richtigen Ort, denn auf der Insel hat das Freitauchen eine große Tradition. Praktisch kommt es beim Unterwasserfischen zum Einsatz, der "Pesca submarina". Der Mallorquiner Joan Amengual ist der Sohn eines Fischers und im Alter von neun Jahren an der Playa von Puerto Portals über seinen älteren Bruder zum Unterwasserfischen gekommen. "Damals habe ich drei Fischchen gefangen", erinnert er sich. Heute gilt der mittlerweile 45-Jährige als einer der profiliertesten Freitaucher Mallorcas, hat diverse balearische Meisterschaften gewonnen und wurde einmal sogar spanischer Vizemeister.
Amengual ist auch Lehrer für Tauchen mit der Pressluftflasche. "Das ist für mich Freizeitspaß. Apnoe-Tauchen ist ein Sport", sagt er. An seinem Sport fasziniert ihn der Verzicht auf alle Hilfsmittel. "Wichtig ist die Entspannung und die richtige Vorbereitung." Der mentale Teil sei dabei von besonderer Bedeutung.
Unter Wasser gehe es dann um die richtige Technik, um sich fortzubewegen, ob in die Tiefe oder in der Horizontalen. Denn Streckentauchen gehört auch als Teildisziplin zum Apnoe-Tauchen.
Unter Wasser werde man Teil der Natur, schwärmt Amengual. "In der Summe verbringen Apnoe-Taucher viel mehr Zeit unter Wasser als Taucher mit der Pressluftflasche." Deren Aufenthalt sei durch die Menge Pressluft in der Flasche limitiert. Er selbst ist bis 62 Meter in die Tiefe getaucht, ist dabei 5:20 Minuten ohne Luftholen ausgekommen. Schon manche seiner Schüler würden mehr als vier Minuten ohne Luft schaffen.
"Es gibt einen Tauchreflex", erklärt er. Dabei handelt es sich um eine Schutzreaktion aller lungenatmenden Lebewesen, wenn sie ins Wasser eintauchen, ihre Atmung einstellen und ihren Herzschlag verlangsamen. Amengual fühlt sich als Mittvierziger dank seines Sports topfit, und er weiß, dass viele Apnoe-Taucher bis weit über 60 ihrer Leidenschaft nachgehen. Auf Mallorca schätzt er die Zahl der Freitaucher auf rund 50.
Wer Freitauchen lernen will, muss übrigens keine Erfahrungen mit dem Tauchen oder gar einen Tauchschein haben. "Ich habe sehr viele Anfänger, die mit dem Medium Wasser überhaupt nichts zu tun haben. Die haben ein bisschen Angst, und ich finde das nicht problematisch. Man taucht ja in ein Medium, in dem man eigentlich nicht lebensfähig ist", sagt Stephan Conradi. "Die ersten Übungen machen wir an der Oberfläche im knietiefen Wasser und tasten uns dann langsam an die tieferen Bereiche heran", erklärt er.
Und wer Angst vor zu viel Tiefe hat, den beruhigt er. "Ich bin kein Freund der Extreme. Ich habe nicht den Anspruch, dass die Leute eine bestimmte Tiefe oder Zeit schaffen. Sie sollen vielmehr merken, dass Wasser ein freundliches Medium ist, wir kommen ja schließlich auch da her."
Gleichwohl hätten gerade Anfänger schnell Erfolgserlebnisse, versichert Conradi. Schon am ersten Tag könne man locker auf anderthalb oder zwei Minuten unter Wasser kommen. "Es gibt Techniken, wenn dir der Kopf sagt 'atme', diesen Atemreflex bewusst wahrzunehmen und nicht sofort zu atmen. Viele schaffen es nach diesem Reflex und mit ein wenig Übung noch 30 bis 45 Sekunden unter Wasser zu bleiben. Voraussetzung bei allen Übungen im Wasser ist natürlich eine Absicherung durch den Tauchlehrer."
Trotzdem muss man wissen, wann es wirklich zu viel ist. In extremer Form kann Freediving gefährlich werden. "Sämtliche Unfälle passieren in der extremen Form der Apnoe", sagt Joan Amengual. Der aktuelle Weltrekord beim Freitauchen ohne Flossen oder Gewicht des Neuseeländers William Trubridge liegt bei 122 Metern Tiefe.
Der Österreicher Herbert Nitsch schaffte es mit einem Tauchschlitten sogar auf 253 Meter, schlief jedoch in der Tiefe ein und verpasste beim Auftauchen mit dem Schlitten den lebenswichtigen Dekompressionsstopp. Dabei geht es um die kontrollierte Verminderung des Drucks sowie die Abgabe von im Gewebe gelöster Gase. Nitsch dagegen kam viel zu schnell bis zu zehn Meter unter die Wasseroberfläche und erlitt mehrere Hirnschläge, nachdem ihn Taucher an die Oberfläche geholt hatten. Er überlebte dieses Drama nur knapp.
Von diesen Extremen ist Conradi weit entfernt. "Meine persönliche Grenze liegt im Moment bei 33 Metern. Alles was tiefer geht, überlasse ich gerne den anderen", sagt er.
Das sei auch gar nicht nötig, ergänzt Trainerin Birgit Zmrhal: "Es braucht keine Extremerfahrung, um in den Genuss einer deutlich spürbaren und nachhaltig stärkenden Weiterentwicklung zu kommen."
Conradi gefällt besonders, dass es beim Freediving nur auf einen selbst und den Körper ankommt und man keine Abhängigkeit von Pressluft hat. "Das Freediving ist wie eine Reise zu sich selber. Man merkt, ich gehöre da nicht hin. Ich kann mich dort unten entspannt aufhalten. Es geht ja nicht darum, die Luft anzuhalten und zu denken, wann kann ich wieder hoch. Sondern die Idee ist es, dass man Entspannung erfährt. Für mich ist Freediving Entspannung pur. "
(aus MM 22/2017)