Als Sandra Fernández den fünften, sechsten, siebten Zigarettenstummel an diesem Morgen auf ihre Schaufel fegt, sagt sie: „Die machen mich wütend. Ich hasse sie.” Mit der linken Hand kippt Fernández den Abfall in den grauen Mülleimer, der fest auf ihrem Karren steht. Die Stummel fallen auf Chipstüten, Bierdosen, Pinienzweige, Schutt. Da soll noch einer sagen seit Corona sei es sauberer geworden. Ja und Nein.
Mallorca: Fernández ist mit dem Besen unterwegs, eine von gut 100 Frauen
Sandra Fernández ist Straßenkehrerin. Eine von etwa 400 Beschäftigten in Palma, die Wege sauberhalten. Um 5.30 Uhr, wenn sich die Bewohner der Inselhauptstadt noch einmal im Bett umdrehen, schwirren die wie Bienen aus ihrem Stock aus. Nicht auf der Suche nach Blumen, sondern nach Müll. Die einen säubern Straßen mit Wasserstrahlen, andere heben mit Kränen Müllcontainer in die Höhe, um sie leer zu ruckeln. Fernández ist mit dem Besen unterwegs, eine von gut 100 Frauen.
Die Sauberfrauen- und männer müssen sich seit Corona weniger über Plastiktüten und Zigarettenstummel aufregen. Kaum Menschen, vor allem Touristen, sind auf den Straßen Palmas unterwegs; es fällt weniger Müll an. 2019 entsorgte das Unternehmen Emaya, das für Palma zuständig ist, 248.000 Tonnen Müll. Im vergangenen Jahr ging der Abfall der Pandemie wegen um 14 Prozent zurück.
Kiefernnadeln kehrt Sandra Fernández gerne weg
Vor allem Strände sind sauberer. Untersuchungen zufolge reduzierte sich der Müll dort um 80 Prozent. Das haben Forscher des Instituts für Umweltwissenschaften der Autonomen Universität Barcelona herausgefunden. Sie untersuchten mehrere Mittelmeerinseln wie Mallorca, Sizilien, Malta und Kreta. Ergebnis ist auch, dass 94 Prozent des Strand-Abfalls Plastik ist. Getränkeflaschen und Strohhalme machen 65 Prozent davon aus.
Wenn Sandra Fernández etwas gerne wegkehrt, dann sind das natürliche Dinge wie Kiefernnadeln. Auf den Gehweg des Carrer de Son Muntaner in Palmas Wohnviertel Sa Vileta-Son Rapinya im Nordosten der Stadt sind einige runter gerieselt. Es ist 7 Uhr, noch dunkel, sieben Grad. Vögel zwitschern, der Morgen graut. Seit eineinhalb Stunden ist Fernández unterwegs. Um 4.30 Uhr steht sie gewöhnlich auf. „Das macht mir nichts”, sagt sie und zieht ihren Karren rückwärts den Bordstein hoch.
Straßenkehrer haben die Lizenz zum Draußensein
Seit einem Jahr kehrt die 37-Jährige in dieser „ruhigen Gegend”, wie sie sagt. 2016 hat Fernández bei Emaya als Straßenkehrerin angefangen. Vorher arbeitete sie als Sekretärin, unter anderem in einer Psychologen-Praxis. Dann kam der Straßenkehrer-Job hinzu und sie machte zwei Jahre lang beide Jobs. Heute sagt Sandra Fernández: „Meine Arbeit ist Luxus in dieser Zeit. Es gibt viel zu tun.”
In der Tat gelten Müllentsorger als mehr oder weniger systemrelevant in der Krise. Auch während der Ausgangssperre hatten sie die Lizenz zum Draußensein, ohne irgendeine Bescheinigung dabei haben zu müssen. Die gelb-blau-grünen Warnfarben reichten, um nicht von der Polizei angesprochen zu werden.
Zigarettenstummel sind für Fernández „barbarische Kontamination”
Doch mit der Pandemie kam auch neuer Abfall hinzu: Masken. Immer wieder findet Sandra Fernández Mundschutze auf Straßen. Ein bis zwei sind es am Tag. „Die Leute sind sich nicht bewusst, dass die sich kaum zersetzen”, sagt Fernández. Das treffe auch auf Zigarettenstummel zu. Die nennt sie „barbarische Kontamination”.
Beide Hände am Griff biegt Sandra Fernández mit ihrem Karren nun in den Carrer de la Tanca d’Abaix ein, stoppt an einem Müllcontainer. Zwischen dem Restabfall- und dem Plastikbehälter liegen bunte Süßigkeiten-Tüten am Boden. „Hier ist am meisten zu tun”, sagt die Frau mit dem blonden Zopf und dem weißen Kopfhörer im Ohr. Sie hört während der Arbeit Flamenco. Fernández’ Mutter stammt aus dem andalusischen Granada, sie selbst ist auf Mallorca aufgewachsen, wohnt in Palmas Osten, in der Nähe der Cala Gamba.
Hundekot von der Straße kratzen? Auch das muss die Mallorquinerin erledigen
Fernández muss den Müll an den Containern nicht wegmachen. Sie tut es trotzdem – aus Prinzip, wie sie sagt. „Ich will, dass die Straße komplett sauber ist.” Es sei schade, dass die Leute Abfall einfach vor die Container werfen. Schlimm sei auch, „dass da nachher direkt wieder etwas liegt”.
Weiter geht es in den Carrer de Son Puigdorfila, es ist mittlerweile hell geworden, gleich 8 Uhr. Sandra Fernández ist nicht mehr allein auf der Straße. Menschen gehen mit Hunden Gassi, ein Hundekot-Eimer an einem Park etwas weiter hat schon Inhalt. Auch den entleert Fernández. Aber das sei immer noch besser als das Zeug von der Straße zu kratzen, sagt sie.
Manche Anwohner sagen: „Straßenkehrer sind extra dafür da, Hundekot wegzumachen. Dafür zahlen wir Steuern.” So gibt es Sandra Fernández wieder. Sie könnte sich dann mit den Leuten anlegen. „Das lohnt sich für mich aber nicht, dann habe ich danach vielleicht einen schlechten Tag.”
Der Lohn der Arbeit: 1400 Euro netto im Monat bei 16 Gehältern
Bessere Gedanken bereitet ihr der Lohn. Sandra Fernández bekommt rund 1400 Euro netto im Monat bei 16 Gehältern. Sie ist mehrere Stunden an der frischen Luft – und trifft auch nette Anwohner. Wenn sie zwei Wochen nicht in einer Straße gekehrt hat, fragen sie, wo Fernández war. „Ich hatte frei”, sagt sie dann. Es sei schön, wenn die Leute die Arbeit anerkennen. „So ist man motivierter.”
Wenn Sandra Fernández mal freihat, schnappt sie sich ihr Motorrad und fährt in die Natur. „Ein bisschen mehr meine Insel kennenlernen”, sagt sie. Und wann macht sie etwas mit ihren Freunden? „Wenn sie mich sonntags anrufen, putze ich meistens die Wohnung.”