Als die abgefeuerten Kugeln in die Körper der fünf Frauen eindringen, bedeuten sie nicht nur das Lebensende der Krankenschwestern, sondern auch den Abschluss einer unsäglichen Tortur, denen die Betroffenen bis zum letzten Atemzug ausgesetzt waren. Gefangengenommen, verhöhnt, wie Kriegstrophäen einer aufgepeitschten Menschenmenge präsentiert, als Prostituierte verunglimpft, geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, misshandelt, und am Morgen des 5. September 1936 zum weit abgelegenen Friedhof Son Coletes bei Manacor gekarrt: María García Sanchis (55), Teresa Bellera Camelli (20), die leiblichen Schwestern Daría und Mercedes Buxadé (23 und 18) sowie die nach wie vor namenlose Milizionärin, von der einzig ihr Tagebuch erhalten geblieben ist, werden dort eine nach der anderen erschossen. Die Körper fallen mit dem Gesicht zur Erde einer über den anderen hinein in den offenen Graben, zumindest bei drei der aufgezählten Frauen ist das der Fall. Dann schütten die Täter Ätzkalk auf die Leichen und schaufeln anschließend Erdreich auf die Toten.
Derzeit ist der Graben wieder geöffnet. Seit wenigen Tagen sind Archäologen damit beschäftigt, die Skelette der Hingerichteten freizulegen. Neben den Frauen sind auch zahlreiche Männer in Son Coletes getötet worden. Mitte vergangener Woche teilte die Balearen-Regierung mit, dass bei den Ausgrabungen die sterblichen Überreste von mindestens 20 Menschen entdeckt worden sind, unter ihnen drei Frauen, die mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit den Krankenschwestern zugezählt werden können, da in diesem Zusammenhang keine weiteren weiblichen Personen in dem drei Meter tiefen Erdloch vermutet werden. Fast 87 Jahre nach ihrer Ermordung gelangt damit das Schicksal der Krankenschwestern nach und nach ans Tageslicht. Endgültige Gewissheit haben indes DNA-Proben zu erbringen, deren Ergebnisse erst in einigen Monaten vorliegen werden. Dennoch sind sich Forscher und Forensiker weitgehend sicher, dass es sich bei dem Knochenfund um mindestens drei der „enfermeras” handelt.
„Sollte sich das wissenschaftlich belegen lassen, dann wäre dies ein historisches Ereignis. Denn das tragische Ende und der Verbleib der fünf Frauen ist eines der größten Rätsel der balearischen Zeitgeschichte“, sagt der promovierte Historiker Manuel Aguilera.
Die grausame Auslöschung der Krankenschwestern – während der Franco-Dikatur lange Zeit ein Tabuthema auf der Insel – bildete in jenen blutigen Tagen des Sommers 1936 den Abschluss der missglückten Invasion, mit der die katalanische Regionalregierung Mallorca von den aufständischen Militärs zurückerobern wollte. Am 16. August waren die republikanischen Truppen aus Barcelona, verstärkt durch freiwillige Milizionäre der sozialistischen, anarchistischen und separatistischen Parteien und Gewerkschaften, per Schiff im Inselosten eingetroffen und an Land gegangen.
Exakt einen Monat zuvor hatte General Franco auf den Kanaren gegen die linke Volksfrontregierung in Madrid geputscht und damit den Spanischen Bürgerkrieg losgetreten. Auch auf Mallorca hatten ihm nahestehende Militärs die Macht an sich gerissen und jede Art von Gegenwehr gnadenlos niedergeschlagen. Seit dem 19. Juli befand sich die Insel im eisernen Griff der Franquisten.
Gegen die Putschisten trat vier Wochen später vom Festland aus das republikanische Expeditionsheer unter dem Fliegerkommandanten Alberto Bayo an. Doch sein Landungsunternehmen im Inselosten geriet zum Debakel. Von Sa Coma und Porto Cristo aus konnten seine Truppen nur einen schmalen Küstenstreifen besetzen. Die Franquisten, die zahlenmäßig deutlich unterlegen waren, leisteten erbitterten Widerstand. Alsbald erhielten sie Unterstützung von italienischen Kampffliegern, die von Mussolini nach Spanien entsandt wurden. Ermöglicht wurde die Hilfe des faschistischen Diktators auch durch Geldzahlungen, die der mallorquinische Bankier und Multimilliardär Juan March finanziert hatte.
Mit den Truppen in Barcelona hatten sich auch die jungen Frauen nach Mallorca einschiffen lassen. Sie waren in der ostspanischen Metropole im Eifer des revolutionären Erwachens bei Ausbruch des Bürgerkrieges in die Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens (PSUC) eingetreten. Dort erhielten die Frauen den für die proletarischen Vorkämpfer typischen einteiligen blauen Arbeitsanzug als Uniform sowie eine Kurzausbildung am Gewehr. Als das Expeditionsheer in See stach, meldeten sich insbesondere Daría und Mercedes Buxadé, um als Krankenschwestern an der militärischen Expedition teilzunehmen.
