Das Rattern der Maschinen dröhnt durch den Carrer del Rosari. Was so geräuschvoll hinter der unscheinbaren Hauswand vor sich geht, lässt nur das blau gefärbte Webgarn erahnen, das zum Trocknen auf der Dach-terrasse hängt. Mitten in Santa Maria befindet sich eine der letzten Textilfabriken auf Mallorca, das Familienunternehmen Bujosa. Seit 1949 schon werden hier die typisch mallorquinischen Flammenstoffe hergestellt.
„Mein Großvater stammte aus Bunyola”, sagt Maribel Bujosa, die das Unternehmen in dritter Generation leitet. „Schon als junger Mann hatte er in einer der Textilfabriken in Sóller gearbeitet.” Als er dann seine Frau heiratete, die aus Santa Maria kam, ließen sich die beiden in dem Dorf zu Füßen des Tramuntana-Gebirges nieder und eröffneten ihr eigenes Unternehmen. Die Werkstatt ist seitdem nahezu unverändert geblieben.
„Die Webmaschinen stammen aus dem späten 19. Jahrhundert”, sagt Bujosa. „Mein Großvater hat sie damals schon gebraucht gekauft.” Bis heute laufen sie einwandfrei. Und so dröhnt es in der kleinen Fabrikhalle ohrenbetäubend. Die beiden jungen Leute, die an diesem Tag dort arbeiten, tragen einen Gehörschutz. Bis zu vier Webmaschinen versetzt der kleine Elektromotor über Antriebsriemen in Bewegung. Der meiste Lärm entsteht durch die Maschinen selbst, wenn der sogenannte Schützen samt Faden hin und her geschossen wird. Der Rhythmus fährt einem geradewegs in die Knochen.
Neun Mitarbeiter beschäftigt Bujosa heute in Santa Maria, Leute aus dem Dorf, beziehungsweise der Umgebung. Die Zahl ist über die Jahre in etwa stabil geblieben, geändert aber hat sich die Gewichtung. Während früher acht Personen in der Produktion beschäftigt waren, sind es heute nur noch fünf. Stattdessen hat man den Bereich Konfektion ausgebaut. Denn heute werden nicht mehr nur Stoffbahnen verkauft, sondern es gibt eine Vielzahl an Accessoires: Hüte, Taschen, Täschchen, Dekorations-Artikel und dergleichen mehr.
Das traditionelle Einsatzgebiet der Flammenstoffe war die Dekoration, sagt Bujosa: Gardinen, Tischdecken, Kissenbezüge. Lange Zeit gehörten vor allem Textilwarengeschäfte und Inneneinrichter aus Palma zu den Kunden der Firma, die dann die Stoffe weiterverkauften oder weiterverarbeiteten. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Der Direktverkauf im Laden in Santa Maria hat zugenommen. „Außerdem verschicken wir heute in alle Welt, vor allem nach England, Deutschland und in die nordischen Länder.” Dem Internet sei Dank.
Wie sie es geschafft haben, bis heute durchzuhalten, während die allermeisten anderen mallorquinischen Textilunternehmen im Laufe der Jahre aufgeben mussten? „Die Grundlage war, viel zu arbeiten”, sagt Maribel Bujosa. „Wie bei jedem Kunsthandwerk geht es nur mit Fleiß und viel Liebe.” Von der Einführung einer geschützten Herkunftsbezeichnung verspricht sie sich einiges. „Zwar lässt sich die Produktpiraterie nicht zu 100 Prozent vermeiden, aber zumindest hätte man dann eine Handhabe, dagegen vorzugehen.”
Eine weitere Herausforderung für den Sektor sei es, gute Angestellte zu finden. „Zugegeben, die Produktionshalle ist kein gemütlicher Raum: der Lärm, es ist kalt, die Arbeit im Stehen ...” Außerdem gebe es keine geregelte Ausbildung zum Weber in Spanien. Dennoch sei der Generationswechsel gelungen. Zuletzt habe man mehrere junge Leute eingestellt und eingearbeitet. Wie es in der Geschäftsleitung weitergeht, sollte sich Maribel Bujosa eines Tages zur Ruhe setzen wollen, ist allerdings ungewiss. Ihre beiden Töchter haben nämlich beruflich andere Pläne, wie sie sagt. Und so weiß niemand, wie lange das Rattern der Webmaschinen noch in den Straßen von Santa Maria zu hören sein wird.
