Folgen Sie uns F Y T I R

"Die Hängematte auf hoher See" – Das ungewöhnliche Leben eines Mallorca-Skippers

Lars Liewald lebt und arbeitet auf dem Wasser. Zwischen Wind, Wellen und WhatsApp-Nachrichten navigiert er Urlauber durch die schönsten Buchten – und durch ihre kleinen Dramen

Kein seltener Anblick: Charterurlauber, die statt aufs Meer lieber auf ihre Smartphones schauen | Foto: Art AI

| Cala d'Or, Mallorca |

Lars Liewald weiß, wie man eine Segelyacht durch den Sturm bringt – und eine deutsche Familie durch eine Woche Urlaub. Seit über 16 Jahren schippert der Kölner, einst daheim in Dellbrück, heute fest vertäut auf Mallorca, Touristen durch das azurblaue Postkartenmeer der Balearen. Offiziell ist er Skipper, inoffiziell Animateur, Paartherapeut, Kindergärtner, Barkeeper, Fahrlehrer und Seelsorger in Personalunion. "Wer lange genug als Charter-Skipper arbeitet, könnte nebenbei ein Diplom in Psychologie machen", sagt er. Wahrscheinlich hätte er sich damit auch sein Gehalt verdoppeln können – aber ehrlich, auf welcher Couch in Köln-Dellbrück gibt es schon 30 Grad warmes Wasser, Delfine am Bug und Sonnenuntergänge in Technicolor?

Segelyachtausflüge beginnen zu Ostern

Die Saison beginnt zu Ostern, so wie die deutsche Grillsaison im Schrebergarten. Doch während im Ruhrpott noch die Kohlen durchweichen, liegen in Cala d’Or schon die ersten Familien an Deck und schwitzen zwischen Rettungsring und Kühlschrank. Mallorca, sagt Liewald, sei eigentlich ein Ganzjahresrevier – mild im Winter, windig genug für Manöver, sonnig fast immer. Aber die Deutschen wollen Schnee im Dezember und Schweiß im August. Also bleibt ihm nur ein halbes Jahr, um alle Geschichten zu sammeln, die später nach Salz, Diesel und Sonnencreme riechen. Geschichten von Familienvätern, die sich mit GPS und Bierkasten anfreunden müssen, Müttern, die noch nie an Bord einer Segelyacht waren, und Kindern, die nach zwei Stunden segeln mit dem unverhandelbaren Wunsch nach einer Badebucht kommen. "Da ich selbst zwei Kinder habe, weiß ich, wie man sie bei Laune hält", sagt Liewald.

Die Route wird vorher mit den Gästen besprochen

Die Touren verlaufen oft nach Drehbuch: Samstag Anreise, Freitag Rückkehr, eine Woche "Mallorca umrunden", damit man später im Büro erzählen kann, man sei wie Odysseus unterwegs gewesen – nur eben mit Kartenplotter und Roll-Großsegel. "Natürlich entscheide ich immer je nach Wetterlage und Wind-richtung, wo es am Ende langgeht, die Route bespreche ich mit den Gästen bevor es überhaupt losgeht." Wer zwei Wochen bucht, darf auch Menorca streifen, und schon klingt die PowerPoint-Präsentation im Meetingraum daheim exotischer. Für die Skipperohren sind diese Wünsche Routine. Der wahre Unterschied liegt auf und unter Deck: Familien sind eine schwimmende Mischung aus Urlaubsidyll und "Big Brother"-Container. Nach zwei Tagen ist der Skipper unsichtbar, und ab da wird gestritten, geliebt, gelacht, getrunken, beleidigt und versöhnt, als gäbe es keine Wände, nur Wellen. Liewald kennt jede Lautstärke, vom Kleinkind-Geschrei bis zum Ehepaar-Knall. "Manchmal geh ich dann lieber kurz an Deck", sagt er.

Es gibt sogar Bier an Bord

Das Bier, es ist eine eigene Disziplin. Noch bevor das Schiff aus der Marina schiebt, rollen ganze Wagenladungen Dosen an Bord, als gelte es, die Versorgung einer Kleinstadt im Katastrophenfall sicherzustellen. Die Realität: Zwei Tage Seegang, und der Kühlschrank bleibt halbvoll, die Gäste liegen seekrank wie gestrandete Seehunde an Deck, das Bier schaukelt im Takt der Wellen. Es gibt aber auch jene Crews, die den Alkohol so konsequent herunterspülen, dass man sich fragt, ob sie heimlich für ein Werbevideo der Brauerei trainieren. Liewald passt auf, dass niemand über die Reling stolpert. "Sicherheit hat stets Vorrang."

Sein Beruf ist das Paradox des 21. Jahrhunderts: Gäste buchen ein Segelerlebnis, verbringen die Fahrt aber damit, ihre Smartphones aufzuladen. "Die erste Frage ist immer: Wo kann ich mein Handy anschließen?", sagt Liewald. Dann sitzen sie in der schönsten Bucht der Insel, während über dem Bug die Sonne untergeht, und tippen Nachrichten nach Hause, als würde die Welt untergehen, wenn man mal einen Abend offline verbringt. Liewald hatte sogar schon den Plan eines "Digital-Detox-Törns" – eine Woche ohne Empfang, ohne WLAN, nur Wind und Wellen. "Aber das war eine Manager-Truppe", sagt er, "die haben’s keine Stunde ausgehalten".

Der Kapitän lernt viele Menschen kennen

Trotz aller Eigenheiten seiner Passagiere ist der Skipper kein Zyniker, eher ein stiller Beobachter mit Humor. Natürlich, manchmal beißt er die Zähne zusammen, wenn ein selbsternannter Freizeitkapitän glaubt, das Ruder besser führen zu können. Natürlich nervt es, wenn Gäste mitten im Sturm plötzlich die Sonnencreme suchen. Aber Liewald bleibt entspannt, erklärt geduldig, gibt Tipps, erzählt Anekdoten. "Die Leute wollen Auszeit", sagt er, "und wenn’s geht, auch ein bisschen Abenteuer." Er ist das unsichtbare Rückgrat des Urlaubs: Er sorgt dafür, dass die Yacht nicht in den Felsen kracht, die Kinder baden können und der Kühlschrank – trotz Bierbergen – irgendwie geordnet bleibt.

Sein Leben ist ein schaukelndes Mosaik aus Erinnerungen. Elba, die Anfänge. Mallorca, das große Revier. Hunderte Crews, Tausende Anekdoten, viel Gelächter und ein paar graue Haare. Er ist ein Mann, der weiß, wie man eine Yacht einparkt, eine verirrte Familie beruhigt und gleichzeitig den Blick für das Schöne behält: die spiegelglatte See am frühen Morgen, den Wind, der plötzlich auffrischt, die Stille, wenn alle mal schlafen. Liewald nennt das "die Hängematte auf hoher See". Vielleicht sind seine Memoiren weniger das Drama eines Seefahrers als das Lächeln eines Mannes, der gelernt hat, dass Urlauber auf dem Meer nicht nur segeln, sondern vor allem sich selbst treiben lassen.

Zum Thema
Meistgelesen