Es ist überliefert, wie die Geschwister, angetan mit dem Blaumann, kurz vor Abfahrt im Ladengeschäft ihres Bruders auftauchten, um sich zu verabschieden. Die konservative Familie, die zeitweise in Mexiko gelebt hatte, war schockiert, konnte aber die Abreise nicht unterbinden. Als letzte Lebenszeichen von den jungen Frauen, die von ihren Kameradinnen mitunter scherzhaft „die Mexikanerinnen” genannt wurden, erhielten die Eltern ein, zwei Postkarten, die Daría und Mercedes aus Mallorca per Feldpost ihren Angehörigen zukommen lassen konnten. Eine dieser Karten zeigt als Motiv eine Ansicht aus der Drachenhöhle von Porto Cristo.
Mithilfe der italienischen Kampfflieger konnten die Franquisten dem Expeditionsheer sehr bald gefährlich zusetzen. Die Faschisten zerstörten die wenigen Wasserflugzeuge der Republikaner und gewannen dadurch die Lufthoheit. Sie beschossen die in Schützengräben kauernden Kämpfer und warfen Bomben. Es war ein Gemetzel zwischen Mandelhainen und Trockensteinmauern.
Die vor Son Servera steckengebliebene Invasion drohte ohne Verstärkung vom Festland zu einem Desaster zu werden. Doch Madrid sah keinen Sinn in dem katalanischen Versuch, Mallorca zu erobern. Man benötigte die Kämpfer an anderen Fronten, wo die Lage viel brenzliger war, und ordnete nach 20 Tagen Gefechten den Rückzug an. Albert Bayo ließ seine Leute darüber im Unklaren. Der Weg nach Palma zur Okkupation der Insel sei frei, log er, alle sollten dazu rasch die Schiffe besteigen. In der Nacht vom 3. auf den 4. September wurde eingebootet. Dann dampfte die Flotte mit dem Expeditionsheer, das zeitweise 8000 Mann umfasst haben sollte, zurück nach Katalonien.
Doch nicht alle Kämpfer hatte der Befehl zum Einschiffen rechtzeitig erreicht. Unter ihnen auch die fünf Krankenschwestern, die vor dem Dorf Son Carrió in einem Landhaus, das als Feldlazarett diente, Verwundete pflegten. Am Morgen des 4. September musste das Quintett feststellen, dass es sich selbst überlassen war. Die Frauen begaben sich zum Hauptquartier an der Küste, das Bauernhaus von Sa Coma, ein alter Milchhof, um sich zu erkundigen, warum alle Stellungen plötzlich verwaist waren. Mit Ausnahme einiger weiterer „Vergessener”, die es ebenfalls nicht mehr rechtzeitig zur Abfahrt geschafft hatten. Historiker schätzen, dass rund 400 Mann von Bayo bei dem überhasteten Rückzug auf der Insel „gestrandet” waren.
Die namenlose Milizionärin nutzte den Moment zum Schreiben für ein paar Zeilen: „Alle wollen sich tapfer zeigen, jedoch ist ihnen die Niedergeschlagenheit anzusehen, die Furcht, die Angst, die sie beherrscht. Wir haben noch Lebensmittel für ein paar Tage, Munition auch, und wir harren der Dinge”, vermerkte die junge Frau als letzten Eintrag in ihrem Tagebuch. Die fünf Krankenschwestern hatten sich im Heuspeicher des Bauernhauses versteckt – vergeblich. Sie wurden aufgespürt und mit einigen weiteren Gefangenen per Lastwagen erst nach Son Servera, dann nach Manacor geschafft. Vermutlich mehrere hundert Kriegsgefangene wurden in Sa Coma wenige Schritte von dem heute noch weitgehend im Originalzustand erhaltenen Landgut an den Strand gebracht. Dort wurden sie hinter einem riesigen Strohberg erschossen, die Leichen am Strand unter Sand vergraben.
Seit 23. März wird nun auch dort nach den sterblichen Überresten der Männer gesucht (siehe dazu den Nachtrag am Textende). Es sind zehntägige Grabungen beziehungsweise Schürfungen angesetzt. Die Archäologen konzentrieren sich auf Stellen, an denen bereits in der Vergangenheit – etwa nach Starkregen und Überflutungen durch Bäche vereinzelt Knochen freigespült worden waren. Nach den zehn Tagen sollen die Grabungsarbeiten unterbrochen und dann erst wieder im Herbst aufgenommen worden. Darauf haben sich die Balearen-Regierung und der Hotelverband von Sa Coma geeinigt. Der herrliche Strand am türkisen Meer ist eine touristische Hochburg. Wo 1936 die Hingerichteten verscharrt wurden, sonnen sich seit den 1970er Jahren jeden Sommer zehntausende Urlauber auf dem breiten Sandstreifen.
