Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber Mallorca war einst eine rohstoffreiche Insel, die ihre Energieträger sogar auf das Festland exportierte. Gemeint ist die Braunkohle, die im 19. Jahrhundert in den Minen von Lloseta abgebaut, per Eisenbahn nach Palma geschafft und dort im Port auf Schiffe verladen wurde, damit auch in den Öfen von Valencia die Glut nicht ausging.
Der Wirtschaftszweig war so wichtig und ergiebig, dass sich für den Export sogar der Bau einer Eisenbahnlinie lohnte: Auf der Strecke Palma-Inca verkehrten die Züge von 1875 an. Keine zwei Jahre später war auch der fehlende Schienenstrang fertig, als Verbindungsstück zwischen dem Hafen und dem Hauptbahnhof, der damals vor den Toren der Stadt an der noch nicht existenten Plaça d'Espanya lag. Die sogenannte Hafenbahn war die zweite Zugstrecke, die auf Mallorca von 1877 an in Betrieb war.
Zum Einsatz kamen neben Dampfloks auch Maultiere: Sie zogen auf den Gleisen zur Personenbeförderung Straßenbahnwaggons. Die Züge rollten über die damalige Hauptverkehrsachse der Stadt durch die Straßen Rambla, Unió und Borne, folgten also dem Verlauf des ehemaligen Flussbetts Sa Riera. Die vormals als Provisorium betrachtete Streckenführung bedeutete eine große Belästigung für die Bürger. Lärm, Qualm, Dampf und Staub sowie Gefahren für Fußgänger, ja selbst tödliche Unfälle (für die Zugtiere) blieben nicht aus.
So wurden - bereits 50 Jahre später - Pläne ausgearbeitet, die den Bau eines Verbindungstunnels unter der Stadt vorsahen. Dort sollten die Güterwaggons ungehindert von und zum Hafen rollen können.
Begonnen wurde mit dem Bau im Jahre 1928, vollendet wurde die 1252 Meter lange Röhre drei Jahre später. Kuriosum: Der Ausgang des Tunnels wurde beim Hafen in die historische Stadtmauer aus dem 17. Jahrhundert integriert, dort ist die liebevoll gestaltete Öffnung noch heute zu sehen, wenn auch zugemauert.
Das beim Bau der Röhre anfallende Erdreich wurde direkt vor der Stadtmauer im Meer abgekippt und so neues Land erschlossen. Auf dieses Terrain wurden der Schienenstrang sowie die weiteren Nebengleise der Hafenmole gelegt. In der Bevölkerung hieß der neue Abschnitt am Meer bald der "Strand der Schienen".
Die Jungfernfahrt der Hafenbahn mit den Honoratioren der Stadt fand vor gut 85 Jahren am 5. Februar 1931 statt. Sie begann im Hafen, durchquerte den Tunnel, den Hauptbahnhof und endete bei einem Mittagessen in Santa Maria.
All diese Details sind jüngst wieder ins Bewusstsein getreten, dank eines Vortrags, den der Verein der Eisenbahnfreunde von Mallorca (AAFB) unlängst organisiert hatte. Die Bahnenthusiasten wollen nicht nur die für eine kleine Insel wie Mallorca durchaus vorzeigbare industrielle Vergangenheit vor dem Vergessen bewahren. Sie erheben auch konkrete Forderungen an die Politik und wollen den Tunnel wieder mit Leben füllen. Denn die Züge durchquerten ihn lediglich bis 1965. Danach wurde der Betrieb eingestellt. Busse und Lastwagen lösten die Bahn ab.
Gleichwohl befindet sich der Tunnel mit seinem Gewölbe und den Stützmauern aus Beton baulich in einem guten Zustand. Mehr noch: Er ist begehbar. "Der Tunnel ließe sich durchaus nutzen, etwa als kurzer Abstecher vom Parc de la Mar bis zur Plaça Mayor", sagt Vereinspräsident Miquel Àngel Riera. Die Röhre wäre wie gemacht für touristische Führungen, könnte aber auch mit einem Auto oder einer Bahn befahren werden.
Bis zum Hauptbahnhof reicht die Röhre allerdings nicht mehr. Sie ist an drei Stellen unterbrochen - durch Tiefgaragen, die nachträglich gebaut wurden. Das erste Parkhaus dieser Art entstand unter der Plaça Major, das zweite am Olivar-Markt und das dritte an der Plaça d'Espanya. Dort erinnert noch eine aufgemalte Lok an jene Stelle, an der einst die Züge in den Untergrund rollten.
(aus MM 7/2016)