Das wegen Covid von Mallorca nach Hamburg verlegte Wirtschaftsforum der Steuerkanzlei European Accounting aus Palma versammelte Topkräfte aus Politik und Wirtschaft zum Austausch über „Neues Denken“. Bei den Tagungsthemen spielte auch immer wieder die Insel eine Rolle. MM hat in seinen Bericht jetzt auch Videos von den Gastrednern integriert:
Selten hat ein Austausch dieses Niveau: Vier amtierende und ehemalige Minister, ein Bundestags-Vizepräsident, ein Ex-Kommissar der EU sowie Spitzenmanager von Unternehmen wie Bayer, Tui, Sixt, Otto Group und Engel & Völkers traten beim Wirtschaftsforum vom 1. bis 3. Oktober auf – organisiert von der Steuerkanzlei European Accounting (Palma de Mallorca), ausgerichtet gemeinsam mit den Kanzleien Flick Gocke Schaumburg (Deutschland) und LeitnerLeitner (Österreich), moderiert von der Starjournalistin Sabine Christiansen und begleitet vom Mallorca Magazin als Medienpartner in Spanien.
Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger im Gespräch
mit Talklady Sabine Christiansen, die das Wirtschaftsforum
moderierte. Foto: European Accounting
Der Erfolg des Events war ein kleines Wunder, dessen Motto „Neu Denken“ schon bei der Organisation nötig: Ursprünglich im Hotel Castell Son Claret in Capdellà auf Mallorca geplant, musste das Forum wegen der Reisewarnungen kurzfristig ins Hamburger Hotel The Fontenay verlegt und hybrid durchgeführt werden. Ein beträchtlicher technischer Aufwand ermöglichte die Teilnahme auch online.
Gastgeber auf der Leinwand: Unternehmer Klaus-Michael
Kühne gehören die Hotels The Fontenay in Hamburg und
Castell Son Claret auf Mallorca. Foto: European Accounting
Die Annullierung ähnlicher Veranstaltungen trug wohl dazu bei, dass viele persönlich erschienen, allen voran Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger, Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel. Die vertraulichen Gespräche abseits des Programms verliehen dem Event erheblichen Mehrwert. Mehr als 70 Gäste nutzten diesen Bonus, über 600 Teilnehmer verfolgten das Wirtschaftsforum online.
Als der Steuerexperte Prof. Jens Schönfeld am letzten Tag seine Schlussfolgerung verkündete – „Keine Angst vor Amerikanern, Chinesen und Viren!“ –, hatten die Teilnehmer ein dreitägiges Wechselbad aus quasi apokalyptischen Visionen und ermutigenden Aufrufen hinter sich. Die Kernthemen: Europas drohender Niedergang sowie die Pandemie und deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen.
„Ich will Sie aufrütteln!“, verkündete Günther Oettinger zum Auftakt. Europa sei drauf und dran, zwischen China und den USA zerrieben zu werden und als „Open-Air-Museum der Welt“ zu enden. Deutschland müsse seine „Warmduscher-Mentalität“ überwinden, die EU gesamthaft wirtschaftlich Muskeln aufbauen und die Versäumnisse in vielen Kernbereichen aufholen. Nur dann würde der Kontinent in der Weltpolitik ernst genommen. Beginnend mit dem Mittelmeer – „für Europa dasselbe wie der Bodensee für Deutschland“.
Düstere Ausblicke, doch viele Aussagen fanden Zustimmung. So bemängelte Werner Baumann: „Wir sitzen in der Wohlstandsschaukel und wollen von dort aus die Welt verbessern.“ Was der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG über die Pandemie sagte, harmonierte mit den Worten des Virologen Prof. Hendrik Streeck. Dieser Verfechter eines gelasseneren Umgangs mit der Pandemie eilte von einer Tour durch mehrere Fernsehstudios (unter anderem ZDF-Talk Lanz) zum Fontenay. Dort warnte er: Eine Pandemie sei Marathon, nicht Sprint. Darum müssten restriktive Maßnahmen sparsam eingesetzt werden. Die Bevölkerung müsse sich darauf einstellen, langfristig mit dem Virus und somit dem Risiko zu leben, unabhängig von einer Impfung, die nicht kurzfristig bereitstehen werde.
Einen Ausflug in die Schuldenberge unternahm Wolfgang Kubicki: Die enorme Neuverschuldung der öffentlichen Hand im Zuge der Covid-Krise leite zu einer Steuerdebatte über, die vielfach irrational anmute. Gerade jetzt sei eine unternehmerfreundliche Politik gefragt, denn „die Wirtschaft muss brummen, damit die Rückzahlung der Schulden weniger schmerzhaft wird“. Auch warnte er vor dem spaltenden Effekt der Krise. Beamten könne aufgrund ihres gesicherten Einkommens die Dauer eines Lockdowns egal sein, in der freien Wirtschaft sehe man das anders.
