Relativ ruhig geworden ist es in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit um Fußballlehrer Christoph Daum. Das jedoch ändert sich in diesen Tagen. Denn unter dem Titel „Christoph Daum – Immer am Limit“ kam gerade die Autobiografie des 66-Jährigen auf den Markt.
Der Meistertrainer hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr er Mallorca schätzt. Seit Jahrzehnten hat die Familie ein Haus in Santa Ponça, er verbringt viel Zeit dort. „Im Jahr komme ich wohl so auf etwa drei Insel-Monate insgesamt“, schätzte Daum einmal im Gespräch mit dem Mallorca Magazin. Das sieht natürlich 2020 etwas anders aus. Zuletzt ist Daum im November vergangenen Jahres in Palma gelandet. „Seitdem war ich wegen Corona nicht da”, so der Trainer am Wochenende gegenüber MM. „Ob ich dieses Jahr noch auf die Insel komme, hängt von der Corona-Entwicklung ab. Definitiv geplant habe ich nichts, es könnte aber wieder der November werden.”
Mallorca ist ein fester Bestandteil des Lebens von Christoph Daum und so darf die Insel nicht fehlen, wenn er über dieses schreibt. Immer wieder taucht das Eiland in seinem Buch als Ort auf, an den er sich in stressigen Phasen zurückzieht, wo er auftankt.
Zwei Dinge allerdings sind im Leben von Daum mit Mallorca verbunden, die nicht unbedingt nur mit Urlaub zu tun hatten: Hier wagte er ein Millionen-Investment, das ihm vor allem viel Ärger einbrachte. Hier lernte er aber auch seine heutige zweite Ehefrau Angelica Camm kennen.
In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre wollte Daum mit einem Freund ein Ferienhaus auf Mallorca kaufen. Man begab sich auf die Suche und bekam eines Tages von einem Makler eine marode und verlassene Time-Sharing-Anlage in Cala Bona gezeigt, die später den Namen „Sea Green“ tragen sollte. Das Objekt hat dem Trainer von Anfang an mehr als nur gefallen. „Gefallen war untertrieben, ich verliebte mich auf Anhieb in diese Anlage“, schreibt er im Buch. „Dieses Anwesen war wie ein Dornröschenschloss, ein wenig verwildert, weil es seit einiger Zeit leer stand. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie toll das alles mal aussehen könnte, wenn wir es nur wach küssten.“ Das Vorhaben war, die 70 Wohneinheiten zu kaufen, zu renovieren und dann einzeln weiterzuveräußern. „Wenn das hier renoviert und verkauft wäre, glaubte ich, würde ich bis an mein Lebensende finanziell ausgesorgt haben“, so meinte Daum damals. Doch dann gab es Provisionsforderungen eines Anwalts, auch der Makler verlangte eine Millionensumme, es gingen Gerüchte um, dass Schwarzgeld eine Rolle spielte, Gerichte wurden bemüht. Zusätzlicher Stress in einer Zeit, in der vieles für Christoph Daum nicht einfach war. Es dauerte, bis er die Prozesse schließlich gewinnen konnte.
Mit „Sea Green“ verbunden war aber auch die neue Liebe. Daum erinnert sich an den Moment, als er Angelica Camm das erste Mal sah: „Ich war sofort von ihr fasziniert, diese Frau hatte eine unfassbare Ausstrahlung, ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen.“ Es handelte sich um die damalige Ehefrau des Maklers. „Doch ich konnte den Blick nicht von ihr lassen“, schreibt Daum. „Es war seltsam, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Beim Anblick von Angelica schlug mein Herz höher. Ich vergaß alles um mich herum und kam mir beschwingt vor. Meine Gefühle machten mich blind für meine Umgebung. Ich musste sie unbedingt kennenlernen.“
Fortan kam Daum oft nach Mallorca, wegen „Sea Green“ und wegen „Geli“, wie er seine heutige Frau nennt. Erst pflegten die beiden eine geheime Beziehung, dann folgte der Tag der Wahrheit. Daum zog bei Ehefrau Ursula und den Kindern Marcel und Janine aus. Sein Zuhause war fort-an das Kölner Bonotel. Und hier nahm das seinen Lauf, was später als Kokain-Affäre für Schlagzeilen sorgen sollte.
