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Teures Essen und Gästeschwund in den Restaurants auf Mallorca? Die Wirte haben zum Teil selbst schuld, sagt ein deutscher Spitzenkoch

Ein Kenner redet Klartext: Gerhard Schwaiger, einst langjähriger Zwei-Sterne-Koch auf der Insel, moniert im MM-Interview "stinklangweiliges Essen". Und: "Die Gastwirte sollen nicht jammern, sondern Gas geben"

Gerhard Schwaiger ist nicht nur ein ausgezeichneter Koch, er ist auch ein kritischer Beobachter der Gastrobranche auf Mallorca | Foto: Patricia Lozano

| Mallorca | |

Er ist bekannt für seine klaren Worte. Und hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Mallorcas früherer Zwei-Sterne-Koch Gerhard Schwaiger aus Memmingen nimmt Stellung zur Gastro-Krise auf der Insel und benennt auch deutlich ihre Ursachen.

Mallorca Magazin: Es heißt, die Leute haben weniger Geld und sind weniger bereit, Geld für Essen in einem Restaurant auszugeben. Hat die Krise in der Gastronomie nur finanzielle Gründe?
Gerhard Schwaiger: Das ist ein Grund. Aber nicht der einzige. Ein wichtiger Grund ist, dass das Essen in vielen Lokalen auf Mallorca einfach stinklangweilig geworden ist.

MM: Inwiefern?
Schwaiger: Was mich stört, ist es diese Lustlosigkeit, die ich hier in der Gastronomie vorfinde. Da wird irgendetwas auf die Karte geschrieben, irgendetwas gemacht - und dann glaubt man, dass das schon passen wird. Das funktioniert nicht.

MM: Bis jetzt klappte das zum Teil ganz gut …
Schwaiger: Aber die Leute sind müde geworden, viel Geld für etwas ausgeben, was sie nicht happy macht. Wenn sie in einen Supermarkt gehen, sich eine gute Salami und ein gutes Brot kaufen, dann schmeckt das auch und kostet ein Zehntel von dem, was sie in einem Restaurant ausgeben müssen.

MM: Sind die Preise in vielen Restaurants auf Mallorca übertrieben worden?
Schwaiger: Absolut. Klar, die Produkte sind teurer geworden. Und die Preiserhöhungen in den Restaurants sind teilweise gerechtfertigt. Aber es haben halt alle bei der Preiserhöhung mitgespielt - auch die, die vorher schon Mist eingekauft haben. Mein Eindruck ist, dass es fast keine Idealisten mehr in der Küche gibt. Vielen Restaurantbetreibern geht es nur ums Geld verdienen - und zwar so rasch und einfach wie möglich. Hinzu kommt, dass es wenig Personal gibt. Also wird auf Convenience-Produkte zurückgegriffen. Das ist der Todesstoß für ein Restaurant.

MM: Viele Hotels auf Mallorca haben ihre Restaurants sehr attraktiv gemacht. Verstärkt das die Gastro-Krise?
Schwaiger: Ich habe es nie verstanden, warum die Hotels nicht schon früher alles dafür getan haben, ihre eigenen Gäste zum Essen im Hause zu halten. Weil sie nicht in der Lage waren, sie kulinarisch zufrieden zu stellen und sie dann zur Konkurrenz schicken? Das machte für mich nie Sinn. Aber in der Tat: Viele Hotels geben sich jetzt große Mühe. Sie bieten alles: vegane Speisen, vegetarische Speisen, glutenfreie Gerichte, laktosefreie Gerichte … Sie tischen nun teilweise so gute Buffets auf, da fragt sich doch der Kunde: Warum soll ich außerhalb essen gehen?

MM: Hat Corona in dieser Hinsicht Vorschub geleistet?
Schwaiger: Corona war sicher einer der Auslöser, die Leute im Hotel zu halten. Andererseits ist es doch normal, dass ich versuche, meinen Gast rundherum zu verwöhnen.

MM: Es wird immer gesagt: Mit Wein zum Essen kann man kein Geld verdienen. Sehen Sie das auch so?
Schwaiger: Wieso soll ich mit Wein zum Essen kein Geld verdienen? Das funktioniert über eine Top-Leistung. Auch Hotels funktionieren über eine Top-Leistung. Und wenn das Angebot im Hotel beziehungsweise in einem Resort super ist, dann bleiben die Leute da. Dann sind sie zehn Tage damit beschäftigt, das Hotel abzuvespern.

MM: Hat die hiesige Gastronomie die Einheimischen vergessen?
Schwaiger: Ja. Die Einheimischen wurden auch bei der Preisgestaltung außen vorgelassen. Das rächt sich jetzt. Jetzt weinen und jammern die Gastronomen wieder. Sie sollen nicht weinen. Sie sollen arbeiten und wieder richtig Gas geben.