Dem fügte die per Videocall zugeschaltete Prof. Ann-Kristin Achleitner vom Münchner Center for Entrepreneurial and Financial Studies hinzu, dass manche Branchen von der Politik vergessen würden, speziell jene, die keine Lobbys hätten. Und Astrid Hamke, Präsidentin des Wirtschaftsrats der CDU, gab zu bedenken: „Bei vielen Menschen ist der Ernst der Krise noch gar nicht angekommen.“
Einigkeit herrschte über die Schlüssel für den Weg aus der Krise: Innovation, Gründergeist, Mut und Akzeptanz von Veränderung. Sixt-Vorstandschef Erich Sixt machte vom Bildschirm her Mut: „Krisen setzen ungeheure Kräfte frei. Da sieht man auch, wer etwas kann.”
In „realistischem Optimismus“ übte sich Wybcke Meier, Chefin von Tui Cruises. Obwohl sie mit einer Normalisierung erst in zwei, drei Jahren rechne, halte der Kreuzfahrt-Riese an der geplanten Anschaffung neuer Schiffe fest. Von Zielgebieten wie Mallorca wünscht sie sich „klare Vorgaben“. Die Branche tue das Ihre, um der auch in Palma laut gewordenen Kritik an einer angeblichen „Invasion“ der Kreuzfahrttouristen konstruktiv zu begegnen. Digitale Organisationssysteme würden das gestaffelte Anlaufen der Schiffe ermöglichen, womit das gleichzeitige Anlegen von fünf, sechs Riesenpötten vermieden werden könne.
Interessante Einblicke in die Entwicklung des Immobilienmarktes bot Sven Odia, alleiniger Vorstandsvorsitzender von Engel & Völkers. Die allgemein kolportierte Stadtflucht sei eine Realität, doch wichtiger sei heute Raum, „das Extrazimmer für Homeoffice, Home Schooling“. Im Lockdown sei das Zuhause „neu entdeckt worden“, entsprechend seien die Ansprüche gestiegen. Auch schloss Odia sich den doch zahlreichen kritischen Stimmen zum Homeoffice an. Das direkte Miteinander fördere Teamspirit und Kreativität, davon ginge einiges verloren.
Schließlich brachen die Anwesenden eine Lanze für Familienunternehmen. Deren langfristiger Ausblick und die Fähigkeit zum raschen, konsequenten Reagieren verschaffe erhöhte Resilienz bei Krisen. Willi Plattes von European Accounting bekräftigte, es werde zu viel über die „Zeit nach der Krise“ gesprochen. Agieren sei jetzt erforderlich. Darum habe man auch beschlossen, das Wirtschaftsforum in diesem schwierigen Moment abzuhalten. Gerade jetzt seien ein Meinungsaustausch, Impulse und Entscheidungshilfen dringend nötig.
Der Zustand Europas kam in der letzten Keynote neuerlich aufs Tapet. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel witzelte: „Die Europäer gelten als die letzten Vegetarier in einer Welt der Fleischfresser.“ Den Euro gelte es als Reservewährung in Stellung zu bringen, dafür sei eine gemeinschaftliche Bürgschaft nötig. Die Befürchtung, damit würde verschwenderisches Wirtschaften ermöglicht, müsse man ausräumen, ohne das Projekt an sich zu annullieren.
In die Gespräche zum Ausklang mischten sich zahlreiche Anfragen zum kommenden Jahr. Die Veranstalter machen Hoffnung: Sie wollen 2021 das Wirtschaftsforum wieder nach Mallorca bringen. Auch der Termin steht schon fest: Sabine Christiansen (TV21), Prof. Jens Schönfeld (FGS), Reinhard Leitner (LeitnerLeitner) und Willi Plattes (European@ccounting) veranstalten das kommende Wirtschaftsforum von Donnerstagabend, dem 10. Juni bis Samstagmittag, den 12. Juni 2021 im Hotel Son Claret auf Mallorca für die Hidden Champions unter dem Motto, "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die
Bewahrung und das Weiterreichen des Feuers."
Anmelden kann man sich bereits. Hier geht es zur Anmeldungsseite
Die Organisatoren (v.l.n.r.): Reinhard Leitner (LeitnerLeitner),
Jens Schönfeld (Kanzlei Flick Gocke Schaumburg) und
Willi Plattes (European Accounting). Foto: European Accounting
(Hauptbericht aus: MM 41/2020)