Wer das Daum-Buch aufmerksam liest, der ahnt, wie allein der im Erzgebirge geborene und im Ruhrgebiet aufgewachsene Sportler in diesen Wochen gewesen sein muss. Er hatte die Familie verlassen, konnte sich aber nicht Abend für Abend in die Arme seiner Angelica stürzen. Denn die lebte damals noch fest auf Mallorca.
Daum schildert, dass in einer Suite seines Hotels von Zeit zu Zeit Partys stattfanden, auf denen Kokain konsumiert wurde. Am Anfang habe er das weiße Pulver, das im Badezimmer angeboten wurde, abgelehnt. „Nie im Leben!“ Eines Tages war es jedoch anders. Im Buch gibt der Trainer Einblicke in seine Gefühle: „Ich stützte meine Hände auf das Waschbecken und dachte: Scheiße! Das hast du nicht getan! Hast du es wirklich getan? Ich schüttelte mich und fühlte Euphorie und Schwindel, vor allem fühlte ich mich schuldig. Ich schaute mich im Spiegel an, noch immer klammerten meine Finger sich an das Waschbecken: Volles Haar, Mittelscheitel, Schnäuzer, das sah aus wie ich, aber war das wirklich ich?“ Dann bricht Daum die Schilderung ab. Er könne noch viel über seine Gedanken und Gefühle in dem Moment schreiben. „Aber das werde ich nicht tun. Ich kann es nicht. Ich will es nicht.“ Es sei ihm schon unglaublich schwer gefallen, diese Zeilen zu verfassen. Auch heute noch, mehr als 20 Jahre später, wühlt das Thema ihn auf. Daran lässt Daum keinen Zweifel. Er habe sich von einer Stimmung treiben lassen. „Mitten in den größten Fehler meines Lebens.“
Gleich zu Beginn des Buches schildert Daum, wie man ihn zum Bundestrainer gekürt hatte, was er aber bekanntlich wegen der Kokain-Affäre nie wurde. Am 2. Juli 2000 gab es in der Nähe von Köln ein Treffen, an dem neben dem damaligen Bayer-04-Leverkusen-Coach von seinem Club Reiner Calmund und Rudi Völler, von Bayern München Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß sowie DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder und zwei weitere Verbandsvertreter teilnahmen. Es begann mit der Erklärung, dass Daum nicht Bundestrainer werden könnte, weil er noch Vertrag bei Bayer 04 hatte und ihn der Verein nicht freigeben wollte. Doch dann kippte die Stimmung. Daum sollte nun erst zum 1. Juni 2001 Bundestrainer werden, für die Zwischenzeit wollte man eine Interimslösung finden. Nachdem mehrere Namen genannt und verworfen worden waren, sagte Daum: „Rudi, was ist denn mit dir?“ Später holte Reiner Calmund telefonisch die „Freigabe“ von Völler-Ehefrau Sabrina ein und das Einvernehmen war gefunden. Eine Zwischenlösung, deren Ende anders aussah als angestrebt ...
