Bei sozialem Wohnungsbau kommen Gedanken an anonyme Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre auf, an postmoderne Tristesse aus Beton, deren monströse Hässlichkeit sich selbst mit Farbe nicht übertünchen lässt. Dass es auch anders geht, dass sich Ästhetik, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht ausschließen müssen, zeigen zahlreiche zeitgenössische Beispiele.
Eines dieser Beispiele befindet sich dort, wo man es nie vermuten würde: in Palmas sozialem Brennpunkt Son Gotleu. Im Carrer Regal 5 hat die balearische Behörde für Wohnungsbau ein Gebäude mit Sozialwohnungen errichtet. Entworfen wurde es von den Architekten Carles Oliver, Alfonso Reina, Antonio Martín, Maria Antònia Garcías und Xim Moyà, die nun allen Grund zur Freude haben: Der Rat der Architektenkammern Spaniens hat ihr Projekt für den Mies-van-der-Rohe-Preis 2022 vorgeschlagen. Der „EU Mies Award”, so seine Kurzform, ist der Architekturpreis der Europäischen Union. Er ist mit 60.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben.
Die Sozialwohnungen in Son Gotleu befinden sich nun auf einer Liste von 449 Projekten die Anfang Februar gemeinsam von der EU-Kommission in Brüssel und der Mies-van-der-Rohe-Stiftung in Barcelona veröffentlicht wurde.
Bei der Bekanntgabe wurden auch die Grundlagen für die Auswahl der Projekte dargelegt. „Gebäude und Infrastrukturen sind für mindestens 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Daher muss der EU Mies Award das Umdenken und die Neuplanung Europas so unterstützen, dass er die Umwelt durch ein kulturelles Projekt, in dem Design und Nachhaltigkeit untrennbar miteinander verbunden sind, in den Vordergrund stellt.”
Diesen Kriterien entspricht der Sozialbau in Son Gotleu, bei dem als Dämmmaterial neben Baumwolle auch angeschwemmtes Seegras verwendet wurde. Die Wände bestehen aus Marés, dem mallorquinischen Kalksandstein und sind innen unverputzt – wie Can Lis, das Haus des 2008 verstorbenen dänischen Stararchitekten Jørn Utzon bei Portopetro. Durch die Auswahl des Materials wurden die Umweltverschmutzung während des Baus um 75 Prozent reduziert.
Ein weiteres Gebäude auf Mallorca hat es ebenfalls auf die Liste der Bewerber um den „EU Mies Award” 2022 geschafft. Dabei handelt es sich um das Ferienhaus Casa Palerm, das Teil eines Landhotels in Lloret de Vistalegre ist. Entworfen wurde es von dem Architektenbüro OHLAB in Palma, das von Paloma Hernaiz und Jaime Oliver geführt wird.
Die Architektur von Casa Palerm fügt sich diskret in ihre Umgebung ein und erfüllt dabei die Anforderungen einer ökonomischen und energetischen Effizienz. Pergolen mit Schilfdach, Klappfensterläden und die Anpflanzung von Bäumen, die im Sommer Schatten spenden, sind die Klimatechniken, die in der traditionellen mallorquinischen Architektur verwurzelt sind. Neben Schilfrohr wurden zudem rustikaler Kalkputz, Fliesen, Holz sowie Zement für die Böden verwendet. Die längliche und kompakte Form des 2019 errichteten Gebäudes ermöglicht in allen Räumen den Blick auf die Landschaft, die Nutzung des Sonnenlichts und sorgt für eine Querlüftung.
Ob eines der beiden Projekte den begehrten „EU Mies Award” erhält, bleibt abzuwarten. Zunächst soll im kommenden September eine zweite Liste mit weiteren Bewerbern veröffentlicht werden. Im Februar 2022 werden dann die fünf Finalisten und im April schließlich der Gewinner gekürt.
(aus MM 8/2021)