Mallorca ist für viele ein Sehnsuchtsort, ein Paradies auf Erden und das mitten in Europa, meist nur zwei bis drei Flugstunden entfernt. Doch die Insel ächzt unter der Last ihrer Beliebtheit. Aus den in der Hauptsaison nahezu minütlich ankommenden Flugzeugen ergießt sich täglich ein Touristenstrom im Ausmaß einer deutschen Großstadt. Das Verhältnis Besucher zu Insulaner schwillt auf bis zu 20:1 an. Die Einheimischen verkommen zu einer kleinen Minderheit, von der die Rollkoffergeschwader kaum Notiz, geschweige denn auf sie Rücksicht nehmen.
Mittlerweile scheint bei den Einheimischen die Angst vor dem eigenen Aussterben deutlich der zu überwiegen, ein schlechter Gastgeber zu sein oder gar als fremdenfeindlich zu gelten. So entwickelt sich zunehmend sichtbarer Widerstand. Demonstrationen und Massenproteste machen Schlagzeilen. Man ist immer weniger bereit, sich auf eine unbedeutende Statistenrolle im großen Freizeit- und Themenpark Mallorca reduzieren zu lassen.
Der deutsche Dichter und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger soll einmal gesagt haben: „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.” Ich fürchte, letztlich ist das der Gradmesser für realistische Veränderungen. Denn leider gilt auch hier: „Money makes the world go around.” Insgesamt gaben Touristen im Jahr 2023 rund 20 Milliarden Euro auf den Balearen aus, wobei Mallorca den Großteil davon abbekommen hat. Entsprechend milliardenschwer sind die Gewinne der Tourismusindustrie und nicht zuletzt die Steuereinnahmen daraus. Die Rechnung „Weniger Gäste, aber bitte nicht weniger Geld”, wird kaum aufgehen. So beklagenswert es ist, die weitere Zerstörung der Lebensgrundlage und angestammten Heimat der Mallorquiner allein wird wahrscheinlich kaum etwas verändern und würde irgendwann als Kollateralschaden hingenommen. Erst wenn wirklich der Zenit überschritten ist und Enzensbergers Szenario droht, sich zu manifestieren, wird man einen Gang zurückschalten, um den Quellursprung der Milliarden nicht versiegen zu lassen. Solange ist eher zu vermuten, dass man sich hinter verschlossenen Türen sagt: „Die Insel am Limit! Na und?”
Es ist ein bisschen wie mit dem Schicksal der Ureinwohner Amerikas, deren Lebensweise und Kultur durch die Ankunft der europäischen Siedler unwiderruflich zerstört wurden. Die Gier nach Land und Ressourcen verdrängte die indigenen Völker und rottete sie schließlich nahezu vollständig aus. Erst brachte der Fortschritt auch den Ureinwohnern wirtschaftlichen Nutzen, den sie aber mit dem Verlust ihrer Identität und Heimat und letztlich mit ihrer Existenz bezahlten.
Die Gefahr ist also wahrscheinlich um einiges größer, als es viele Betroffene wahrhaben wollen, dass es trotz allen Aufstands so bleibt, wie es ist und es über wohlfeile Lippenbekenntnisse und verständnisvolle Absichtserklärungen der Verantwortlichen, etwas verändern zu wollen, nicht hinausgeht. Es bräuchte schon sehr großen Mut und Entschlossenheit bei den politischen Entscheidungsträgern, um sich der Macht der Tourismusindustrie entgegenzustellen und mehr als nur Scheingefechte zu führen. Gleichzeitig müssten die Touristen selbst umdenken und sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Nur so kann die Lebensgrundlage der Mallorquiner und das, was vom ursprünglichen Charakter der Insel noch übrig ist, für künftige Generationen bewahrt werden.
Mit einem wird man sich schließlich abfinden müssen: Die Touristen, die man seit Ende der 60er Jahre rief, wird man nun nicht mehr los. Und was wäre, wenn doch, hat die Corona-Krise gezeigt: Eine Insel am finanziellen Abgrund. Eine Quadratur des Kreises unter Palmen.