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Marratxí – die etwas seltsame Mallorca-Gemeinde

Marratxinet ist eines von fünf historischen Dorfzentren. | Patricia Lozano

| Marratxí, Mallorca |

Ob im "Alcampo" oder im "Festival Park" - so gut wie jeder Mallorca-Resident war wohl schon einmal in Marratxí, vielleicht ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Doch mehr als das Allround-Einkaufszentrum und das große Marken-Outlet hat vermutlich kaum jemand von der Gemeinde gesehen. "Marratxí, wo ist das eigentlich? Das wissen wir selbst nicht so genau", gibt der Pressesprecher des Rathauses lachend Auskunft. Freilich - die Gemeindegrenzen sind klar definiert: Im Süden und Westen grenzt das "Municipio" an Palma, im Norden an Bunyola und im Osten an Santa Maria. Rund 55 Quadratkilometer groß ist die Fläche. So weit, so klar. "Aber einen Ort, der Marratxí heißt, gibt es nicht."

"Bis in die 1960er Jahre war das anders", weiß Kulturdezernent Josep Ramis. "Damals hieß das heutige Dorf Marratxinet noch Marratxí. Aber es wuchs nicht. Also wurde das Rathaus nach Sa Cabaneta verlegt und das Dorf in eine Verniedlichung umbenannt." Marratxí - den Namen trägt heute nur noch das Industriegebiet.

Ohnehin gibt es in der Gemeinde Marratxí wenig Spektakuläres. Keine Küste, keine Gebäude, die man auf jeden Fall gesehen haben muss, kein ausgeprägtes Szene- oder Nachtleben. Und doch: Die Einwohnerzahl in der Gemeinde stieg in den vergangenen Jahrzehnten prozentual so stark an wie in keiner anderen Mallorcas. "In den 1990er Jahren lebten hier etwa 15.000 Menschen, heute sind es rund 35.000", so Ramis. 20 Urbanisationen sind damals, vor gut 20 Jahren, entstanden und reihen sich nun zu den fünf historischen Ortskernen Sa Cabaneta, Pòrtol, Es Pont d'Inca, Pla de Na Tesa und Marratxinet in die Liste der Orte ein, die zusammen Marratxí ergeben. Würde das Rathaus die Investoren nicht in die Schranken weisen, wären bald noch mehr Siedlungen im Bau. Marratxí ist gefragt - Tendenz der Miet- und Kaufpreise: steigend. Doch was ist es, das die Menschen nach Marratxí zieht?

"Ruhe. Weite. Und man will weg von Touristen", sagt Günter Stalter. Der 78-jährige Deutsche war lange Jahre als Reiseführer tätig und stand Ende der 1970er Jahre vor der Entscheidung: Hausbau in Marratxí oder anderswo auf der Insel? "Bekannte von mir hatten hier gerade gebaut und meine Frau und mich auf die Idee gebracht. Erst war ich etwas skeptisch, weil ich dachte, der Flughafenlärm sei hier zu stark." Doch er überzeugte sich vom Gegenteil. "Und von der Aussicht, die wir von unserem Grundstück in Sa Cabaneta haben", berichtet er. Bis zur Playa de Palma können die Stalters von ihrem Haus auf der Anhöhe in Sa Cabaneta aus sehen. "Damals fuhren hier noch die Eselskarren", erinnert sich Stalter. Heute natürlich nicht mehr, aber dennoch habe sich angenehm wenig verändert. "Es ist noch immer ruhig hier." Und trotz des enormen Bevölkerungszuwachses fühle man sich nicht eingeengt.

Tatsächlich sind Grünflächen noch immer kennzeichnend für die Gemeinde. Weite Felder, weite Ausblicke, Leben auf dem Land. Wer durch Pòrtol schlendert - das kleine Örtchen unweit von Sa Cabaneta - hört tatsächlich Hähne krähen und sieht Katzen abwechselnd durch kleine Gassen und angrenzende Wiesen streunen, auf denen nur vereinzelte Fincas stehen.

Kaum zu glauben, dass das beschauliche Dörfchen nur 15 Kilometer von Mallorcas Inselhauptstadt entfernt liegt. "Einer der Hauptgründe, warum die Leute hier wohnen wollen", so Josep Ramis. Selbst im Rathaus von Marratxí - das wie gesagt in Sa Cabaneta steht - kann man nicht abstreiten, was viele munkeln: Marratxí, das ist das Schlafzimmer Palmas. "Auf gewisse Weise ja", sagt Ramis und nickt. "Die Leute, die in den 1990er Jahren hierher zogen, sind fast alle aus Palma und arbeiten auch weiterhin dort."