Als Gerüchte aufkamen, dass Daum Kokain konsumiere, machte er eine freiwillige Haarprobe, deren Ergebnis einen exorbitant hohen Wert ergab. Detailliert schreibt Daum, wie er danach mit Personen aus seinem Umfeld konfrontiert war, Bayer-04-Manager Reiner Calmund seine Reise in die USA bereits für den kommenden Tag organisiert hatte. Daum konnte den hohen Wert nicht fassen. Er habe zwar ab und zu gekokst, sei aber kein Junkie. Er schreibt: „Meine Stimme überschlägt sich, und ich flehe Reiner an, diesen ungeheuerlichen Werten der Haarprobe keinen Glauben zu schenken. ,Reiner, das kann nicht stimmen!’“
Denn Daum habe sich abgesichert und vorab bei einem Arzt im Ausland eine Analyse machen lassen. „Ich habe das Gutachten selbst gelesen. Der Test war komplett negativ! Da war nichts nachweisbar: kein Kokain, kein Opium, keine Amphetamine, gar nichts! Hätte ich mich etwa sonst freiwillig auf diese Haarprobe eingelassen?“
Die Haarprobe bleibt noch lange Thema in der Öffentlichkeit und was da genau passiert ist, wird man wohl nie erfahren. In der Endphase des folgenden langen Prozesses vor dem Gericht in Koblenz habe ein Sachverständiger, so Daum, erklärt, dass die Haarprobe eine „relativ große Fehlerbreite“ aufwies. Daum: „Seiner Meinung nach könne mir nur gelegentlicher, aber ,kein intensiver’ Konsum von Kokain nachgewiesen werden.”
Vielleicht wollte Daum es in der ersten Zeit nicht wahrhaben, aber die Affäre begleitet ihn heute noch und wird das wohl bis an sein Lebensende tun. Dieser Gedanke fällt Daum nicht leicht. Er schreibt: „Solches Gerede erinnerte mich an eine Verletzung, die verheilte, während die Narbe blieb. Ich stelle noch heute in Gesprächen fest, dass der ein oder andere nicht mal von meinem Freispruch weiß. Geschweige denn von der falschen Haarprobe, auf deren Basis ich an den Pranger gestellt wurde. Was nichts mit meinem unverzeihlichen Fehler zu tun hat, weiß Gott nicht, aber sollte man die Dinge nicht auch mal auf sich beruhen lassen? Stattdessen gibt es immer wieder Anspielungen.“
Aber die Zeit, in der er fast Bundestrainer wurde, ist nur ein Teil der Autobiografie. Der Leser erfährt einiges über die Jugend des Autors, dessen Lebensphilosophie und seine Stationen. Dabei geht es nicht nur um die fünf Meisterschaften, die der Coach mit vier Clubs in drei Ländern gewinnen konnte. Daum berichtet anschaulich darüber, was hinter den Kulissen der Fußballwelt für Mechanismen greifen, hat aber auch Zeit für Zwischenmenschliches. So zieht sich zum Beispiel die Dauerfehde mit Bayern-Manager Uli Hoeneß fast wie ein roter Faden durch die Lektüre. Und auch aus einem Telefonat, in dem die beiden praktisch ihren Frieden machten, zitiert der Trainer, der im September 2017 seine Zeit als Coach der rumänischen Nationalmannschaft beendete und seitdem keine Mannschaft mehr übernommen hat. Trotzdem sei das noch kein definitives Ende der Karriere auf der Bank. Es kämen immer wieder Anfragen. Am Ende der Biografie schreibt Daum, der am 24. Oktober 67 wird: „Es geht immer weiter und hört nicht auf. Vielleicht ist ja noch mal das Richtige dabei, vielleicht macht es noch mal klick. Warum nicht? Ein Trainer zu sein, das ist mein Leben. Das ist meine Leidenschaft. Und ich bin noch nicht am Limit.“
Über sein Buch sagt er im Gespräch mit MM: „Es war mein Ziel, eine völlig andere Biografie zu schreiben. Nicht da bin ich geboren, zur Schule gegangen, Abitur gemacht und studiert, dann meine Erfolge und welche Nationalspieler, welche Titel und großen Spiele, welche Niederlagen und Rückschläge, welche Persönlichkeiten ich kenne etc.” Stattdessen: „Es ging mir mehr darum, die Gedanken und Gefühle, das Scheitern und Aufstehen eines Trainers, mein Trainerleben, zu schildern.”
(aus MM 41/2020)