„Es ist schwer zu verstehen, warum die Bemühungen, die mutmaßlichen sterblichen Überreste zu bergen, so lange auf sich haben warten lassen”, kommentierte die MM-Schwesterzeitung „Ultima Hora” jüngst. Der balearische Minister für historische Aufarbeitung, Juan Pedro Yllanes kommentierte, „Wir öffnen Massengräber, um Wunden zu heilen”. Tatsächlich arbeitet der Inselrat eng mit der Regierung in Barcelona zusammen. In Katalonien wurden bereits diverse Genproben in einer Datenbank gesammelt, von Angehörigen, die sich 86 Jahre nach der „Schlacht von Mallorca” Hinweise auf das Schicksal der dort verschollenen Milizionäre erhoffen.
Der Führer der italienischen Faschisten auf Mallorca, Arconovaldo Bonacorsi, genannte Conde Rossi, hatte sich seinerzeit von dem Tagebuch der Milizionärin beeindruckt gezeigt. Seine Männer, ein Trupp aus Italienern und mallorquinischen Rechtsextremisten der Falange, die sogenannten „Dragones de la Muerte”, hatten die fünf Frauen gefangengenommen. Rossi, ein Entsandter Mussolinis, wurde von den spanischen Militärs der Insel in jenen Tagen geradezu hofiert. Im Inselosten wurde er dadurch zum Herr über Leben und Tod.
Unter seinem Befehl wurden die Frauen nach Manacor befördert, dort im Hofe einer Oberschule zunächst fotografiert und verhört. Anschließend ging es in das wenige Fußminuten entfernte Hauptquartier der Militärs an die Plaza Sa Bassa, heute eine Pizzeria, weiter. Dort brach für die Frauen in der Nacht die Hölle los. Unter Bruch des internationalen Völkerrechts für Kriegsgefangene und medizinisches Personal quälten und vergewaltigen Rossis Männer die Krankenschwestern in einer hemmungslosen Gewaltorgie. Vergeblich hatte ein Geistlicher, der bei der Vernehmung dabei gewesen war, etwa für die katholisch aufgewachsenen „Mexikanerinnen” ein Gnadengesuch gestellt. Rossi hatte ihm geantwortet, er wolle die Angelegenheit „mit dem Kopfkissen” beraten.
Der Lokalhistoriker aus Manacor, Antoni Tugores, nimmt an, dass Rossi jene teuflische Nacht nicht in Manacor verbracht hatte. Der sinistre Faschistenführer ließ aber offenbar seine Leute in ihrem Siegesrausch zügellos gewähren. Einer der Missetäter, ein Arzt, soll sich später in Palma gerühmt haben, es seien an den gefangenen Frauen gynäkologische Untersuchungen vorgenommen worden, „und eine von ihnen war noch Jungfrau!”
Tugores äußerte den Verdacht, dass die Rotkreuz-Schwestern auch deswegen am Morgen des Folgetages getötet wurden, um das erfolgte Verbrechen zu vertuschen. Gleichwohl sei das Vorkommnis in jener Zeit hinter vorgehaltener Hand inselweit Tagesgespräch gewesen.
Gegen 11 Uhr am 5. September hallten die Schüsse wider, mit denen die Buxadé-Schwestern und ihre Kameradinnen die verrohte Welt, in die sie hineingeboren worden waren, für immer verließen.
Der Friedhof von Son Coletes, der 1820 als provisorische Grabanlage für Pesttote errichtet worden war, wurde in den 1950er Jahren überbaut, nachdem das zuvor abschüssige Gelände ebenerdig planiert worden war. So erklärt sich heute die Tiefe von drei Metern, in der die Skelette der Frauen und weiterer Milizionäre nach längerer Suche nun zum Vorschein kamen. Ihr Ziel, die Erinnerung an die Hingerichteten auszulöschen, haben die Mordgesellen nicht erreicht. Seit einer Dekade erinnert die Vereinigung Memoria de Mallorca jedes Jahr an das Quintett und legt in Son Coletes Blumen nieder.
(aus MM 14/2013)
Nachtrag:
Bei den Grabungen und Probeschürfungen am Strand von Sa Coma wurden an 18 Erkundungsstellen bis Ende März keine menschlichen Knochen entdeckt. Die Arbeiten sollen im kommenden Oktober an neuen Stellen, die noch näher beim ehemaligen Hauptquartier Bayos liegen, wieder aufgenommen werden.
Bei den Grabungen auf dem Friedhof von Son Coletes bei Manacor wurden bis Ende März sechs weitere Skelette entdeckt. Die Gesamtzahl der Toten der gegenwärtigen Grabung stieg damit auf 26.