Noch nie habe es in der Gemeinde viel Verbindung zwischen den einzelnen Dörfern gegeben. "Früher waren die Ortskerne gar nicht miteinander verbunden", so Ramis. "Damals kannte man Leute aus anderen Dörfern nicht." Auch heute, im Zeitalter der Urbanisationen, hat sich daran nicht viel geändert. Zwar sind die Infrastrukturen geschaffen, doch noch immer scheinen die Menschen aus den Neubausiedlungen wenig Interesse an anderen Gemeindedörfern zu haben. So wie in Can Carbonell. Entfernung nach Palma: Fünf Kilometer. Hier steht Einfamilienhaus neben Einfamilienhaus, freistehend, mit Garten drumherum, Straße um Straße. Fast keine Bars, keine Geschäfte, keine Lokale. Man spürt förmlich, dass hier kein Einwohner Highlife erwartet. Dass die Siedler tagsüber in Palma genug Rummel haben und abends und am Wochenende einfach ausspannen und ihre Kinder abseits von Großstadtlärm und Abgasen aufwachsen sehen wollen. Und wer doch einmal Sehnsucht nach Abendprogramm hat, der ist ja in zehn Autominuten in der Inselhauptstadt - oder noch schneller im "Festival Park", wo es Kinosäle und Bars satt gibt.

"Die Anbindung von Marratxí aus ist toll", sagt auch der deutsche Resident Günter Stalter aus Sa Cabaneta. Neben der Palma-Inca-Autobahn Ma13, die direkt durch die Gemeinde führt, und dem Zubringer Ma13a, schätzt er vor allem die Zugverbindung. "Meine Frau lässt oft das Auto am Bahnhof stehen. Mit dem Express-Zug ist sie in sieben Minuten in Palma oder Inca und muss nicht einmal einen Parkplatz suchen."

Aber Marratxí, das sind nicht nur verschlafene Urbanisationen, kleine Dörfchen und Natur. Marratxí, das sind auch Gegensätze. "Die Mittelschicht ist hier sehr ausgeprägt, aber es gibt auch private Luxusurbanisationen und Viertel, in denen die Menschen wirtschaftlich nicht so gut gestellt sind." Letztere finden sich vor allem um Es Pont d'Inca. Anders als die Orte, die weiter nordöstlich liegen, ist in und um Es Pont d'Inca wenig von der Sauberkeit und Ruhe zu sehen, die kurz dahinter beginnt. Vermutlich, weil der südwestliche Zipfel des Gemeindegebiets fließend in Palmas Calle Aragón übergeht. Mehrstöckige Reihenhäuser, volle Straßen, Kioske und Läden an jeder Ecke - städtisches Flair eben. Nur ein Schild weist darauf hin, dass man sich plötzlich nicht mehr in der Inselhauptstadt, sondern in der Nachbargemeinde befindet. Am bekanntesten ist Es Pont d'Inca für seine Likörherstellung, auch das Mandelblüten-Parfum "Flor d'Ametler" stammt von hier.

Trotzdem verbinden die meisten Menschen Marratxí mit dem Töpfern. Allein in Pòrtol habe es vor einigen Jahrzehnten noch 25 Töpfereien gegeben. "Heute sind es nur noch zehn, aber die laufen gut", so Kulturdezernent Ramis. Seit 33 Jahren zieht die Töpfermesse "Fira del Fang" in den ersten zwei Märzwochen, Besucher von der ganzen Insel an und auch die Aussteller kommen teilweise von außerhalb. So wie der deutsche Martin Wolf, der seine Werkstatt in Inca hat und seit gut 20 Jahren auf der "Fira del Fang" ausstellt. "Leider wird die Fira immer kleiner, es ist etwas die Luft raus. Das Rathaus müsste mehr Innovationen anstoßen", findet er.

"Wir würden generell gerne etwas mehr Touristen anlocken", so Dezernent Ramis. Das Töpfermuseum und die Keramikwerkstätten zögen ohnehin schon mehr Menschen an als noch vor einigen Jahren. Die meisten kämen nur zu Tagesausflügen. "Es gibt drei Hotels im Gemeindegebiet, zwei davon haben erst im Jahr 2015 aufgemacht." Falsche Hoffnungen macht er sich aber nicht: "Der Tourismus wird für uns nie eine tragende Rolle spielen."

Günter Stalter ist das nur recht. Der Deutsche bereut seine Entscheidung, nach Marratxí gezogen zu sein, kein bisschen. "Ich habe sogar schon ein Grab hier reserviert", sagt er augenzwinkernd. "Ich gehe hier nicht mehr weg."

(aus MM 10/2017)

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