Was fehlt: Der Mut zur Einzigartigkeit

MM: Wie?
Schwaiger: Indem sie den Mut zur Einzigartigkeit haben. Was ich auf den Speisekarten auf Mallorca beanstande, ist, dass jeder versucht, den sicheren Weg zu gehen. Sie orientieren sich alle an der asiatischen Küche. Ein bissel Ceviche, ein bissel Sashimi, ein bissel Thunfisch-Tatar … Nein! Das macht jeder. Die Karten sind zu ähnlich. Das ist zu wenig auf die Dauer.

MM: Was wäre besser?
Schwaiger: Geht doch bitte euren persönlichen Weg! Entwickelt euren eigenen Stil. Man muss den Mut haben, einen eigenen, einen anderen Weg zu gehen.

MM: Das ist sicher der schwierigere Weg …
Schwaiger: Es dauert vielleicht etwas länger, Erfolg zu haben. Aber mein Motto war immer: Ich bin ich. Und das ist meine Küche. Es gibt sie ja überall, diese Koryphäen, die eine Top-Küche machen und die sich keinen Deut darum scheren, was gerade Mainstream ist. Sie begeistern den Gast, wenn er am Tisch sitzt. Und genau dahin muss man wieder kommen. Der Gast muss bereuen, nicht vorher schon bei dir gegessen zu haben.

MM: Ist es nicht gewagt, das zu ignorieren, was gerade bei den Kunden angesagt ist?
Schwaiger: Nein. Wenn ich das koche, was mir schmeckt, was meiner Familie schmeckt und das dann auf das Nonplusultra bringe, dann besteht keine Gefahr. Der Erfolg kommt unweigerlich und ist beständig. Ich muss Lieblingsgerichte schaffen. Dann kommen die Leute. Kochen mit Persönlichkeit - das vermisse ich heute oft.

MM: Was raten Sie also jungen Köchinnen und Köchen?
Schwaiger: Es ist ein Umschwung da. Das Geschäft ist weniger kalkulierbar. Da hilft nur eines: am Ball bleiben. Leistung bringen. Die Leute verwöhnen. Damit sie den Restaurantaufenthalt rundherum genießen. Er muss im Gedächtnis bleiben. Da dürfen keine Fehler passieren. Vielmehr muss das Konzept in solchen Zeiten 100-prozentig überzeugen. Das geht nur durch Leidenschaft. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Leute sowieso kommen.

MM: Das war auch Ihr Konzept als Zwei-Sterne-Koch?
Schwaiger: Schon als Kind habe ich mich an Gerüche und Geschmacksnoten immer erinnert. Ich kann heute noch sagen, wie als Bub mein Urlaub in der Oberpfalz geschmeckt hat. Ohnehin kann ich mich an alle kulinarischen Highlights in meinen Leben erinnern. Ich habe in dieser Beziehung ein unglaubliches Gedächtnis. Deshalb war es für mich immer leicht, neue Gerichte zu entwickeln - und eben meinen eigenen Weg zu gehen.

MM: Wie wichtig ist es in Ihren Augen, die authentische Küche einer Region zu präsentieren?
Schwaiger: Enorm wichtig. Viele mallorquinische und auch die ibizenkischen Köche achten mittlerweile sehr auf ihr kulinarisches Erbe. Die mallorquinische Küche hat Potenzial. Sie wurde nur lange auf die Hausfrauenküche reduziert. Lasst die Profis ran! Viele hiesige Top-Köche machen es gut. Es gibt so zahlreiche Gerichte und Produkte, die man neu in Szene setzen kann.

MM: Sie selbst haben aber nie mallorquinisch gekocht?
Schwaiger: Ich wurde immer gefragt, warum ich das Mallorquinische nicht in meine Küche einbeziehe. Ganz einfach: Weil ich das nicht kann. Das muss ja nicht der Deutsche aus Memmingen machen, nur weil der zwei Sterne hatte. Das müssen die Mallorquiner machen. Schwaiger kocht mallorquinisch - das glaubt doch keiner. Und ist auch nicht notwendig. Denn ich habe meine Küche gemacht und sie sollen ihre Küche machen. Das ist glaubwürdiger. Bei einem Event ist mir sogar mal der Kragen geplatzt. "Ihr kocht alle cross-over", habe ich ihnen gesagt. Was aber ist mit der mallorquinischen Küche? "Ihr müsst das machen, nicht der Deutsche!"

MM: Ihre klassische Küche wurde oft als "old school" betitelt …
Schwaiger: Das war super. Es war als Beleidigung gedacht und ich habe es als Lob empfangen. Wer kann’s denn noch? Richtig gute Saucen kochen zum Beispiel. Alles, was du in der Küche machst, muss top sein und zwar konstant über lange Zeit hinweg. Die Karte muss man so schreiben, dass sie den Gast interessiert. Wenn es überall gleich ist und ich zum 20. Mal Thunfisch-Tatar und Teriyaki lese, dann unterscheidet sich das Restaurant nur noch durch das Ambiente. Wenn nur noch das Ambiente entscheidet, dann mach’ ein Möbelhaus auf.
Das Interview führte Kirsten Lehmkuhl.

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