ECHT ODER FALSCH
Flammenstoffe gehören zu den wenigen traditionsreichen mallorquinischen Erzeugnissen, die bis heute überdauert haben. Eine geschützte Herkunftsbezeichnung soll jetzt gegen Produktpiraterie helfen
Selbst Spaniens Königin Letizia fiel vor ein paar Jahren auf Fälscher herein: Nachdem sie sich in ihrem traditionellen Mallorca-Urlaub mit einer vermeintlich aus original mallorquinischem Flammenstoff gefertigten Tasche gezeigt hatte, gab es reichlich Kritik an der Monarchin, handelte es sich doch um ein Plagiat. Der Stoff war nicht aus zuvor gefärbten Fäden gesponnen, wie es für die sogenannten Telas de Llengües üblich ist, sondern lediglich bedruckt. Und so wurde die eigentlich gut gemeinte Aktion der Königin zum modischen Reinfall.
Wie Letizia geht es vielen Insel-Urlaubern, die im Glauben, ein typisches Mallorca-Produkt zu erwerben, eine Fälschung kaufen. „Die Läden sind voll von gefälschten Stoffen, bedruckt und Made in China”, sagt Biel Riera, Vorsitzender des Verbandes der Textilproduzenten und Inhaber eines von drei verbliebenen Unternehmen auf der Insel, die typisch mallorquinische Flammenstoffe herstellen. „Der Schaden für den Sektor ist groß”, sagt er. „Denn was Urlauber für gefälschte Ware ausgeben, entgeht den Herstellern der Originalstoffe.” Dabei habe es der Textilsektor ohnehin schon schwer. „Der Waren-, Personal- und Technikeinsatz ist enorm”, sagt Riera. Das Geschäft sei deshalb nicht sehr rentabel. „Wenn wir dann noch die Produktpiraterie dazunehmen ... Du entwickelst ein Design, investierst in die Produktion, und dann kommt jemand, macht es nach und verkauft es dann für ein Zehntel des Preises.”
Auch Maribel Bujosa vom Textilunternehmen Bujosa aus Santa Maria schmerzt es, wenn sie in Läden vermeintlich aus authentischem Flammenstoff gefertigte Produkte sieht, bei denen es sich aber eigentlich um Fälschungen handelt. „Die Plagiate werden immer besser”, sagt sie. „Früher konnte man sie noch daran erkennen, dass die Stoffe nur von einer Seite bedruckt waren.” Heute bedrucken viele Fälscher beide Seiten und imitieren sogar die kleinen Fehler und Ungenauigkeiten im Muster, die an der traditionellen Webtechnik liegen und den Flammenstoffen ihr charakteristisches Aussehen geben. „Oft kann der Kunde den Unterschied zum Original gar nicht sehen”, sagt Bujosa.
Für Abhilfe will nun der Inselrat sorgen, der gemeinsam mit dem mallorquinischen Textilverband beim spanischen Patentamt eine geschützte Herkunftsbezeichnung für die Telas de Llengües beantragt hat. Seit einiger Zeit ist es möglich, ein solches EU-weit gültiges Qualitätssiegel, das es bislang nur für landwirtschaftliche Produkte, Weine und Spirituosen gab, auch für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse zu bekommen. Auf diese Weise ließen sich Fälschungen effektiver bekämpfen und die oft kleinen Hersteller unterstützen, heißt es in der entsprechenden EU-Verordnung.
„Unser Ziel ist es, dass die Tela de Llengües als erstes kunsthandwerkliches Produkt in ganz Europa eine geschützte Herkunftsbezeichnung bekommt”, sagt Pere Ferrer, für Kunsthandwerk zuständiger Direktor beim Inselrat. Mit dem Qualitätssiegel könnten sich dann nur die Hersteller schmücken, die ihre Produkte auf traditionelle Weise herstellen. Bislang gibt es geschützte Herkunftsbezeichnungen für mallorquinischen Wein, für die Paprikawurst Sobrassada, für die Teigschnecke Ensaïmada sowie für Mandeln von der Insel. Die zertifizierten Hersteller müssen jeweils genau vorgegebene Verfahren einhalten beziehungsweise klar definierte Zutaten verarbeiten. Auch für die Telas de Llengües gäbe es dann künftig klar definierte Rahmenbedingungen.
Bis es so weit ist, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen: Laut Pere Ferrer ist die fragliche EU-Verordnung noch gar nicht in spanisches Recht übertragen. Wann der Antrag in Madrid also bearbeitet und dann nach Brüssel weitergeleitet wird, ist derzeit noch völlig unklar.
Zumindest Königin Letizia hat ihren modischen Fauxpas wieder gutgemacht. Im folgenden Sommer zeigte sie sich mit einem schicken Handtäschchen eines Inselproduzenten, diesmal aus original mallorquinischem Flammenstoff.