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Vor vier Jahren

Nach der Ahrtal-Katastrophe: Wie sich eine deutsche Familie auf Mallorca ein neues Leben aufbaute

Was als Auslandsjahr gedacht war, entwickelte sich zur festen Heimat. Das Ehepaar Sabine und Marc Ulrich mit drei Kindern ist auf der Insel angekommen

Sabine und Marc Ulrich mit einer von zehn Hauskatzen vor ihrem Haus an der Bahía Blava | Foto: Anja Schmidt

| Cala Blava, Mallorca |

Der gelbe Schwimmreif mit Ente quietscht fast genauso froh wie Juli, als sie vom Beckenrand des Pools auf Mallorca auf eben dieses Gummitier springen möchte. Man könnte kaum glauben, dass die mittlerweile Zehnjährige einmal etwas Schlimmes erlebt hat. Doch das hat sie.

Ihre Familie stammt aus dem Ahrtal und erlebte am 14. Juli 2021 die verheerende Flutkatastrophe hautnah mit, bei der 135 Menschen ums Leben kamen. "Unser Haus lag zwar 500 Meter vom Fluss entfernt auf einem kleinen Hügel und blieb deshalb von den Wassermassen verschont, aber der Blick auf das Katastrophenszenarium um uns herum – das vergisst niemand", sagt Sabine Ulrich und zeigt auf Juli, Till (11) und Luisa (13).

"Ständig waren Hubschrauber unterwegs, die Leichen in an Seilen befestigten Säcken abtransportierten. Die Kinder wollten wissen, was da genau dranhängt. Wir sagten ihnen, das seien Hilfsmittel, die den Menschen gebracht würden", sagt Ulrich mit einem Schaudern.

Vom Nichts zum Landesverdienstorden

Zudem musste die Familie mit zahlreichen Widrigkeiten kämpfen: Kein Wasser, kein Strom, keine Lebensmittel. Dafür unzählige Ratten, die sich rasch im ganzen Tal verbreiteten. Wochenlang konnte sich niemand duschen, es gab nicht einmal eine Toilettenspülung. Es herrschten kriegsähnliche Zustände. "In der Flutnacht standen Frauen und Kinder barfuß und im Schlafanzug vor der Tür. Sie waren durch die tosenden Fluten gerissen worden. Die Menschen hatten alles verloren." Freunde der Familie mussten in jener Nacht auf dem Hausdach ihres Neubaus verharren, während die bis zu neun Meter hohe Welle über das Tal hinweg fegte. Als ihr damals siebenjähriger Sohn Till nach zwei Wochen apathisch wirkte, brachte Sabine Ulrich ihre Kinder zu ihren Eltern nach Hessen. Ehemann Marc blieb und half weiterhin unermüdlich im Tal. Über soziale Medien organisierte er freiwillige Helfer, die er mit einem von ihm organisierten Shuttlebus täglich ins Ahrtal brachte. Für diese und viele weitere Verdienste erhielt die Familie Ulrich schließlich den Landesverdienstorden, überreicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

"Marc und ich waren aber auch dabei, uns zu verlieren. Die ganze Familie drohte auseinanderzubrechen", erzählt Sabine. Deshalb fassten sie Ende August 2021 einen spontanen Entschluss: "Einfach nur raus aus der Katastrophe. Ich brauchte mit den Kindern einen kompletten Tapetenwechsel." Kurzerhand entschied sie, mit den Kindern für ein Jahr nach Mallorca zu ziehen. Marc, Gesellschafter mehrerer Firmen in Deutschland, konnte sich in dieser Zeit vollständig auf den Wiederaufbau im Ahrtal konzentrieren – ohne dass sich die Familie um die Finanzen sorgen musste.

Eine Freundin lud Sabine und ihre Kinder zunächst zu sich nach Cala Figuera bei Santanyí ein. Von dort aus suchten sie eine eigene Wohnung und wurden schließlich in Puigderrós bei Llucmajor fündig. Auch bei der Schulsuche erhielt Sabine Ulrich schnell Unterstützung: Gabriele Fritsch, damalige Leiterin der Deutschen Schule Eurocampus in Palma, half sofort und empfing die Familie mit offenen Armen. Till kam in die zweite Klasse, Luisa in die vierte und sogar Juli bekam einen Kindergartenplatz. Alles wurde so organisiert, dass die Kinder nach dem Auslandsjahr nahtlos in das deutsche Schulsystem zurückkehren konnten – ohne Wiederholung eines Schuljahres. Der Familie gelang es, sich innerhalb kürzester Zeit ein neues Leben auf Mallorca aufzubauen.

Der Mallorca-Effekt

"Dieses absolute Kontrastprogramm tat einfach gut." Wochenlang hörte die 58-Jährige noch Sirenen und Hubschrauber – obwohl weit und breit keine zu sehen waren. Mit dem Ehemann führte sie zwei Jahre lang eine Fernbeziehung. Alle paar Wochen kam er mal für ein Wochenende auf die Insel, um Kraft zu tanken. Das Haus im Ahrtal wurde in dieser Zeit zu einem Versorgungs- und Planungszentrum. Freunde, die alles verloren hatten, fanden dort Zuflucht. "Die getrennte Zeit hat uns einen zweiten Frühling beschert. Wenn ich Marc vom Flughafen abgeholt habe, machte ich mich extra schick – wir fühlten uns wieder wie Teenager."

Nach einem halben Jahr stand für die Ulrichs fest, dass sie ihr Inselleben nicht wieder aufgeben möchten. Sie fanden ein Haus in der Wohnsiedlung Bahía Blava und wurden Inselresidenten. Marc gründete auf Mallorca eine Firma, und Sabine engagiert sich neben dem Familienleben für mehrere Katzenkolonien in der Umgebung. Zudem entwickelte sie ihre eigene Modemarke: "Mallorca Original" – stilvoller als die T-Shirts mit der Aufschrift "SolidAHRität", die sie nach der Flut selbst entworfen hatte.

Auch die kleine Juli ist heute glücklich. "Es ist so schön hier", sagt sie und planscht vergnügt mit ihrem Schwimmreif im Pool. "Hier ist nicht alles kaputt, wie zu Hause im Ahrtal."

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