Im Meeresfreizeitpark Marineland in Portals Nous hat der sommerliche Besucherrummel begonnen. Gerade läuft die Delfin-Show. Laute Musik und begeisterte Schreie tönen aus dem Delfinarium. Direkt daneben liegt die Krankenstation der Meeresschildkröten. Hier geht es nicht um Unterhaltung. Die gepanzerten Patienten, die in hohen Bassins paddeln, kämpfen um ihr Überleben.
"Diese hier trieb mit Lungenentzündung im Meer", erläutert die leitende Biologin Gloria Fernández. Das komme öfter vor. Die Tiere schluckten Fischerhaken. Darauf hin könnten sie nicht mehr fressen, würden schwach und erkrankten. Eine andere Patientin sei in Plastik verfangen aufgefunden worden, ihre Nachbarin mit gebrochenem Schädel.
Seit über 20 Jahren greift Marineland Meeresschildkröten, die an Mallorcas Küste stranden, auf und pflegt sie. Die Arbeit wird von der balearischen Umweltbehörde finanziert und von der Tierschutzabteilung COFIB koordiniert.
Drei von weltweit sieben Meeresschildkröten-Arten kommen in den Balearengewässern vor, die grüne Meeresschildkröte, die unechte Karett- und die Lederschildkröte. Hier nisten sie nicht, sondern ernähren sich.
Das Balearen-Meer sei sozusagen ein internationaler Treffpunkt, meint die Biologin: "Meeresschildkröten, die vom östlichen Mittelmeer stammen, kommen hier mit Artgenossen, die an der Küste Floridas oder Mexikos geboren wurden, zur Nahrungsaufnahme zusammen." Die schwimmenden Panzer sind das ganze Jahr im Balearenmeer zu finden, aber besonders im Frühjahr und Sommer. Zur Eiablage kehren die Weibchen immer wieder an den Strand ihrer Geburt zurück. "Auf der langen Reise orientieren sie sich am Magnetfeld der Erde mittels magnetischer Zellen im Gehirn", erklärt Fernández.
Im marinen Ökosystem erfüllen die Meeresschildkröten wichtige Funktionen. Unter anderem erhalten sie das biologische Gleichgewicht bestimmter Arten, beispielsweise der Quallen. Die Lederschildkröte etwa schwimmt von den Küsten des Atlantik durch die Meeresenge von Gibraltar bis ins Mittelmeer, weil sie hier in den Strömungen die Quallen findet, von denen sie sich ernährt, sagt die Biologin.
Meeresschildkröten sind sehr langlebig, sie werden bis zu hundert Jahre alt, und sind "praktisch unverwüstbar", meint Fernández. Seit Hunderten von Millionen Jahren existierten sie. Die Dinosaurier hätten sie überlebt, aber der Eingriff des Menschen sei nicht geplant gewesen: "Die menschlichen Aktivitäten der letzten 50 Jahre haben weltweit zu einem Schwund der Meeresschildkröten geführt."
Vier Faktoren seien dafür in erster Linie verantwortlich: der Beifang, die direkte, heute verbotene Jagd auf Meeresschildkröten aufgrund ihres Fleisches, der Eier oder des Panzers, die zunehmende Meeresverschmutzung, insbesondere Öl und Chemikalien, schwimmendes Plastik und Seile, und der Rückgang der Niststrände durch Küstenbebauung.
Weltweit sind die Meeresschildkröten vom Aussterben bedroht. Die Folge spüren besonders Mallorca-Urlauber: An den Stränden gibt es immer mehr Quallen. Allerdings, betont die Biologin, trage die Erderwärmung, die Verschmutzung des Meeres und das Fehlen natürlicher Feinde durch Überfischung ebenfalls zur Vermehrung der Quallen bei.
Fünfzig verletzte Meeresschildkröten werden im Durchschnitt jedes Jahr an Mallorcas Küste gefunden und zur Krankenstation nach Marineland gebracht. Die Patienten haben Vergiftungen, gebrochene Panzer, durch Seile oder in Fischernetzen abgequetschte Paddel, Verschlingungen in Plastik oder innere Verletzungen durch verschluckte Fischhaken mit resultierender Anorexie und Lungenentzündungen. 70 Prozent der Schildkröten können gerettet werden, 30 Prozent sterben. Die genesenen Tiere setzen die Biologen im Meeresnaturpark Cabrera aus. Dort fänden sie die besten Bedingungen, das klarste Wasser und viel Nahrung, sagt Fernández.
(aus MM 24/2014)